Pflege aus der Ferne: Pendeln und Telefonate
Sigrid F. (49) kümmert sich aus 200 Kilometer Entfernung um ihre pflegebedürftigen Eltern. Da sie voll berufstätig ist, bleibt neben Job und Pflege kaum noch Zeit für etwas anderes.
„Vor Ort wäre vieles leichter“
Einmal am Tag kommt eine Hilfe vorbei, die sauber macht und nach ihr schaut. Sie kümmert sich sehr liebevoll um meine Mutter und bringt ihr auch am Wochenende Essen vorbei. Ich fahre fast jedes Wochenende zu meinen Eltern und rufe jeden Tag zu Hause an. Die Situation ist ganz schön stressig. Ich bin kaum noch zu Hause und habe eigentlich kein Privatleben mehr. Meine eigene Familie möchte ja auch Zeit mit mir verbringen – ich habe eine erwachsene Tochter und einen Lebensgefährten. Gleichzeitig habe ich ein schlechtes Gewissen, wenn ich es mal nicht schaffe, zu meinen Eltern zu fahren.
Was mir in dieser Situation hilft, ist regelmäßiges Meditieren. Ich meditiere jeden Tag für 15 bis 30 Minuten; das ist ein festes Ritual für mich geworden. Dadurch werde ich ruhiger und kann innerlich komplett abschalten. Wenn ich damit mal eine Weile aussetze, merke ich sofort, dass ich ungeduldiger werde und mich schneller aufrege. Zusätzlich praktiziere ich drei- bis viermal pro Woche Hatha-Yoga. Das ist ein sehr guter Ausgleich für mich. Wenn ich vor Ort wäre, wäre vieles leichter. Am schlimmsten ist es, wenn ich anrufe und meine Mutter geht nicht ans Telefon. Dann erschrecke ich gleich und denke: Was ist jetzt wieder passiert?
Mein Vater ist schon seit vielen Jahren an Demenz erkrankt. Meine Mutter hat sich immer um ihn gekümmert. Als sie dann einen Schlaganfall erlitt, ist das ganze System zusammengebrochen. Der Schlaganfall war zwar nur ein leichter, aber sie war für acht Wochen im Krankenhaus und anschließend noch in der Reha. Als das mit dem Schlaganfall passierte, bin ich gleich runtergefahren, um die Betreuung für meinen Vater zu organisieren. Ich wohne etwa 200 Kilometer entfernt und arbeite mit einer vollen Stelle. Da ich zu diesem Zeitpunkt meinen Jahresurlaub schon komplett genommen hatte, bin ich in die Minusstunden gegangen. Damals wusste ich nicht, dass mir für zehn Tage Pflegeunterstützungsgeld zugestanden hätte. Das hätte es mir wirklich erleichtert, die Pflege meiner Eltern zu organisieren.
Für meinen Vater war es richtig schlimm, als meine Mutter ins Krankenhaus musste. Bis ich kam, hat er allein zu Hause gesessen und seine Frau gesucht. Als er dann mitbekam, dass sie im Krankenhaus ist, hat er geweint und gesagt: „Meine Frau ist gestorben.“ Ich habe ihm dann in Ruhe erklärt, was passiert ist, und konnte ihn beruhigen. Ich hätte ihn in dieser Zeit nicht allein lassen können. Ich habe dann versucht, einen Pflegeplatz für ihn zu finden. Etwa 30 bis 40 Heime habe ich durchtelefoniert – niemand hatte einen Platz frei. Ich habe immer nur gedacht: Was mache ich bloß, wenn ich keine Pflegestelle bekomme? Dann hatte ich Glück. Ein Heimleiter aus dem Nachbardorf rief mich zurück und sagte, dass er zum Ende der Woche wahrscheinlich einen Platz für meinen Vater hätte. Ich war unheimlich erleichtert. Das Heim ist sehr familiär, es gibt nur 20 Bewohner und eine spezielle Demenzgruppe. Meinem Vater habe ich gesagt, dass er in die Reha geht. Er hätte das mit dem Heim nicht gut verkraftet.
Mittlerweile hat sich die Situation stabilisiert. Meine Mutter ist wieder zu Hause. Wir haben einen Pflegegrad für sie beantragt – ohne Hilfe kommt sie nicht mehr zurecht. Wir teilen uns die Pflege nun auf: Mein Bruder und meine Schwägerin, die vor Ort wohnen, unterstützen meine Mutter unter der Woche; ich komme am Wochenende. Meine Schwägerin fährt jeden Morgen zu ihr, um ihr bei der Morgentoilette und bei der Einnahme der Medikamente zu helfen. Meiner Mutter ist häufig schwindlig, und wir haben Sorge, dass sie stürzt, wenn sie alleine ist.
Einmal am Tag kommt eine Hilfe vorbei, die sauber macht und nach ihr schaut. Sie kümmert sich sehr liebevoll um meine Mutter und bringt ihr auch am Wochenende Essen vorbei. Ich fahre fast jedes Wochenende zu meinen Eltern und rufe jeden Tag zu Hause an. Die Situation ist ganz schön stressig. Ich bin kaum noch zu Hause und habe eigentlich kein Privatleben mehr. Meine eigene Familie möchte ja auch Zeit mit mir verbringen – ich habe eine erwachsene Tochter und einen Lebensgefährten. Gleichzeitig habe ich ein schlechtes Gewissen, wenn ich es mal nicht schaffe, zu meinen Eltern zu fahren.
Was mir in dieser Situation hilft, ist regelmäßiges Meditieren. Ich meditiere jeden Tag für 15 bis 30 Minuten; das ist ein festes Ritual für mich geworden. Dadurch werde ich ruhiger und kann innerlich komplett abschalten. Wenn ich damit mal eine Weile aussetze, merke ich sofort, dass ich ungeduldiger werde und mich schneller aufrege. Zusätzlich praktiziere ich drei- bis viermal pro Woche Hatha-Yoga. Das ist ein sehr guter Ausgleich für mich. Wenn ich vor Ort wäre, wäre vieles leichter. Am schlimmsten ist es, wenn ich anrufe und meine Mutter geht nicht ans Telefon. Dann erschrecke ich gleich und denke: Was ist jetzt wieder passiert?
Tanja S. (36) hat sechs Jahre lang aus der Ferne ihre über 90-jährige Großmutter gepflegt. Die ganze Familie war in die Betreuung eingebunden.
„Ich würde es immer wieder so machen“
Als meine Großmutter mit 92 Jahren einen Schlaganfall erlitt und so unglücklich im Krankenhaus war, habe ich zu ihr gesagt: „Du kommst wieder nach Hause, wir bekommen das hin!“ Das war so etwas wie ein Versprechen. Meiner Großmutter ist es immer sehr wichtig gewesen, unabhängig zu sein. Und gemeinsam mit meinem Bruder und meinen Eltern haben wir es geschafft, dass sie bis zu ihrem Tod, sechs Tage vor ihrem 98. Geburtstag, in ihrer vertrauten Umgebung leben konnte.
Ich bin Krankenschwester und Pflegewissenschaftlerin, deshalb habe ich von Anfang an ein fachliches Auge auf die medizinische und pflegerische Betreuung gehabt. Nach dem Schlaganfall haben wir zum Beispiel eine Reha beantragt, damit meine Oma schnell wieder mobil wird. Die Reha wurde aber abgelehnt. Weil ich weiß, wie wichtig diese Maßnahme ist, habe ich mir vier Wochen frei genommen und mit meiner Großmutter selbst eine Art geriatrische Reha durchgeführt. Ich habe mit ihr zu Hause geübt, aus dem Bett aufzustehen, einige Schritte zu laufen und alltägliche Dinge auszuführen. Nach diesen vier Wochen war sie dann so weit, dass sie wieder selbstständig essen, etwa fünf bis zehn Meter in der Wohnung gehen und sich allein vom Rollstuhl auf einen Stuhl umsetzen konnte.
Mein Bruder ist zu meiner Oma gezogen und hat einen Großteil der Pflege organisiert. Auch meine Eltern – zu diesem Zeitpunkt beide noch berufstätig – haben bei der Pflege mitgeholfen. Ich selbst habe 460 Kilometer entfernt gewohnt und bin mindestens einmal im Monat zu meiner Großmutter gefahren, häufig für eine Woche. Mehrere Male ist meine Oma auch zu mir nach Wuppertal in die Kurzzeitpflege gekommen. Ansonsten habe ich vieles telefonisch organisiert und war für alle medizinischen und pflegerischen Fragen die Ansprechpartnerin – auch für den ambulanten Pflegedienst, der jeden Tag gekommen ist.
Meine Großmutter war schon seit 30 Jahren an einer Herzinsuffizienz erkrankt, als sie den Schlaganfall erlitt. Sie hat deshalb viele Medikamente genommen, von Blutdrucksenkern bis hin zu Entwässerungsmitteln. Oft hat sie zu viel ausgeschieden, dann musste die Medikation kurzfristig angepasst werden. Ich habe phasenweise jeden Morgen mit dem Pflegedienst telefoniert, wenn der Wasserhaushalt mal wieder entgleiste oder andere Unsicherheiten auftauchten. Eine Freundin meinte mal, ich wäre quasi der „Telefonjoker“ bei allen fachlichen Fragen – und so war es wohl auch.
Ich habe schon als Kind ein sehr enges Verhältnis zu meiner Großmutter gehabt. Meine Eltern waren beide berufstätig, und so verbrachten mein Bruder und ich jeden Sommer vier Wochen bei meinen Großeltern auf dem Lande. Meine Großmutter war immer eine sehr emanzipierte Frau, die viel Optimismus und Lebensfreude ausstrahlte. Sie war bis zu ihrem Tod geistig klar und für unsere Hilfe sehr dankbar. Sie hat es uns sehr leicht gemacht, uns um sie zu kümmern.
Trotzdem ist es eine anstrengende Zeit gewesen. Es ist sehr schwierig, die Pflege eines Angehörigen mit einem Vollzeitjob in Einklang zu bringen. Ich habe zu dieser Zeit als wissenschaftliche Mitarbeiterin in einem Projekt mitgearbeitet, in dem es um pflegende Angehörige ging. Meine Kollegen hatten also viel Verständnis für meine Situation. Das wäre in einem anderen Job vielleicht anders gewesen. Als belastend habe ich vor allem erlebt, permanent auf Abruf zu sein und immer aufzuschrecken, wenn das Telefon klingelt. Gleichzeitig wollte ich auch immer erreichbar sein und bin nie ohne Handy aus dem Haus gegangen.
Ich würde es immer wieder so machen und ich bin sehr froh, dass wir das gemeinsam hinbekommen haben. Man wächst als Familie zusammen und entwickelt sich als Person weiter. Für mich war das eine sehr wertvolle Erfahrung. Heute weiß ich viel besser, was pflegende Angehörige brauchen.