Pflegebedürftige müssen sich von jemand anderem waschen lassen, benötigen Hilfe beim Toilettengang oder Wechseln der Inkontinenzeinlagen. Dies sind typische Situationen im pflegerischen Alltag, die für die Betroffenen, aber auch die pflegenden Angehörigen nicht immer einfach sind.
Die Grenzen der Intimsphäre zu überschreiten, kann Schamgefühle auslösen. Das Erleben der Scham betrifft sowohl die Pflegebedürftigen, die ihre Würde bewahren möchten, aber auch deren pflegende Angehörige, die sich mit manchen Hilfsmaßnahmen überfordert fühlen können.
Unaussprechliches ansprechen
Den meisten Menschen fällt es schwer, das Thema Inkontinenz anzusprechen. Trotzdem sollten pflegende Angehörige Mut fassen und mit ihren Angehörigen darüber sprechen. Ein vertrauensvolles und einfühlsames Gespräch kann entlasten und im Umgang miteinander helfen.
Es kann die Scham mindern, wenn Betroffene wissen, dass es vielen anderen auch so geht und z. B. ein ungewollter Harn- oder Stuhlverlust eine weitverbreitete Erscheinung ist.
Doch eine Kommunikation so zu gestalten, dass sie gelingt, funktioniert leider nicht nach Kochrezept. Nur mithilfe regelmäßiger Gespräche und Wechsel der Perspektiven kann sie optimiert werden. Es kann dabei helfen, sich in die pflegebedürftige Person hineinzuversetzen.
Wie mag es sich anfühlen, sich stetig vor anderen Personen entblößen zu müssen, wenn die Schwäche immer in den Vordergrund rückt, obwohl man einst so stark und das Oberhaupt der Familie war?
Als pflegende Angehörige können Sie ansprechen, was Sie bewegt oder wovor Sie Hemmungen haben.
Sagen Sie z. B.: „Papa, es fällt mir schwer, dich nackt zu sehen.“ Oftmals kann dies schon eine heikle Situation lösen. Denn auch Ihr Gegenüber versteht, dass es nicht allein diese ungewohnte und womöglich beschämende Situation erlebt.
Nicht selten hilft in solchen Fällen auch Humor. Wenn Sie einander vertrauen und dasselbe Humorverständnis teilen, kann das sehr entspannend wirken. Miteinander zu lachen, baut Brücken und schafft Entlastung.
Nutzen Sie die Zeit während der Versorgung doch einmal für ein kleines Pläuschchen über alltägliche Dinge oder sprechen Sie über positive Erinnerungen aus der Vergangenheit. Auch Ablenkungen können unterstützend sein, um unangenehme Situationen aufzulockern.
Achten Sie aber darauf, dass Sie Ihren Humor bewusst einsetzen und Ihr Gegenüber diesen versteht. Nichts wäre schlimmer, als der zu pflegenden Person das Gefühl zu vermitteln, Sie würden sich über sie lustig machen.
Kommunikation besteht nicht nur aus Worten
Im Versorgungsalltag ist es möglich, dass Sie im Spannungsfeld zwischen Ekel, sozialer Isolation und Verantwortungsgefühl immer wieder an Ihre Grenzen stoßen und Momente der Überforderung erleben. Wichtig dabei ist, dass Sie sich daran erinnern: Kommunikation besteht nicht nur aus Worten, sondern auch Blicke, Gesten, Mimik, Berührungen oder die Körperhaltung sind hier eingeschlossen.
In sensiblen und heiklen Situationen ist es von Bedeutung, dass Sie Ihre Kommunikation bewusst einsetzen. „Man kann nicht nicht kommunizieren“ – diesen berühmten Satz des Kommunikationswissenschaftlers Paul Watzlawick haben Sie vermutlich schon einmal gehört.
Gerade in der Inkontinenzversorgung sollten Sie besonders auf Ihre nonverbale Kommunikation achten und sich über diese bewusst werden.
Wechsel der Hilfsmittel
Wenn es um den eigentlichen Wechsel von Hilfsmitteln geht, können Strategien helfen. Als pflegende Angehörige haben Sie schnell heraus, was nützlich ist.
Teilen Sie Ihren Pflegebedürftigen jeden Ihrer Schritte mit. Für einen vertrauensvollen Umgang ist es wichtig, der pflegebedürftigen Person mitzuteilen, was Sie als Nächstes tun möchten. Dies baut nicht nur Ängste ab, sondern gibt Ihren Angehörigen auch die Chance, sich einzubringen.
Mit Worten und Gesten können Sie Ihren Familienmitgliedern vermitteln, dass Sie sie gerne unterstützen und sie so annehmen, wie sie sind. Generell gilt: Lassen Sie Ihren Angehörigen den nötigen Freiraum und sie so viel wie möglich selbstständig durchführen und entscheiden. Mischen Sie sich zu sehr in die Gewohnheiten Ihrer Liebsten ein, so kann es leicht überfordern und demotivieren.
Während des Hilfsmittelwechsels sollten Sie berücksichtigen, dass Sie die Schamgrenzen respektieren. Dazu können Sie bspw. ein Türschild aufhängen, damit keine dritte Person in die Situation hineinplatzt.
Verlassen Sie den Raum, wenn Ihre Angehörigen auf der Toilette sitzen oder etwas Privatsphäre wünschen. Achten Sie auf das Verhalten Ihres Gegenübers, genauso wie auf Ihr eigenes, sodass Sie die Schamgrenzen erkennen. Im Anschluss kann es sinnvoll sein, Schwierigkeiten und das weitere Vorgehen gemeinsam zu besprechen.
Was tun im Fall einer Ablehnung
Sollten Ihre Angehörigen in einer Situation etwas ablehnen, gehen Sie behutsam vor. Vermeiden Sie in jedem Fall, impulsiv zu reagieren und tätigen Sie keine Aussagen wie: „Stell dich nicht so an.“
Auch hier sollten Sie über die Situation sprechen und mögliche Gründe für die Abwehrhaltung beiseiteschaffen. So können etwa ungewohnte, von außen hereindringende Geräusche oder eine empfundene Kälte im Raum dazu führen, dass sich Ihre Angehörigen nicht entblößen möchten.
Schon kleine Aspekte wie das Schließen des Fensters können dann helfen. Ruhe und ein wohlig warmes Gefühl tragen zur Entspannung bei.
Was tun bei Unruhe
Hilfsmittelwechsel mit Angehörigen, die sehr unruhig sind, können herausfordernd sein. Neben der Ankündigung, was nun ansteht, kann es helfen, beruhigende Musik aufzulegen oder zur Ablenkung Angehörigen etwas in die Hände zu geben.
Was tun bei Überforderung
Pflegesituationen sind menschliche Situationen. Es kann vorkommen, dass verletzende Worte fallen, vor allem wenn Sie sich durch Schamgefühle überfordert fühlen.
Als pflegende Angehörige können Sie sich in einem solchen Fall entschuldigen. Wurde die pflegebedürftige Person laut, sollten Sie dies nicht persönlich nehmen, sondern überlegen, was sie so aufgebracht hat.
Unterschiedliches Empfinden von Frauen und Männern
Nicht selten stellen Inkontinenzeinlagen eine Herausforderung dar und führen wiederholt zu Konflikten. Insbesondere Männer nehmen diese als unangenehm und ungewohnt wahr. Da viele Frauen in ihrem Leben bereits Monatsbinden getragen haben, sind ihnen solche Produkte hingegen nicht fremd.
Bei Männern sieht dies, wie erwähnt, anders aus. Stellen Sie diesbezüglich negative Äußerungen fest oder werden die Inkontinenzprodukte immer wieder (auch unter lautem Protest) entfernt, können Sie überlegen, ob die Versorgung mit einem Inkontinenzhöschen sinnvoll wäre, da es wie Unterwäsche getragen werden kann. Auch in diesem Fall lohnt es sich, über Probleme zu sprechen, um gemeinsame Lösungen zu finden.
Sich austauschen und Hilfe suchen
Sind Schamgefühle, Hemmungen oder auch Abwehrmechanismen zu groß, überlegen Sie zusammen, ob möglicherweise ein professioneller Pflegedient infrage kommt. Es ist sinnvoll, solche Eventualitäten mit weiteren Angehörigen zu besprechen und sie einzuweihen. Tun Sie dies aber keinesfalls ohne das Einverständnis der zu pflegenden Person und übergehen Sie sie in Ihrer Entscheidung nicht.
Vielen Angehörigen hilft es darüber hinaus, wenn sie sich mit anderen Betroffenen über die Inkontinenz und die Möglichkeiten der Unterstützung austauschen können. Informieren Sie sich bei Ihrer Hausärztin bzw. Ihrem -arzt oder Pflegedienst über mögliche Kontakte, z. B. Selbsthilfegruppen.
Sich Zeit nehmen
Wie in jeder Situation des Lebens spielt Zeit eine große Rolle in der Versorgung. Machen Sie sich bewusst, ob Sie die nötigen Kapazitäten haben, um Ihre Angehörigen angemessen zu unterstützen, und wie Sie diese produktiv einsetzen.
Stehen Sie jedes Mal unter Zeitdruck, wenn Sie einen Versorgungswechsel bei Ihren Angehörigen durchführen, so merken diese das recht schnell.
In diesem Fall kommt es häufig zu einem Kreislauf aus Missverständnissen, bei dem das Verhalten immer als Reaktion auf das des anderen zu werten ist. Das bedeutet: Haben Sie keine Zeit, so überfallen Ihre Angehörigen Sie vielleicht mit Wünschen, weil sie Angst haben, gleich wieder allein zu sein. Auf Sie wirkt dieses Verhalten aber womöglich undankbar.
Den Kreislauf aus Missverständnissen durchbrechen
Aus solchen Kreisläufen kann nur ausgebrochen werden, wenn sie klar angesprochen werden. Sie müssen also etwas tun, was den Kreislauf unterbricht. Was das vorausgehende Beispiel angeht, sollten Sie Ihren Angehörigen bei der nächsten Versorgung sagen, dass Sie sich nun Zeit für sie nehmen und ihre Bedürfnisse erfüllen möchten.
So geben Sie ihnen bewusst zu spüren, dass Sie Ihr Verhalten reflektiert haben und sich wirklich auf sie einlassen möchten. Das Durchbrechen eines solchen Kreislaufs ist ausschlaggebend, da er sich sonst endlos fortsetzt und zu zahlreichen Problemen führen könnte. Indem Sie Ihre Zeit bewusst einsetzen, sparen Sie im Endeffekt sogar ebensolche.
Gemeinsam stark
Für viele Betroffene und Angehörige ist es peinlich, über Inkontinenz zu sprechen. Es gibt jedoch zahlreiche Hilfsmittel und Methoden, die Ihnen helfen können. Wichtig ist dabei, wie Sie miteinander kommunizieren. Verstellen Sie sich nicht oder reden Ihren Angehörigen Hoffnungen und Ermutigungen ein.
Manche neigen zu diesem gekünstelten Verhalten und versuchen, Betroffene auf diesem Weg aufzuheitern. Ihnen tut es oft viel besser, wenn sie spüren, dass jemand da ist, zu der oder dem sie einfach und offen sprechen können, ohne mit unzähligen fernab der Realität liegenden Ermutigungen konfrontiert zu werden.
Als Angehörige sind Sie eine Vertrauensperson und können Ihre Liebsten unterstützen, mit der Situation umzugehen.