Leben mit Parkinson: Das Positive im Leben sehen

Leben mit Parkinson: Das Positive im Leben sehen

Stefan Berg, vier Kinder, Redakteur beim „Spiegel“, war 44, als er an Parkinson erkrankte. In „Zitterpartie“ erzählt er die fiktive Geschichte eines Mannes, der sich von der unheilbaren Krankheit nicht unterkriegen lässt. Wir sprachen mit ihm über seine persönlichen Erfahrungen mit Parkinson und wie die Diagnose sein Leben änderte.
Leben mit Parkinson
© iStock.com | michellegibson
Herr Berg, im Jahr 2008 wurde bei Ihnen Morbus Parkinson diagnostiziert. Wie geht es Ihnen heute?

Berg: Gut, danke.

Was waren die ersten Anzeichen der Krankheit?

Berg: Es begann schleichend. Die ersten Symptome traten, so erinnere ich mich, im Jahr 2004 auf. Damals konnte ich plötzlich meinen Arm nicht mehr durchstrecken, als hätte ich Muskelkater. Außerdem kam in mir häufig eine wachsende Unruhe auf, was ich aber zunächst auf Stress zurückgeführt habe. Ich war damals ja stellvertretender Ressortleiter beim „Spiegel“.

Wann wurde Ihnen klar, dass Sie an Parkinson erkrankt sind?

Berg: Die Symptome klangen irgendwann auch nach Urlauben und trotz Entspannungsübungen nicht mehr ab, bis ich schließlich 2008 im Alter von 44 Jahren die Diagnose erhielt. Seitdem bin ich – wie ich es ironisch nenne – „Parkinese“.

Wie ging es dann weiter?

Berg: Ich erhielt Medikamente und bin dann relativ schnell in eine medizinische Rehabilitation nach Bad Buchau gegangen. Dort hab ich erlebt, wie andere mit ihren Krankheiten umgehen. Diese Einrichtung war keine Spezialklinik für Parkinson, sondern für Menschen mit verschiedenen Krankheiten. Dort waren Menschen mit Multipler Sklerose (MS), andere hatten einen Schlaganfall hinter sich, also Krankheiten, die eine Einschränkung der Bewegung zur Folge haben. Diese Erfahrung hat mir sehr geholfen, das Leben zu sortieren.

Was war das Ergebnis dieser Sortierung des Lebens?

Berg: Ich habe mich aus der Ressortleitung beim Spiegel zurückgezogen und die Arbeitszeit auf 80 Prozent reduziert. Bis zum Jahr 2012 ging es ganz gut. Dann aber wurden die Symptome erneut schlimmer, vor allem große Bewegungen fielen mir schwer, beim Fahrradfahren wurde ich immer unsicherer. Das Gehen bereitete mir manchmal größere Probleme. Ich hab mich dann einen Monat in der Parkinson-Spezialklinik in Beelitz-Heilstätten behandeln lassen. Dort wurde ich medikamentös neu eingestellt. Seitdem geht es mir wieder wesentlich besser.

Sie haben eine Erzählung „Zitterpartie“ geschrieben, die gerade neu als Taschenbuch erschienen ist. Was hat Sie dazu bewogen?

Berg: Zunächst wollte ich gar kein Buch schreiben, sondern für mich selbst klären, was die wichtigsten Momente im Krankheitsverlauf waren. Dann hab ich gemerkt, dass man daraus ein Buch machen könnte.

Worum geht es in dem Buch?

Berg: Die Erzählung handelt von einem Mann, der mit Mitte 40 an Parkinson erkrankt und zeitgleich eine Frau kennenlernt. Die neue Liebe und die Krankheit werfen sein gesamtes Leben durcheinander. Der Mann hat gewisse Ähnlichkeiten mit mir, die Frau ist frei erfunden. Ich hab diese Erzählform gewählt, weil ich die Dinge so dramatischer beschreiben konnte, als hätte ich konkret über mich geschrieben, denn dann müsste jedes Detail stimmen.

Haben Sie zum ersten Mal eine Erzählung, also eine Fiktion, geschrieben?
Berg: Ja. Das war eine ganz neue Erfahrung.

Wie sehr haben Sie sich denn mit Parkinson beschäftigt? Haben Sie nach der Diagnose viel recherchiert?

Berg: Natürlich wollte ich viel wissen. Aber man darf sich auch nicht nur auf die Krankheit fixieren, sonst redet man sich alle möglichen Symptome ein. Parkinson kann ja sehr verschieden auftreten. Man muss auch ein Stück weit verdrängen können und eine neue Selbstdefinition finden. Ich versuche, mich auf das Positive im Leben zu fixieren.

Sie waren zum Zeitpunkt der Diagnose ein erfolgreicher Journalist. Wie schwer war es für Sie, eine, wie Sie sagen, neue Selbstdefinition zu finden?
Berg: Jeder Kranke muss einen Prozess der neuen Selbstannahme durchlaufen, und das ist sehr schwer. Ich musste mich an mich neu gewöhnen. Von bestimmten Dingen galt es Abschied zu nehmen, aber ich konnte mich dann auch für neue Dinge öffnen. Ich war immer sehr aktiv und fit. Jetzt mache ich immer noch viel, aber ich brauche eben auch öfter mal eine Pause. Es geht langsamer.

Wer hat Ihnen beim Prozess der Selbstannahme geholfen?

Berg: Da waren ganz viele Menschen, zuerst natürlich meine Familie, die mir Halt gegeben hat, aber auch viele Gespräche mit meinen Ärzten, Therapeuten und mit anderen Patienten, mit neuen und mit alten Freunden. Am meisten haben mir Gespräche mit anderen Patienten geholfen, vor allem solche, die sehr fröhlich waren. In Bad Buchau waren wir eine Gruppe lustiger Invaliden, so haben wir uns im Spaß genannt. Wir haben gelernt, auf unsere Krankheit mit einem Stück Humor zu schauen. Dazu kommt eine religiöse Komponente.

Der Glaube an Gott hält Sie?

Berg: Jedenfalls haben mir biblische Texte stark geholfen zu erkennen, dass der Mensch sich in den vergangenen zwei oder drei Jahrtausenden trotz aller Hightech-Produkte nicht wesentlich verändert hat. Die Ängste, Hoffnungen und Sehnsüchte sind heute die gleichen wie damals. In der Bibel gibt es starke Texte, die eine Ermutigung sind.

Machen Sie sich Gedanken, wie es weitergeht? Lässt sich ein Verlauf der Krankheit prognostizieren?

Berg: Wissen Sie denn, wie es bei Ihnen weitergeht? Sie können auch morgen vom Auto überfahren werden. Mit der Frage beschäftige ich mich nicht. Ich weiß, welche Optionen es gibt. Es kann sein, dass ich die nächsten Jahre sehr stabil bin. Es kann auch sein, dass ich eine sogenannte Tiefe Hirnstimulation erhalte, also das, was häufig als Hirnschrittmacher bezeichnet wird. Aber darüber mache ich mir jetzt noch keine großen Gedanken. Ich treibe viel Sport, fahre 3000 bis 4000 Kilometer Rennrad im Jahr. Jeden Tag zwei Stunden Sport, das ist wichtig.

Sie haben eine 80-Prozent-Stelle beim Spiegel, machen jeden Tag zwei Stunden Sport, haben vier Kinder und schreiben nebenbei ein Buch. Das klingt nach Stress, auch für Nicht-„Parkinesen“.

Berg: Ich habe auch Tage, an denen ich mich ausruhe. Meine journalistische Tätigkeit kann ich mir sehr gut einteilen. Ich arbeite für verschiedene Spiegel-Produkte, also nicht mehr nur für die wöchentliche Hauptausgabe des Spiegel, sondern auch für unsere Monatsmagazine. Das ist wesentlich weniger Stress. Und mein jüngster Sohn ist 19, braucht also auch keine Betreuung mehr.

Sie wirken sehr positiv und haben durch die Diagnose Parkinson neue Sachen ausprobiert, etwa das Buch. Würden Sie sagen, die Krankheit ist auch eine Chance?

Berg: Natürlich hätte ich die Krankheit lieber nicht. Aber ich versuche, dieses Negativerlebnis positiv aufzunehmen. Mir ist viel Positives geschenkt worden: Meine Familie stützt mich, ich hatte viele gute Gespräche mit anderen Patienten und natürlich haben mir die Ärzte und Therapeuten sehr geholfen.

Sie haben wiederholt die Behandlung durch Ihre Ärzte gelobt. Wie fällt denn Ihr Urteil über das Gesundheitssystem aus?

Berg: Ich bin mit dem Gesundheitssystem sehr zufrieden. Natürlich höre ich die vielen Klagen und lese auch im Spiegel immer über die Mängel. Aber meine persönliche Erfahrung ist, dass die Versorgung wirklich großartig ist, auch für mich als normalen Kassenpatienten. Ich bin immer in der gesetzlichen Krankenversicherung geblieben, weil ich das Solidarprinzip für richtig halte. Zu wünschen wäre, dass das gesamte medizinische Personal mehr Anerkennung erfahren würde, also nicht nur die Ärzte, sondern auch die Pflegekräfte und die Therapeuten. Ich bin sehr dankbar für die guten Ärzte, die mich behandelt haben, aber mindestens genauso dankbar bin ich für die guten Physio- und Ergotherapeuten sowie die Logopäden, die mir sehr geholfen haben.

Was raten Sie an Parkinson Erkrankten?

Berg: Ich würde jedem Erkrankten raten, eine Spezialklinik für eine längerfristige Beobachtung aufzusuchen. Ich selbst war zu Beginn meiner Krankheit bei einer niedergelassenen Neurologin in Behandlung. Aber in den Sprechstunden bleibt oft nicht genug Zeit für den einzelnen Patienten. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass die medikamentöse Einstellung in einer Fachklinik wesentlich besser ist.

Weshalb ist das so?

Berg: Wenn ich einmal pro Monat zum Neurologen gehe, dann bekommt der womöglich ein falsches Bild von mir. Entweder spielt ihm der Patient vor, wie gut es ihm doch eigentlich geht, oder er ist so erschöpft, dass er viel mehr Symptome zeigt, als er in normalem Zustand hätte. Ein realistisches Bild erhält der Arzt nur, wenn er den Patienten über einen längeren Zeitraum täglich beobachten kann. Für mich war es deshalb ein Segen, in der Fachklinik in Beelitz-Heilstätten behandelt zu werden.

Was kann in der Behandlung verbessert werden?

Berg: Die Potenziale der Patienten sollten stärker in den Vordergrund rücken. Derzeit fixiert sich fast alles darauf, was die Kranken nicht mehr können. Die medizinischen Tests zielen auf die Symptome ab, aber die Frage, was einem Spaß
macht, was die jüngsten Erfolgserlebnisse sind, wird selten gestellt. Die medizinische Behandlung ist sehr gut, aber die persönliche Unterstützung und das individuelle Coaching der Kranken können noch deutlich besser werden. Ich will nicht auf meine Krankheit reduziert werden.

Haben Sie da eine konkrete Idee?

Berg: Ja, ich wünsche mir, dass das Wort „noch“ nicht mehr verwendet wird. Oft werden Patienten gefragt, ob sie etwas „noch“ können. Das baut nicht gerade auf.

Vielen Dank für das Gespräch, Herr Berg.