Forderungen zur Stärkung der Angehörigenpflege: Nächstenpflege würdigen

Forderungen zur Stärkung der Angehörigenpflege: Nächstenpflege würdigen

Die Situation für Pflegebedürftige und ihre pflegenden Angehörigen muss sich verbessern. Der Sozialverband VdK hat deswegen drei zentrale Forderungen an die Regierung gestellt und die Kampagne „Nächstenpflege“ ins Leben gerufen.
Forderungen zur Stärkung der Angehörigenpflege: Nächstenpflege würdigen
GettyImages/Luis Alvarez

Pflege ist häufig eine Familienangelegenheit. Die meisten Menschen, die zu Hause jemanden pflegen, befinden sich in direktem verwandtschaftlichen Verhältnis zur pflegebedürftigen Person. Dabei steht nicht nur die eigentliche Versorgung wie Hilfe beim Essen, bei der Körperpflege oder im Haushalt im Mittelpunkt. Vielmehr gibt es eine „Symbiose“ von beiden Parteien, sie stehen sich in der Regel sehr nah.

Das bringt zwar einerseits viele schöne Momente mit sich, andererseits kann es für alle Beteiligten emotional auch sehr anstrengend sein. Eine Mischung aus Sorge, Dankbarkeit, Schuld, Scham und Hilflosigkeit birgt viel Anlass zu Konflikten. Der Sozialverband VdK möchte auf diesen Umstand aufmerksam machen. Er sieht den emotionalen Aspekt in bisherigen Umschreibungen wie „häusliche Pflege“ oder „Pflege zu Hause“ nicht ausreichend gewürdigt und hat deswegen den Begriff „Nächstenpflege“ ins Leben gerufen.

Diese soll sich in den nächsten Jahren deutlich verbessern. Dafür hat der VdK im Rahmen seiner „Nächstenpflege“-Kampagne drei Forderungen an die Regierung gestellt:

Mehr Hilfe im Haushalt, in der Pflege und in der Betreuung

Bereits heute gibt es Unterstützung für Pflegende, die kurzzeitig den Pflegeaufgaben z. B. aufgrund von Urlaub, Krankheit oder beruflicher Weiterbildung nicht nachkommen können. Einen Angehörigen zu pflegen, ist körperlich sowie psychisch sehr anstrengend.

Daher müssen Auszeiten möglich sein, in denen Pflegende ihr Familienmitglied in guten Händen wissen. Im Rahmen der sogenannten Verhinderungspflege gibt es die Möglichkeit, Pflegebedürftige in einer Kurzzeit-, Tages- oder Nachtpflege oder von einer Haushaltshilfe versorgen zu lassen. Doch ist es häufig sehr schwer, einen entsprechenden Pflegeplatz oder eine Haushaltshilfe zu bekommen. Außerdem können Zuzahlungen anfallen, die sich viele pflegende Angehörige oft nicht leisten können.

Der VdK fordert daher ausreichend Plätze in der Kurzzeitpflege, einen Ausbau unabhängiger Pflegeberatungen sowie ein Budget für alle Unterstützungsleistungen, sodass Pflegebedürftige und ihre Angehörigen diese schnell und unbürokratisch für Hilfen in Anspruch nehmen können.

Mehr Zeit zum Pflegen ohne finanzielle Sorgen

„Nächstenpflege macht arm“, so VdK-Präsidentin Verena Bentele. Das belegt auch eine Umfrage unter pflegenden Angehörigen des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung Berlin (DIW Berlin). Demnach ist jeder fünfte pflegende Angehörige armutsgefährdet, unter Frauen sogar jede Vierte.

Eine Studie der Hochschule Osnabrück fand heraus: Die Armutsgefährdungsquote von pflegenden Angehörigen liegt bei 20 Prozent. Das ist größtenteils darauf zurückzuführen, dass die Pflege häufig nur schwer mit einer Berufstätigkeit zu vereinbaren ist. Wer sich täglich um einen Pflegebedürftigen kümmert, hat keine Zeit für eine Vollzeitstelle. In der Studie der Hochschule Osnabrück geben 49 Prozent aller Pflegenden an, dass sie ihre Arbeitszeit zugunsten der Pflege reduziert haben. Sechs Prozent kündigten sogar ihren Job.

Das zeigt: Die bisherigen gesetzlichen Regelungen greifen hier noch nicht weit genug. Der Rechtsanspruch auf sechs Monate Freistellung von der Arbeit oder zwei Jahre Teilzeitarbeit gilt bspw. nur für Angestellte, die in einem Betrieb mit mindestens 15 Mitarbeitenden tätig sind.

Auch das Pflegegeld kann zumeist nur zu einem kleinen Teil für die finanzielle Unterstützung der pflegenden Angehörigen verwendet werden. Häufig müssen Familien damit besondere Ausgaben bezahlen, die aufgrund der Pflegebedürftigkeit anfallen, wie etwa spezielle Ernährung oder frei verkäufliche Medikamente und Hygieneartikel.

Nach ihren Wünschen gefragt, antworteten die meisten Pflegenden (65 Prozent), dass sie gerne mehr Geld zur Verfügung hätten. Mit einem Pflegelohn könnte sich dieser Wunsch erfüllen. Im österreichischen Bundesland Burgenland gab es dazu bereits einen Modellversuch. Überträgt man die dortigen Ergebnisse auf das deutsche Sozialversicherungssystem, könnte das Armutsrisiko pflegender Angehöriger hierzulande voraussichtlich auf 13,4 Prozent gesenkt werden.

Doch was ist der Unterschied zwischen der im Ampelkoalitionsvertrag vorgesehenen Lohnersatzleistung für Pflegende und einem Pflegelohn, wie ihn der VdK fordert? Eine Lohnersatzleistung errechnet sich aus dem vorherigen Einkommen, so wie etwa das Elterngeld. Damit wären Menschen mit geringerem Lohn stark benachteiligt. „Die Pflege durch eine Geringverdienerin ist aber genauso viel wert wie die Pflege durch einen Gutverdiener“, verdeutlicht die VdK-Präsidentin.

In der Tat hätten dabei hauptsächlich Frauen das Nachsehen, da sie viel häufiger in Teilzeit arbeiten oder in Jobs, die weniger gut bezahlt werden. Laut Bentele muss es endlich einen Schutzschirm für pflegende Angehörige geben.

Die Forderung des VdK: bessere Vereinbarkeit von Pflege und Beruf mit einem Rückkehrrecht in die Vollzeitbeschäftigung. Zudem eine eigene finanzielle Leistung für die Nächstenpflege, um Lohnausfälle auszugleichen.

Mehr Rente für pflegende Angehörige

Wer einen Angehörigen pflegt, erhält in dieser Zeit Rentenpunkte. Voraussetzung: keine Berufstätigkeit über 30 Stunden pro Woche. Vor dem Beginn der Pflege muss die oder der Pflegende zudem mindestens fünf Jahre in die gesetzliche Rentenversicherung eingezahlt haben. Das ist vor allem bei Eltern eines pflegebedürftigen Kindes häufig nicht der Fall. Auch für Rentner gibt es keine extra Rentenpunkte.

Die Höhe der Rentenpunkte hängt zudem vom Pflegegrad der pflegebedürftigen Person sowie der Nutzung eines Pflegedienstes ab. Je niedriger der Pflegegrad und je höher die professionelle Unterstützung, desto weniger Rentenpunkte erhält die oder der pflegende Angehörige. Nicht mehr erwerbstätige Pflegende müssen sich zudem selbst kranken- und pflegeversichern.

Besonders trifft die mangelhafte Anrechnung der Pflegezeit zur Rente diejenigen, die über viele Jahre mehrere Angehörige pflegen. Sie sind aufgrund der Pflegeleistung kaum in der Lage, ausreichend Punkte anzusammeln. Es droht unweigerlich Altersarmut. Aber: „Pflegende Angehörige brauchen eine stabile finanzielle Basis, die ihnen ein gutes Auskommen jetzt und in der Rente sichert und auch für ihre Kranken-, Pflege und Arbeitslosenversicherung sorgt“, so Bentele.

Für den VdK reichen die vorhandenen Regelungen nicht aus. Er fordert, dass es für die Pflegezeit mehr Rentenpunkte gibt. Zudem sollte der Umfang der Berufstätigkeit keine Rolle spielen und pflegende Angehörige, die bereits in Rente sind, sollten weitere Rentenpunkte erhalten.