Pflegereform: Was sich für pflegende Angehörige ändert

Hauptziel war es, die Pflegeversicherung finanziell auf sichere Beine zu stellen, heißt es in einer Erklärung des Bundesgesundheitsministeriums (BMG). Um den errechneten Mehrbedarf in den nächsten Jahren von gut sechs Milliarden Euro zu gewährleisten, steigen die Beiträge ab dem 1. Juli 2023. Im Gegenzug wird 2024 etwa das Pflegegeld um fünf Prozent angehoben. Ein sogenanntes Entlastungsbudget soll pflegenden Angehörigen zudem die Möglichkeit geben, Kurzzeit- und Verhinderungspflege flexibler einsetzen zu können.
In namentlicher Abstimmung votierten 377 Abgeordnete für das Gesetz, 275 dagegen und zwei enthielten sich. Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) verteidigte das Vorhaben, auch wenn es „kein perfektes Gesetz“ sei und betonte: „Die Pflegebedürftigen haben unsere volle Solidarität verdient.“
Die wesentlichen Änderungen für Pflegebedürftige und ihre Angehörigen im Überblick
1. Pflegegeld und ambulante Sachleistungsbeträge
Das Pflegegeld sowie die ambulanten Sachleistungsbeträge steigen zum 1. Januar 2024 um fünf Prozent. Zum 1. Januar 2025 und zum 1. Januar 2028 werden die Geld- und Sachleistungen dann automatisch dynamisiert.
2. Entlastungsbudget: Zusammenführung von Kurzzeit- und Verhinderungspflege
Eltern pflegebedürftiger Kinder mit Pflegegrad 4 oder 5 können bereits ab 1. Januar 2024 auf bis zu 3.386 Euro (ab Juli 2025 dann 3.539 Euro) jährlich aus dem Entlastungsbudget, das eine Koppelung aus Geld für die Kurzzeit- und Verhinderungspflege darstellt, zurückgreifen. Ab dem 1. Juli 2025 steht der Gemeinsame Jahresbetrag allen pflegenden Angehörigen jährlich zur Verfügung. Der Gesamtleistungsbetrag von bis zu 3.539 Euro kann flexibel für beide Leistungsarten genutzt werden. Außerdem entfällt die bisherige sechsmonatige Vorpflegezeit vor erstmaliger Inanspruchnahme der Verhinderungspflege. Das bedeutet, dass die Leistungen künftig direkt ab Feststellung von mindestens Pflegegrad 2 verwendet werden können.
3. Pflegeunterstützungsgeld
Ab 1. Januar 2024 können Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer jährlich bis zu zehn Arbeitstage Lohnersatzleistung, das so genannte Pflegeunterstützungsgeld, für die Pflege eines nahen Angehörigen beantragen (bisher war das nur einmalig möglich).
4. Entlastungszuschläge für Heimkosten
Die Entlastungszuschläge für die Zuzahlung im Pflegeheim steigen ab 1. Januar 2024. Die Sätze werden von 5 Prozent auf 15 Prozent bei 0 – 12 Monaten Verweildauer, von 25 Prozent auf 30 Prozent bei 13 – 24 Monaten, von 45 Prozent auf 50 Prozent bei 25 – 36 Monaten und von 70 Prozent auf 75 Prozent bei mehr als 36 Monaten angehoben.
5. Verfahren zur Feststellung von Pflegebedürftigkeit
Nach der Begutachtung muss die Pflegekasse künftig das Pflegegutachten des Sachverständigen beilegen und so erklären, dass die getroffene Entscheidung nachvollziehbar ist. Wenn im Gutachten Hilfsmittel oder Pflegehilfsmittel empfohlen werden, muss die Pflegekasse diese mit dem Bescheid anbieten. Dasselbe gilt für gesundheitliche Präventions- und Reha-Maßnahmen.
6. Zugang pflegender Angehöriger zu Vorsorge- und Rehabilitationsleistungen
Künftig soll die Mitaufnahme des Pflegebedürftigen in die stationäre Vorsorge- oder Rehabilitationseinrichtung der Pflegeperson erweitert und weiterentwickelt werden. So wird der Zugang pflegender Angehöriger zu Vorsorge- und Rehabilitationsleistungen erleichtert.
7. Beitragserhöhungen für die Versicherten
Der Beitrag zur Pflegeversicherung erhöht sich für alle Beitragszahlenden zum 1. Juli 2023. Kinderlose werden dann vier Prozent des Bruttoeinkommens in die Pflegeversicherung einzahlen, für Eltern steigt der Beitragssatz von derzeit 3,05 Prozent auf 3,4 Prozent. Zugleich werden Versicherte ab dem zweiten bis zum fünften Kind mit einem Abschlag in Höhe von 0,25 Beitragssatzpunkten für jedes Kind bis zur Vollendung des 25. Lebensjahres entlastet.
Kritiker: Maßnahmen greifen zu kurz
Kritik an der Reform kommt neben der Regierungsopposition unter anderem von verschiedenen Verbänden und Interessenvertretungen.
Wie der Bundesverband „Wir pflegen e. V.“ in einer Mitteilung erklärte, begrüße er, „dass die Koalition den zuvor gestrichenen Gemeinsamen Jahresbetrag wieder aufgenommen hat. Die Zusammenführung von Kurzzeit- und Verhinderungspflege in einem Budget ist ein erster Beitrag zum von pflegenden Angehörigen schon lange geforderten Bürokratieabbau und zur dringend notwendigen Flexibilisierung der Leistungen“. Das Ziel, die häusliche Pflege zu stärken und pflegebedürftige Menschen und ihre Angehörigen und Pflegepersonen nachhaltig zu entlasten, lasse sich über die viel zu kurz gegriffenen Maßnahmen des Gesetzes allerdings nicht erreichen. „Dies ist angesichts der steigenden Zahl pflegebedürftiger Menschen fatal“, heißt es weiter.
Vonseiten des Sozialverbands VdK meldete sich dessen Präsidentin Verena Bentele zu Wort: „Diese Reform bleibt Stückwerk, bis nicht endlich der Bürokratiedschungel im Pflegebereich gelichtet wird und Unterstützungsleistungen den Bedürfnissen der Pflegenden und Gepflegten entsprechend zur Verfügung stehen. Es fehlt an allen Ecken und Enden an Tagespflegeplätzen, und ein Online-Portal, das bundesweit freie Plätze anzeigen sollte, ist wieder aus dem Gesetzentwurf verschwunden.“
Gesundheitsminister Lauterbach habe auf dem Bundesverbandstag des VdK in der vergangenen Woche angekündigt, die häusliche Pflege weiter ausbauen zu wollen. Aus Sicht des VdK, brauche es dafür einen Pflegelohn sowie Rentenversicherungsbeiträge für pflegende Angehörige, um sie vor Altersarmut zu schützen, erklärte Bentele weiter.