„Einen Angehörigen zu versorgen, heißt in der Regel, nie Feierabend zu haben“

„Einen Angehörigen zu versorgen, heißt in der Regel, nie Feierabend zu haben“

Einen Angehörigen zu pflegen, ist eine Herausforderung. Diese Leistung wird von Gesellschaft und Politik aber immer noch nicht ausreichend gewürdigt – zumindest auf Bundesebene. Lokale Initiativen sind hier etwas weiter. So werden in Berlin seit 2012 pflegende Angehörige mit dem „Berliner Pflegebären“ ausgezeichnet. Warum es solche Veranstaltungen braucht, warum es aktuell noch keine bundesweite Interessenvertretung gibt und wie pflegende Angehörige endlich gesellschaftlich und politisch Gewicht erhalten könnten? Wir haben nachgefragt.

Viele Münder mit Sprechblasen
GettyImages/Richard Drury
Inhaltsverzeichnis
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    Heike Bartmann

    Die 52-Jährige arbeitet seit mehr als 20 Jahren als Einsatzleiterin in einem ambulanten Pflegedienst. Sie wurde im Rahmen der diesjährigen “Woche der pflegenden Angehörigen” im Mai mit dem “Berliner Pflegebären” ausgezeichnet.

    Vielen ist auch gar nicht bewusst, wie wichtig sie im Pflegesegment sind, und dass ohne ihre Hilfe oft die Versorgung von Pflegebedürftigen nicht mehr sichergestellt werden kann.

     

    Warum gibt es für pflegende Angehörige keine echte Interessenvertretung und was bräuchte es dafür?

    Ich denke, dass die pflegenden Angehörigen oft weder die Kraft noch die Zeit haben, sich neben der oft aufwendigen Versorgung ihrer Angehörigen, auch noch gesellschaftlich oder politisch zu engagieren. Einen Angehörigen zu versorgen, heißt in der Regel, nie Feierabend zu haben. Viele gehen einer Arbeit nach und versorgen dann auch noch ihre Liebsten. Da bleibt einfach kaum Raum und Platz für mehr. Vielen ist auch gar nicht bewusst, wie wichtig sie im Pflegesegment sind, und dass ohne ihre Hilfe oft die Versorgung von Pflegebedürftigen nicht mehr sichergestellt werden kann.

    Ein weiterer Grund ist wohl, dass das Thema Pflege, Krankheit, Behinderung ein sehr unbeliebtes Thema bei der Mehrheit der Menschen ist. Wir verdrängen zu gerne, dass jeder von uns in die Situation kommen kann, pflegebedürftig zu werden. Man beschäftigt sich erst dann mit diesen Themen, wenn es einen selbst betrifft und es anfängt zu schmerzen.

    Zuletzt ist wohl auch ein wesentlicher Aspekt, dass diese Themen nicht in der Öffentlichkeit durch Medien wie Zeitung und Fernsehsender publik gemacht werden. Ein Beispiel war dafür auch die Ehrengala für pflegende Angehörige. In den Medien wurde dies nicht erwähnt, wo es doch eine gute Gelegenheit gewesen wäre, auf die mit der Pflege einhergehenden Probleme aufmerksam zu machen.

    Was bräuchte es, um eine Interessenvertretung zu schaffen?

    Zunächst einmal dem Großteil der Öffentlichkeit diese Thematik näherzubringen, ohne Angst zu schüren. Offen und ehrliche Berichterstattung, ohne Wertung und klare Faktenbenennung. Dann den pflegenden Angehörigen die Möglichkeit, den Raum und die Zeit zu geben, sich zu treffen, sich austauschen zu können und ihre Erfahrungen zu kompensieren und ihre Interessen nach außen tragen zu können.

    Hätten Sie politische Macht, was würden Sie ändern?

    Zunächst denke ich, dass man ohne großen finanziellen Aufwand viele bürokratische Hürden, die oft völlig unsinnig sind, abschaffen kann. Endlose Anträge, bei denen oft Bögen mehrfach ausgefüllt werden müssen, Dauerverordnungen jedes Jahr neu beantragen, das bedeutet Zeit und Stress für jeden pflegenden Angehörigen.

    Die Deckelung der Pflege im ambulanten Bereich fehlt. Pflege ist teuer und oft finanziell kaum erschwinglich.

    Bezugnehmend auf die Sendung „Hart aber fair“ 2023 mit Herrn Lauterbach wäre es sinnvoll, dass alle Arbeitnehmer, Beamte, private Unternehmer in eine Kranken- und Pflegekasse einzahlen, somit wäre die finanzielle Last auf alle gleichmäßig verteilt. Die Minimierung der Anzahl der Kassen, dies würde Gelder einsparen und die Bürokratie verringern.

    Was wünschen Sie sich von der Gesellschaft?

    Ich wünsche mir mehr Verständnis und Offenheit gegenüber Menschen, die nicht der Norm entsprechen. Mehr Toleranz und Anerkennung für pflegende Angehörige, die die Hauptlast der Pflege tragen: 80 Prozent aller zu Pflegenden in Deutschland werden durch Angehörige, Bekannte und Freunde in der eigenen Häuslichkeit versorgt. Aber ich wünsche mir auch mehr Anerkennung all derjenigen, die in pflegerischen Berufen tätig sind.

    Was sind für Sie erfüllende Momente in einer Pflegesituation?

    In der Hauptsache das Gefühl zu haben, für den anderen da zu sein. Ein bisschen Glück in das Leben des zu Pflegenden zu bringen. Trotz Einschränkung füreinander da zu sein. Zu erkennen, dass sich jeder mit seinen Stärken einbringen kann.

    Ehrungen für pflegende Angehörige: Nette Geste oder wichtiges Signal?

    Es gibt zwar lokal einige Möglichkeiten für pflegende Angehörige, sich zu vernetzen und auszutauschen. Auch ihre Arbeit wird hier honoriert. Auf Bundesebene sucht man bislang aber vergebens nach einer Interessenvertretung für Laienpflegende. Woran liegt das? Ein Kommentar unserer Redakteurin Britta Waldmann.

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