Bei Ihnen oder Ihrem pflegebedürftigen Angehörigen steht die Pflegegrad-Begutachtung an. Klingt einfach? Ist es aber nicht. Ich weiß das von vielen Terminen. Es geht um Punkte, und Punkte bedeuten bares Geld – und manchmal auch einfach die Hilfe, die man wirklich braucht. Damit Sie bei diesem Termin das bestmögliche Ergebnis erreichen, kommen hier die 5 wichtigsten Dos und Don’ts, die Sie auf dem Zettel haben sollten.
1. Do: Bereiten Sie sich gründlich vor – Improvisation ist keine Strategie
Betrachten Sie die Pflegegrad-Begutachtung wie ein Bewerbungsgespräch. Würden Sie da erscheinen, ohne zu wissen, worum es geht? Nein? Dann tun Sie das hier auch nicht, sondern:
- Informieren Sie sich vorab über die 6 Module, die begutachtet werden. Dazu gehören die Lebensbereiche
Mobilität,
kognitive und kommunikative Fähigkeiten,
Verhaltensweisen und psychische Problemlagen,
Selbstversorgung,
Umgang mit krankheits- oder therapiebedingten Anforderungen,
Gestaltung des Alltagslebens und sozialer Kontakte.
- Legen Sie Unterlagen bereit, die für die Pflegegrad-Begutachtung hilfreich sein können, z. B. Arztberichte, Medikamentenpläne, Diagnosen und Entlassbriefe.
- Idealerweise führen Sie im Vorfeld auch ein Pflegetagebuch. Dokumentieren Sie, was Sie alleine schaffen und wobei Sie Hilfe benötigen – nüchtern, konkret, realistisch.

Nicht zu unterschätzen: Das Pflegetagebuch
Dokumentieren Sie den tatsächlichen Pflege- und Unterstützungsbedarf Ihres pflegebedürftigen Angehörigen und wappnen Sie sich für Begutachtungstermin oder Arztgespräch.
Don’t: Sagen Sie bitte nicht so etwas wie „Ach, so schlimm ist es doch gar nicht“. Dies ist kein Contest für Selbstdisziplin – sondern die eine Gelegenheit, Ihre Situation sichtbar zu machen. Bescheidenheit ist edel, aber in diesem Fall: unangebracht.
2. Do: Seien Sie ehrlich – aber zeigen Sie Ihre schlechtesten Tage
Natürlich sollen Sie während der Pflegegrad-Begutachtung nicht übertreiben oder flunkern. Aber denken Sie daran: Der Gutachter oder die Gutachterin ist nicht mit Ihnen verheiratet. Er oder sie sieht Sie ein einziges Mal. Das heißt: Wenn Sie ausgerechnet an diesem Tag zufällig gut drauf sind – Pech gehabt. Deshalb sollten Sie unbedingt die folgenden Punkte beherzigen:
- Beschreiben Sie Ihre Situation so, wie sie an schlechten Tagen ist. Wie oft brauchen Sie Hilfe beim Waschen? Beim Essen? Beim Anziehen?
- Geben Sie konkrete Beispiele wie „Ich bin letzte Woche beim Versuch aus dem Bett zu kommen, gestürzt und konnte erst nach 20 Minuten Hilfe rufen“.
Don’t: Formulierungen wie „Ich komme ja irgendwie zurecht“ sind Gift. Das System der Pflegeversicherung versteht kein „irgendwie“.

Dr. med. Jörg A. Zimmermann schreibt über die Gesetzliche Pflegeversicherung ‒ eine höchst subjektive ärztliche Zweitmeinung zu Diagnosen und Therapieversuchen in einem manchmal sehr kranken System. Er ist Arzt mit mehrjähriger klinischer Erfahrung. Mit seiner Firma Familiara hilft er Betroffenen, sich gegen ungerechtfertigte Entscheidungen der Pflegekassen zur Wehr zu setzen. Seit 2017 haben er und sein Team über 40.000 Fälle analysiert und mehrere tausend Widerspruchsverfahren in allen Phasen begleitet.
3. Do: Holen Sie sich Unterstützung – Sie müssen hier nicht glänzen
Sie müssen diesen Termin nicht alleine überstehen. Ganz im Gegenteil: Gutachter wissen, dass viele Betroffene Dinge beschönigen oder schlichtweg vergessen, wenn sie im Termin alleine sind. Daher gilt:
- Nehmen Sie eine vertraute Person dazu – am besten eine, die wirklich weiß, was in Ihrem Alltag los ist. Eine Angehörige oder Pflegeperson darf (und soll!) ergänzen, korrigieren, erinnern. Oder holen Sie sich gleich professionelle Hilfe.
- Diese Vertrauensperson kann auch Dinge ansprechen, die Ihnen unangenehm sind oder die Sie schlichtweg verdrängt haben.
Don’t: Verlassen Sie sich nicht auf Ihr Gedächtnis. Stress macht vergesslich, und was Sie im Alltag regelmäßig belastet, fällt in diesem Moment vielleicht hinten runter.
4. Do: Zeigen Sie Ihre Hilfsmittel – keine falsche Scham
Rollator, Inkontinenzeinlagen, Pflegebett, Toilettensitzerhöhung, Medikamentendosierer? Zeigen Sie, was da ist – und was fehlt.
- Lassen Sie Hilfsmittel sichtbar – stellen Sie den Rollator nicht in den Flur, das Pflegebett nicht unter eine Tagesdecke und die Katheterbeutel nicht in den Schrank.
- Wenn Sie eigentlich etwas brauchen, es aber noch nicht beantragt haben: Sagen Sie es! Der Gutachter kann das dokumentieren.
Don’t: Räumen Sie vor dem Besuch nicht alles „peinliche Zeug“ weg. Ein blitzblanker Haushalt und eine scheinbar gut strukturierte Wohnung helfen Ihnen nicht – sie helfen dem Gutachter, sich in falscher Sicherheit zu wiegen.
5. Do: Spielen Sie nicht den Helden – zeigen Sie, was ist
Die Pflegegrad-Begutachtung ist kein Tapferkeitsorden-Wettbewerb. Sie müssen niemanden beeindrucken – am allerwenigsten die Gutachterin oder den Gutachter. Wenn Sie sich extra zusammenreißen, bloß um nicht „schwach“ zu wirken, dann erreichen Sie das Gegenteil von dem, was Sie erreichen wollen – pflegegradtechnisch gesehen.
- Wenn Sie Schmerzen haben, sagen Sie es. Wenn Sie oft verwirrt sind, sagen Sie es. Wenn Sie nicht allein zur Toilette kommen, sagen Sie es.
- Auch psychische Belastungen gehören dazu. Wenn Sie sich hilflos, einsam oder überfordert fühlen – alles relevant!
Don’t: Versuchen Sie nicht, die Situation zu beschönigen, um Ihre Selbstachtung zu retten. Pflegebedürftigkeit ist kein Makel, sondern ein Zustand, den man anerkennen sollte – besonders, wenn man darauf angewiesen ist, Hilfe zu bekommen.
Ein gewisses Maß an Freundlichkeit ist gut. Aber wenn Sie strahlen, als würden Sie gleich zum Wandern aufbrechen, fragt sich der Gutachter vielleicht, warum Sie überhaupt Unterstützung brauchen.
Fazit
Die Pflegegrad-Begutachtung ist kein gemütlicher Nachmittagstee – eher ein Behörden-Speed-Date mit Punktesystem. Doch mit einer guten Vorbereitung, einer ehrlichen Darstellung Ihrer Situation (ohne Pathos, aber mit Klarheit) und einem Unterstützer an Ihrer Seite können Sie dafür sorgen, dass Sie nicht nur wahrgenommen, sondern auch fair bewertet werden und die Punkte bekommen, die Ihnen zustehen.
Meine persönliche Meinung: Pflegebedürftigkeit ist kein persönliches Versagen. Aber so zu tun, als wäre sie nicht da, wäre eines – zumindest in diesem Kontext.