Harninkontinenz: Selbst katheterisieren für mehr Freiheit

Harninkontinenz: Selbst katheterisieren für mehr Freiheit

Die Möglichkeit, sich bei Bedarf selbst zu katheterisieren, gibt Menschen mit einer Blasenentleerungsstörung Freiheit und Selbstsicherheit zurück.
Katheter selbst legen bei einer Harninkontinenz
© Bibliomed Verlag

Verschiedene Möglichkeiten zur Katheterisierung

Wenn das Wasserlassen nicht mehr im üblichen Sinne funktioniert, zum Beispiel infolge eines Unfalls oder im Verlauf einer chronischen Erkrankung, können Hilfsmittel eingesetzt werden. Dazu zählen Katheter, die über die Harnröhre oder die Bauchdecke gelegt werden und dort über längere Zeit verbleiben. Es geht jedoch auch anders – indem man über mehrere Male am Tag kurzzeitig einen Katheter in die Blase einführt, den Urin ablässt und den Katheter wieder entfernt. Man nennt diese Methode intermittierendes Katheterisieren.

Personen mit neurogener Blasenfunktionsstörung oder starker Restharnbildung profitieren in hohem Maße von dieser Methode. Die meisten Patienten kommen damit nicht nur gut klar, sie sind zudem erfreut, wie mobil sie weiterhin sind und wie wenig sie dadurch in Freizeit, Beruf, Partnerschaft und Sexualität eingeschränkt sind. Das intermittierende Katheterisieren kann selbstständig erfolgen oder bei mangelnder Bewegungsfähigkeit durch eine andere Person (zum Beispiel den Ehepartner) vorgenommen werden. Man spricht von Selbst- oder Fremdkatheterismus.

Vorteile

Die gute Nachricht ist, dass die Blase ihre Speicherfunktion erhält, die Nieren nicht geschädigt werden und Harnwegsinfekte bei sorgfältiger Anwendung auf ein Minimum gesenkt werden. Diese Methode der Blasenentleerung können Patienten ihr Leben lang anwenden.

„Ich habe Multiple Sklerose und im Zuge der Erkrankung verlor ich zuerst ab und an mal Urin, irgendwann konnte ich fast gar nicht mehr einhalten, hatte Blasenentzündungen und hab mich nicht mehr unter Menschen gewagt … Es war schrecklich, und ich wusste mir nicht mehr zu helfen. Bei einem Krankenhausaufenthalt lernte ich eine sehr nette und kompetente Kontinenzberaterin kennen. Mit ihr zusammen habe ich gelernt, mich selbstständig zu katheterisieren. Ich war zuerst skeptisch. Aber heute bin ich dankbar dafür, durch den Katheter meine Blase wieder im Griff zu haben und endlich wieder unter Menschen gehen zu können. Ich falle ja gar nicht auf – gehe wie jeder andere Mensch zur Toilette, nur dass ich dort einen Katheter einführe und der Urin darüber abgeht. Das merkt kein Mensch. Ich fühl mich wieder ganz normal.“

Frau M. bringt auf den Punkt, was viele Menschen mit Blasenentleerungsstörungen denken: Es ist nicht leicht, sich Hilfe im Kampf gegen die Inkontinenz zu holen, schließlich ist es eine eher peinliche Angelegenheit. Hat man sich jedoch überwunden, und man findet eine Methode, die hilft, die Blase wieder unter Kontrolle zu bekommen, kann man endlich wieder ohne Angst sein privates und berufliches Leben führen.

Ist das etwas für mich?

Ob die Methode des intermittierenden Katheterisierens angewendet werden kann, hängt vom Zustand der Blase und der medizinischen Diagnose der Inkontinenz ab sowie davon, welche Fähigkeiten und Einschränkungen die betreffende Person aufweist. Hinzu kommt die Frage, ob sie, beziehungsweise ein Angehöriger, prinzipiell diese Methode erlernen und anwenden möchte.

Dazu wird über Vor- und Nachteile des intermittierenden Katheterisierens aufgeklärt, über die notwendigen Materialien gesprochen und das Vorgehen erklärt und eingeübt. Vor allem Letzteres ist eine intime Angelegenheit, verbunden mit Gefühlen wie bei einer gynäkologischen oder urologischen Untersuchung. Da Pflegekräfte und Ärzte jedoch hoch professionell arbeiten und die Technik schnell erlernt werden kann, halten sich unangenehme Gefühle bei vielen Patienten in Grenzen, zumal das Einüben in Ruhe und unter vier Augen vonstattengeht und man sich zu diesem Zeitpunkt durch die Aufklärungsgespräche schon einige Male gesehen hat und daher keiner fremden Person gegenübersteht.

Durchschnittlich fasst eine Harnblase 300 bis 600 ml Urin. Man muss sie also in der Regel vier- bis sechsmal täglich entleeren, denn das Blasenvolumen sollte 400 ml nicht überschreiten. Dazu werden Katheter zum einmaligen Gebrauch genutzt, die steril (also keimfrei) verpackt sind, keine scharfen Kanten haben und besonders gleitfähig sind. Sogenannte atraumatische Katheter können über lange Zeiträume eingesetzt werden, da sie die Blase und den Harnleiter nicht schädigen.

Katheter anwenden

Je nachdem, wie mobil man ist, muss überlegt werden, ob es möglich ist, die Toilette aufzusuchen oder nicht. Ist dies möglich, packt man den steril verpackten Katheter ein, geht auf die Toilette, führt den Katheter ein, der Urin läuft in die Toilette, man entfernt den Katheter und kann wieder gehen. Ist dies nicht möglich, werden Kathetersysteme genutzt, die einen Auffangbeutel enthalten.

Außerhalb einer Klinik führt der oder die Betroffene eine aseptische Methode des Katheterisierens durch. Die Ablagefläche für das Material sollte gründlich gesäubert werden, der Intimbereich ist zu reinigen und das sterile Material sorgsam zu nutzen. Der Katheter wird – ohne ihn an der Spitze zu berühren – in die Harnröhre eingeführt. Männern fällt das Erkennen der Harnröhre aufgrund der anatomischen Verhältnisse leicht. Frauen können dazu einen Spiegel, der am Bein befestigt wird, nutzen. Der Katheter wird eingeführt, der Urin geht ab, und der Katheter kann wieder entfernt werden. Viele Hersteller von Kathetermaterialien haben zusätzliche Hilfsmittel in der Zusammenarbeit mit Nutzern entwickelt; so gibt es beispielsweise spezielle Einführhilfen bei eingeschränkter Handfunktion.

Worauf zu achten ist

Ist das intermittierende Selbstkatheterisieren nicht möglich, können Familienangehörige das Katheterisieren lernen und übernehmen. Wichtig ist ein sachgemäßer Umgang mit den dazu notwendigen Materialien, denn so werden Verletzungen, Infektionen oder andere Komplikationen vermieden. Hinzu kommen regelmäßige Kontrolluntersuchungen beim Arzt, die zusätzlich Sicherheit geben. Diese sind natürlich auch dann wichtig, wenn die Blasenfunktionsstörung mit einer Einnahme von Medikamenten einhergeht.

„Ich falle ja gar nicht auf – gehe wie jeder andere Mensch zur Toilette. Ich fühle mich wieder ganz normal.“

Den Alltag sorgenfrei gestalten

Wenn die Handhabung gut trainiert wurde und die Patienten Sicherheit im Alltag gewinnen, berichten sie von einer neu gewonnenen Freiheit. Man darf und sollte ausreichend trinken und sich nach Bedarf katheterisieren, so wie jeder andere Mensch zur Toilette geht.

Für viele Betroffene heißt dies auch, dass sie mit ihrer Blasenfunktionsstörung diskret umgehen können. Wenn man die Blase im Griff hat, kann man beispielsweise selbst entscheiden, wem man von seiner Erkrankung in welchem Ausmaß berichtet. Dass man Probleme mit der Ausscheidung hat, kann man, muss man aber nicht mit anderen Personen teilen. Vielen Betroffenen schafft dies jedoch Entlastung. Nicht wenige Patienten sind zudem erleichtert, dass ihr Sexualleben nicht durch den Katheter eingeschränkt ist. Vor dem Sex geht man zur Toilette, die Blase ist restlos entleert, und für die nächste Zeit ist man sorgenfrei.