„Es ist an der Zeit, mehr Mitspracherecht zu bekommen“

„Es ist an der Zeit, mehr Mitspracherecht zu bekommen“

Einen Angehörigen zu pflegen, ist eine Herausforderung. Diese Leistung wird von Gesellschaft und Politik aber immer noch nicht ausreichend gewürdigt – zumindest auf Bundesebene. Lokale Initiativen sind hier etwas weiter. So werden in Berlin seit 2012 pflegende Angehörige mit dem „Berliner Pflegebären“ ausgezeichnet. Warum es solche Veranstaltungen braucht, warum es aktuell noch keine bundesweite Interessenvertretung gibt und wie pflegende Angehörige endlich gesellschaftlich und politisch Gewicht erhalten könnten? Wir haben nachgefragt.

Zwei Holzfiguren mit Sprechblasen
GettyImages/jayk7
Inhaltsverzeichnis
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    Fahima Abd El Baki

    Die 38-Jährige pflegt ihre Mutter, ihre an Demenz erkrankte Schwiegermutter und ihre drei Söhne – zwei von ihnen haben eine schwere Stoffwechselerkrankung, der mittlere Autismus und ein Herzleiden. Sie wurde im Rahmen der diesjährigen “Woche der pflegenden Angehörigen” im Mai mit dem „Berliner Pflegebären“ ausgezeichnet.

    Wir müssen erst laut werden, um handeln zu können, müssen darstellen, dass wir keine „Einzelfälle“ sind. Und man muss auch mal feststellen: Wir sind doch unersetzlich.

     

    Warum braucht es Veranstaltungen wie die „Woche der pflegenden Angehörigen“?

    Gesellschaft und Politik nehmen die Angehörigenpflege als selbstverständlich an. Wir werden durch so einen Anlass sichtbarer – wir sind mehr, als man glaubt. Und für jeden pflegenden Angehörigen ist es wertvoll zu erfahren, dass man nicht allein ist mit einer Pflegesituation.

    Wir müssen erst laut werden, um handeln zu können, müssen darstellen, dass wir keine „Einzelfälle“ sind. Und man muss auch mal feststellen: Wir sind doch unersetzlich. In dieser Woche habe ich erfahren, dass ich stolz sein kann, auf das, was ich mache. Ich bin gewachsen.

    Solch ein Event kann eine Veränderung in der Gesellschaft herbeiführen. Wir haben aus Altwerden oder Kranksein ein Tabuthema gemacht – da muss sich etwas ändern.

    Hätten Sie politische Macht – was würden Sie für pflegende Angehörige sofort ändern?

    Es ist an der Zeit, mehr Mitspracherecht zu bekommen, wir brauchen eine Lobby. Pflegende Angehörige müssen sogar mitreden. Ich würde gerne mitreden und gleichzeitig darauf hinweisen, was geändert werden müsste. Als pflegende Angehörige verstehe ich mich als Vermittlerin.

    Was wünschen Sie sich von der Gesellschaft?

    Dazu würde ich gerne klären, was Gesellschaft meint. Es kommt auf die Wortbedeutung an. Gesellschaft beinhaltet, dass wir es nur schaffen, wenn wir Gesellen haben. Wir haben die Bedeutung und die Macht dahinter vergessen, wenn wir gesellig sind, uns Gesellen suchen usw.

    Leider haben wir als Gesellschaft vergessen, auf das zu schauen, was uns verbindet. Im Gegenteil: Wir machen von uns aus Unterschiede, und es entstehen Klassen. Wir sind in eine emotionale Schieflage geraten. Dazu hat auch Corona beigetragen, weil wir uns isolieren mussten.

    Was sind für Sie erfüllende Momente in einer Pflegesituation?

    Das Lachen meiner Söhne (11, 13 und 20 Jahre alt). Mein Fokus liegt auf dem Mittleren mit seinem Autismus. Ich bewundere seine Klarheit, er kennt keinen Neid, ist nicht missgünstig. Es macht ihn aus, dass er das lebt, was ich als menschlich definieren würde. Ich habe in der Hausgemeinschaft eine etwa 30 Jahre alte Autistin. Sie formuliert klar ihre Gefühle – kennt keine Scham. Es ist so einfach und so toll.

    Ehrungen für pflegende Angehörige: Nette Geste oder wichtiges Signal?

    Es gibt zwar lokal einige Möglichkeiten für pflegende Angehörige, sich zu vernetzen und auszutauschen. Auch ihre Arbeit wird hier honoriert. Auf Bundesebene sucht man bislang aber vergebens nach einer Interessenvertretung für Laienpflegende. Woran liegt das? Ein Kommentar unserer Redakteurin Britta Waldmann.

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