„Die Politiker verlassen sich zu sehr auf das Pflichtbewusstsein und die Liebe der Angehörigen“

„Die Politiker verlassen sich zu sehr auf das Pflichtbewusstsein und die Liebe der Angehörigen“

Einen Angehörigen zu pflegen, ist eine Herausforderung. Diese Leistung wird von Gesellschaft und Politik aber immer noch nicht ausreichend gewürdigt – zumindest auf Bundesebene. Lokale Initiativen sind hier etwas weiter. So werden in Berlin seit 2012 pflegende Angehörige mit dem „Berliner Pflegebären“ ausgezeichnet. Warum es solche Veranstaltungen braucht, warum es aktuell noch keine bundesweite Interessenvertretung gibt und wie pflegende Angehörige endlich gesellschaftlich und politisch Gewicht erhalten könnten? Wir haben nachgefragt.

Eine Familie aus Holz-Spielfiguren steht unter einem Regenschirm.
GettyImages/sommart
Inhaltsverzeichnis
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    Jana Böwing

    Die 61-Jährige hat neben ihrem Beruf über sechs Monate lang ihren Ehemann bis zu seinem Tod gepflegt. Sie wurde im Rahmen der diesjährigen “Woche der pflegenden Angehörigen” im Mai mit dem “Berliner Pflegebären” ausgezeichnet.

    Es bräuchte noch mehr Aufklärung und vor allem mehr Engagement und das ehrliche Bedürfnis, die Pflegenden zu Hause zu unterstützen und ganz wichtig: auch zu schützen – nämlich vor der Selbst-Überforderung.

     

    Warum gibt es für pflegende Angehörige noch keine bundesweit agierende, schlagfertige Interessenvertretung und was bräuchte es dafür?

    Es gibt zu wenig Öffentlichkeit, zu wenig Berichte über die Pflege zu Hause. Die Politiker verlassen sich zu sehr auf das Pflichtbewusstsein und die Liebe der Angehörigen zu dem pflegebedürftigen Menschen. Es bräuchte noch mehr Aufklärung und vor allem mehr Engagement und das ehrliche Bedürfnis, die Pflegenden zu Hause zu unterstützen und ganz wichtig: auch zu schützen – nämlich vor der Selbst-Überforderung.

    Hätten Sie politische Macht – was würden Sie sofort ändern?
    Ich würde die Eigenanteile für Tages-, Kurz- und vollstationäre Pflege deckeln. Außerdem muss es ein größeres finanzielles Volumen der „Töpfe“ für die Pflege im Haushalt geben und eine Vereinfachung, das Geld auch auszuschöpfen. Es dauert lange, bis ein jeder Betroffene verstanden hat, wofür nun genau jeder „Topf“ genutzt werden kann und soll. Es sollte mehr Kur- und Reha-Angebote für pflegende Angehörige geben, zu denen der Pflegebedürftige mitgenommen werden kann.

    Wir müssen mehr Werbung für den Pflegeberuf machen, bessere Arbeitszeitmodelle schaffen, um überhaupt mehr Kräfte aktivieren zu können. Zudem sollte es häufigere und vor allem unangekündigte Kontrollen der Heime und Pflegedienste geben.

    Uneingeschränkte Hilfe und Unterstützung der Fachstelle für pflegende Angehörige, ohne ständige Angst vor Streichung wichtiger Mittel aller Art.

    Was wünschen Sie sich von der Gesellschaft?
    Mehr Akzeptanz und Achtung, vor allem bei berufstätigen Pflegenden oder pflegenden Jugendlichen. Mehr Unterstützungsangebote insgesamt, vor allem für ältere pflegende Angehörige. Sie sind doch oft überfordert mit der Unübersichtlichkeit der verschiedenen Hilfsmöglichkeiten und gehen dann eher nicht zur Beratungsstelle.

    Was sind für Sie erfüllende Momente in einer Pflegesituation?

    Die Kraft aufgebracht zu haben, das Zuhause zu erhalten. Ein Lächeln als Dankeschön, friedliches Einschlafen am Abend. Dem fleißigen Team der Tagespflege auch zwischendurch mal ein Dankeschön zu überbringen. Wertschätzend behandelt zu werden auch vom Arbeitgeber, denn man hat nun eigentlich zwei Jobs.

    Besondere Wertschätzung war die Verleihung des Pflegebären 2024, verbunden mit viel Aufregung und Freude. Dies sollte auf jeden Fall beibehalten bleiben, um die Angehörigen in die Öffentlichkeit zu holen und zu belohnen.

    Ehrungen für pflegende Angehörige: Nette Geste oder wichtiges Signal?

    Es gibt zwar lokal einige Möglichkeiten für pflegende Angehörige, sich zu vernetzen und auszutauschen. Auch ihre Arbeit wird hier honoriert. Auf Bundesebene sucht man bislang aber vergebens nach einer Interessenvertretung für Laienpflegende. Woran liegt das? Ein Kommentar unserer Redakteurin Britta Waldmann.

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