„Der besondere Wert der pflegerischen Sorgearbeit spiegelt sich in der erfahrenen Wertschätzung nicht ausreichend wider“

„Der besondere Wert der pflegerischen Sorgearbeit spiegelt sich in der erfahrenen Wertschätzung nicht ausreichend wider“

Einen Angehörigen zu pflegen, ist eine Herausforderung. Diese Leistung wird von Gesellschaft und Politik aber immer noch nicht ausreichend gewürdigt – zumindest auf Bundesebene. Lokale Initiativen sind hier etwas weiter. So werden in Berlin seit 2012 pflegende Angehörige mit dem „Berliner Pflegebären“ ausgezeichnet. Warum es solche Veranstaltungen braucht, warum es aktuell noch keine bundesweite Interessenvertretung gibt und wie pflegende Angehörige endlich gesellschaftlich und politisch Gewicht erhalten könnten? Wir haben nachgefragt.

Mehrere Hände sind im Kreis angeordnet und sichern eine vierköpfige Familie ab.
GettyImages/scyther5
Inhaltsverzeichnis
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    Christian Pälmke

    Der 38-Jährige ist Mitarbeiter der Fachstelle für pflegende Angehörige in Berlin, die die „Woche der pflegenden Angehörigen“ in Berlin organisiert.

    In Gestalt eines großen Elefanten steht die Notwendigkeit einer großen Pflegereform weiterhin im Raum. Und doch kann bundespolitisch schon jetzt an wichtigen Stellschrauben gedreht werden.

     

    Warum braucht es eine Veranstaltungen wie die „Woche der pflegenden Angehörigen“?

    Pflegende Angehörige sind nicht nur ein Bestandteil des Pflegesystems. Sie bilden das Fundament der Versorgung von Menschen mit Pflegebedarf. Aber der besondere Wert der pflegerischen Sorgearbeit spiegelt sich in der erfahrenen Wertschätzung nicht ausreichend wider. Daher braucht es öffentliche Spotlights, die die Bedeutung pflegender Angehöriger für unsere Gesellschaft unterstreichen und ihre Lebens- und Pflegesituation wahrnehmbar machen. So ist die Woche der pflegenden Angehörigen aus meiner Sicht ein Mosaikstein im übergeordneten Bestreben, pflegende Angehörige sicht- und hörbarer zu machen, in der Hoffnung und Erwartung, dass daraus in gemeinsamer gesellschaftlicher Verantwortung substanzielle Verbesserungen erwachsen.

    Hätten Sie politische Macht – was würden Sie für pflegende Angehörige sofort ändern?

    Es ist schwer vorstellbar, dass sich die Situation pflegender Angehöriger im bestehenden Pflegesystem fundamental verbessern lässt. In Gestalt eines großen Elefanten steht die Notwendigkeit einer großen Pflegereform weiterhin im Raum. Und doch kann bundespolitisch schon jetzt an wichtigen Stellschrauben gedreht werden. Zum Beispiel wäre das im Koalitionsvertrag verankerte Vorhaben der Bundesregierung, einen Lohnersatz für berufstätige pflegende Angehörige einzuführen, äußerst wichtig. Allein die Umsetzung steht aus und ist leider nicht in Sicht. Das wäre eine vertane Chance und sicher kein Zeichen von Wertschätzung.

    Zwar gab es daneben ein paar kleinere Weichenstellungen, wie die Einführung des Entlastungsbudgets. Dies wäre auf vier Jahre gesehen aber ein kleiner und kein großer Wurf. Und selbst dieser greift noch zu kurz: Denkbar wäre zum Beispiel, dass Entlastungsbudget um den Leistungssatz der Tagespflege und den Entlastungsbetrag zu ergänzen, um der oft gepriesenen Notwendigkeit flexibler Hilfestellung wirklich entsprechen zu können.

    Die Liste notwendiger Reformschritte ist aber weitaus länger und erstreckt sich nicht zuletzt auch auf die Frage, wie wir pflegende Angehörige finanziell besser absichern, die aufgrund der Pflege nicht mehr erwerbstätig sein können. Diese Punkte sind alle zugleich wichtig und es gibt nicht die eine Maßnahme, die die Dinge grundlegend verändern könnte. Wir müssen die Herausforderungen in der Breite angehen, soll das Fundament der Pflege nicht weiter bröckeln.

    Was wünschen Sie sich von der Gesellschaft?

    Wir brauchen als Gesellschaft ein tiefes Verständnis von der Bedeutung pflegender Angehöriger für unsere Gesellschaft. Dabei müssen wir uns über die konkrete Bedeutung von pflegerischer Sorgearbeit ernsthaft unterhalten und vor allem Schlüsse daraus ziehen. Aus meiner Sicht wäre schon viel gewonnen, wenn wir pflegerische Sorgearbeit als Ausdruck von Solidarität verstehen, die einem tiefen menschlichen Bedürfnis entspringt und das somit kein bloßes „Beiwerk“ des Menschen ist.

    Vielmehr ist das Füreinanderdasein, dass sich in der Pflege ausdrückt und das jeden Tag millionenfach praktiziert wird, ein fundamentaler Wert. Und doch wirkt es so, als sei Sorgearbeit in letzter Konsequenz nicht mehr als eine Randerscheinung des Zusammenlebens. Das zeigt sich zum Beispiel darin, dass wir über pflegende Angehörige – selbst im Kontext der pflegepolitischen Debatten – zumeist nur punktuell und nicht selten sogar gar nicht sprechen.

    Etwas globaler drückt es sich im Verhältnis von Erwerbs- und Sorgearbeit aus, die sich noch immer, wie vermeintliche Gegenpole mit unterschiedlichem Wert gegenüberstehen. Dabei erscheint Erwerbsarbeit als anzuerkennende „echte Leistung“ und Sorgearbeit eher als Beitrag zur „echten Leistung“ – nicht aber als Leistung oder besser noch als fundamentaler Wert an sich. Ich denke, dass wir der pflegerischen Sorgearbeit so nicht gerecht werden können. Und trotzdem besteht große Hoffnung, da wir doch annehmen können, dass wir als Menschen tief im Inneren wissen, wie wichtig Sorgearbeit für jeden Einzelnen, und damit für die Gesellschaft, ist und dass noch kein Mensch ohne Sorgearbeit weit gekommen ist. Daran lässt sich auf individueller und gesellschaftlicher Ebene anknüpfen.

    Was sind für Sie erfüllende Momente in einer Pflegesituation?

    Das ist im Grunde das Schöne: Pflege ist anstrengend, aber an sich keine Last. Die Last entspringt erst den äußeren Umständen – Bürokratie, Kämpfe zur Durchsetzung von Ansprüchen, fehlende passgenaue Unterstützung. Aber einem Menschen zu helfen, der uns im Fall der Pflege zumeist noch nahesteht, ist im Kern etwas Schönes und Sinnstiftendes. Das zeigt die Woche der pflegenden Angehörigen meiner Meinung nach sehr gut. Zum Beispiel werden im Rahmen der Ehrengala pflegende Angehörige stellvertretend für alle pflegenden Angehörigen mit dem Berliner Pflegebären geehrt. Ihre Geschichten stehen für sich und beantworten die Frage besser, als ich es je könnte.

    Aus persönlicher Erfahrung kann ich nur sagen, dass die Zeit und die Momente, in denen ich meine Oma in ihrer letzten Lebensphase begleiten durfte, unsere Beziehung zueinander nochmal verändert hat, und zwar durchweg positiv. Die Pflege hat uns einander nähergebracht.

    Ehrungen für pflegende Angehörige: Nette Geste oder wichtiges Signal?

    Es gibt zwar lokal einige Möglichkeiten für pflegende Angehörige, sich zu vernetzen und auszutauschen. Auch ihre Arbeit wird hier honoriert. Auf Bundesebene sucht man bislang aber vergebens nach einer Interessenvertretung für Laienpflegende. Woran liegt das? Ein Kommentar unserer Redakteurin Britta Waldmann.

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