Seit dem Tod meines Vaters lebt meine 84-jährige Mutter allein. Sie schafft im Alltag vieles nicht mehr und wird jetzt auch langsam dement. Ich wohne fast 350 Kilometer weit weg und tue mein Möglichstes, aber kann ich aus dieser Distanz überhaupt helfen?
Tatsächlich ist eine große Entfernung zwischen Pflegebedürftigen und ihren Angehörigen heutzutage kein Einzelfall: Forschende gehen davon aus, dass rund ein Viertel aller Pflegenden Unterstützung vor allem aus der Ferne leistet. Natürlich können solche „Distance Caregiver“ keine täglichen Aufgaben wie Körperpflege oder Kochen leisten. Dafür übernehmen sie meist wichtige Organisationsarbeiten, beantragen Hilfsmittel, kommunizieren mit Pflegediensten, erledigen Schriftverkehr und halten Kontakt per Telefon. Oft legen sie auch regelmäßig weite Strecken zurück, um vor Ort zu helfen. Sie sollten sich trotz der Distanz deshalb selbstbewusst als pflegende Angehörige wahrnehmen.
Pflege auf Distanz – Tipp 1: Haben Sie kein schlechtes Gewissen, seien Sie selbstbewusst
Viele aus der Ferne Pflegende plagen sich mit einem schlechten Gewissen, weil sie nicht regelmäßig „da sein“ können. Das müssen sie aber nicht, zumal sich kaum einer die Pflege auf Distanz, das sogenannte „Distance Caregiving“, so ausgesucht hat. Machen Sie sich stattdessen bewusst, was Sie alles leisten. Oft kann dabei eine Pflegeberatung helfen, denn viele Angehörige merken erst im Gespräch, wie viel Verantwortung sie tragen und wie hoch ihr Zeitaufwand tatsächlich ist.

Tina Land arbeitet seit 2018 in der Pflegeberatung bei compass. Die gelernte Krankenschwester hat vor ihrer Tätigkeit als Pflegeberaterin zwölf Jahre im Krankenhaus in der Inneren Medizin und auf Intensivstationen sowie im Anschluss in der ambulanten und stationären Pflege sowie im Hospiz gearbeitet. Ihre praktischen Pflege-Erfahrungen und ihr Wissen setzt sie nun ein, um mit Ratsuchenden ihren Hilfebedarf im Rahmen der Beratungsgespräche zu ergründen und individuelle Möglichkeiten der Unterstützung für die jeweiligen Pflegesituationen zu finden.
Pflege auf Distanz –Tipp 2: Bauen Sie sich Netzwerke auf
Wer auf Distanz pflegt, kann nicht alles selbst machen und braucht deshalb Unterstützung vor Ort, idealerweise auf verschiedenen Ebenen.
Ebene 1: Private Netzwerke
Die erste Ebene sind private Netzwerke, die aus Familienmitgliedern, Freunden oder Nachbarn bestehen können. Wir empfehlen, eine Konferenz mit der Pflegebedürftigen und allen Beteiligten zu organisieren – dabei können auch virtuelle Kontaktmöglichkeiten helfen. In dieser Familien- oder Fallkonferenz genannten Runde wird besprochen, wer welche Aufgaben übernimmt, und alles schriftlich in einem Hilfe- und Versorgungsplan festgehalten. Auf Wunsch kann auch ein Pflegeberater oder eine Pflegeberaterin diese Konferenz begleiten.
Ebene 2: Professionelle Netzwerke
Reichen private Netzwerke nicht aus, muss professionelle Hilfe organisiert werden, meist durch Pflege- und Betreuungsdienste oder Tagespflegeeinrichtungen. Auch dafür empfiehlt es sich, Beratung wahrzunehmen, etwa bei Pflegestützpunkten oder als privat Versicherter bei compass. Allen Ratsuchenden steht außerdem die kostenfreie Service Nummer von compass unter 0800 – 101 88 00 offen. Die Beratenden kennen die Angebote in der Umgebung der pflegebedürftigen Person und helfen bei der Beantragung von Leistungen. Viele gute Tipps gibt es auch in dieser Broschüre.
Ebene 3: Technische Hilfsmittel
Als dritte Netzwerk-Ebene können Sie technische Hilfsmittel nutzen. Hier reichen die Möglichkeiten von der Videotelefonie über einen Hausnotruf bis hin zu praktischen Pflege-Apps.
Pflege auf Distanz – Tipp 3: Sorgen Sie für Notfallsituationen vor
Notfälle können sehr plötzlich auftreten, und als aus der Entfernung Pflegender können Sie nicht sofort vor Ort sein. Darum ist es wichtig, Sicherungsleinen zu spannen. So können der obengenannte Hausnotruf und eine Schlüsselbox für Nothelferinnen und Nothelfer dafür sorgen, dass Hilfe schnell verfügbar ist. Gut ist außerdem, wenn es einen Ansprechpartner in der Nähe der Pflegebedürftigen gibt, der sich kümmert, bis Sie selbst da sind.
Neben der Sicherstellung von Akuthilfe sollte unbedingt rechtliche Vorsorge getroffen werden, und zwar mit Hilfe einer Vorsorgevollmacht oder Betreuungsverfügung, auf Wunsch auch durch eine Patientenverfügung der Pflegebedürftigen. Nur so ist sichergestellt, dass im Ernstfall die Wünsche der Betroffenen berücksichtigt werden – und Sie als Angehörige das Recht haben, sie zu vertreten. Gerade bei einer beginnenden Demenz sollten Sie hier rasch aktiv werden.
Pflege auf Distanz – Tipp 4: Lernen Sie, loszulassen
Diejenigen, die Pflege aus der Ferne leisten (Distance Caregiver), leiden häufig darunter, zu wenig Einblick in die Pflegesituation vor Ort zu haben. Tatsächlich sind die Kontrollmöglichkeiten begrenzt, man muss sich viel auf andere verlassen und manchmal aushalten, dass Dinge nicht so laufen, wie geplant. Wenn Sie die ersten drei Tipps erfolgreich umsetzen konnten, es also ein Hilfenetzwerk gibt, Hilfsmittel vorhanden sind und Sie für den Notfall vorgesorgt haben, sorgen Sie auch für sich selbst. Für die eigene Gesundheit ist es unerlässlich, Grenzen zu akzeptieren und auch mal loslassen zu können. Denn nur mit guter Selbstfürsorge und ausreichend Zeit für sich selbst, Familie und Freunde bleibt Ihnen genug Kraft, um die Pflege auf Distanz erfolgreich zu meistern und gesund zu bleiben.