Gesundheitliche Versorgungsplanung: Mein Wille geschehe

Nichts ist so gewiss wie die Tatsache, dass jedes Leben einmal endet. Doch nur selten denken Menschen bei guter Gesundheit über das Sterben und ihre letzte Lebenszeit nach, jeder vierte Deutsche beschäftigt sich sogar nie damit.
Spätestens mit dem Umzug in eine stationäre Pflegeeinrichtung oder der Einweisung ins Krankenhaus aufgrund einer schwerwiegenden Krankheit wird Betroffenen und ihren Angehörigen bewusst, dass der Eintritt in die letzte Lebensphase gekommen ist.
Die letzte Lebensphase und die moderne Medizin
In Zeiten einer zunehmend technisierten Medizin mit scheinbar unbegrenzten therapeutischen Möglichkeiten wird der letzten Lebensphase recht wenig Beachtung geschenkt. Vielen Ärztinnen und Ärzten (im Folgenden Ärzte) fällt es schwer, eine Behandlung abzubrechen oder gar nicht erst aufzunehmen. Nichts zu tun und das Sterben zuzulassen oder sogar dabei zu unterstützen, widerspricht dem ärztlichen Selbstbild.
Aber wie bei allen Behandlungen gilt auch am Lebensende: Was der Arzt tut, muss dem Willen der Patientin oder des Patienten (im Folgenden Patient) entsprechen. Medizinische Eingriffe ohne Einwilligung des Patienten gelten in der Regel als Körperverletzung.
In der akuten Behandlungsphase ist dieses Prinzip leicht einzuhalten: Patienten mit einem Beinbruch oder einer Blinddarmentzündung sind meist mit der medizinisch angezeigten Behandlung einverstanden. Bei unheilbaren Erkrankungen und schweren Beeinträchtigungen sieht es oft anders aus: Operation oder Chemotherapie könnten das Leben des Patienten verlängern – aber auch sein Leiden.
In einer repräsentativen Umfrage des Sozialwissenschaftlichen Instituts der Evangelischen Kirche gab jeder zweite erwachsene Deutsche an, Angst vor dem Tod zu haben. In der Altersgruppe der unter 30-Jährigen liegt der Anteil sogar bei 70 Prozent, mit steigendem Alter nimmt die Angst vor dem eigenen Tod eher ab. In der Gruppe der 80-Jährigen fürchten sich jedoch immer noch 30 Prozent der Befragten vor ihrem Lebensende.
Wer über das Ende seines Lebens nachdenkt, hat oft Angst, unter Schmerzen leiden zu müssen oder abhängig von Maschinen und den Entscheidungen anderer zu sein. So sind die Angaben hinsichtlich der Angst vor einem langen Sterbeprozess (62 Prozent), vor starken Schmerzen oder schwerer Atemnot (60 Prozent) und der Sorge, der eigenen Familie zur Last zu fallen (54 Prozent) am stärksten verbreitet.
Selbstbestimmt und würdevoll bis zum Schluss
Solange ein Patient selbst mit Ärzten sprechen oder sich äußern kann, etwa durch Kopfschütteln oder Nicken, kann er selbst in eine medizinische Behandlung einwilligen oder diese ablehnen. Ist ein Mensch also bei klarem Bewusstsein, spielt die Patientenverfügung keine Rolle.
Ist ein Patient nicht einwilligungsfähig, muss der behandelnde Arzt über weitere medizinische Maßnahmen entscheiden. Dies geschieht bestenfalls im Gespräch mit den Angehörigen, oft sind diese aber von der Situation selbst überwältigt, wissen nicht um die Wünsche des Betroffenen oder sind im ungünstigsten Fall nicht erreichbar.
Eine schriftliche Patientenverfügung soll daher sicherstellen, dass der Wille und die Vorstellung vom Lebensende zählen, wenn es dem Betroffenen unwiederbringlich nicht mehr möglich ist, sich in einer aussichtslosen Krankheitssituation bewusst zu äußern.
Wurde keine Vorsorge getroffen, können – entgegen der verbreiteten Meinung – die Ehepartner oder die eigenen Kinder nicht automatisch Entscheidungen treffen. Daher ist es sinnvoll, wenn die Verfasserin oder der Verfasser der Patientenverfügung gleichzeitig eine Vorsorgevollmacht erstellt: Die oder der Bevollmächtigte setzt sich dann dafür ein, dass der in der Patientenverfügung niedergelegte Wille umgesetzt wird.
Gibt es keine Vorsorgevollmacht, muss vom Gericht ein gesetzlicher Betreuer bestellt werden, um die Vorgaben der Patientenverfügung umzusetzen. Dies kann unter Umständen einige Zeit in Anspruch nehmen, in der keine Entscheidungen getroffen werden können.
Dabei sollte bedacht werden, dass möglicherweise eine Person als Betreuer eingesetzt wird, die a) der Betreute überhaupt nicht kennt und die b) grundsätzlich befugt ist, in ärztliche Maßnahmen auch gegen den natürlichen Willen eines im Rechtssinne einwilligungsunfähigen Betreuten einzuwilligen.
Nach aktuellen Schätzungen des Deutschen Bundestages besitzen nicht einmal zehn Prozent der Deutschen eine Vorsorgevollmacht und/oder eine Patientenverfügung. Das medizinische System in Deutschland ist eher darauf ausgerichtet, den Tod zu vermeiden.
Aber die stetige Zunahme der Lebenserwartung der Bevölkerung und/oder chronisch fortschreitende Erkrankungen machen eine intensive Auseinandersetzung mit Fragen, insbesondere zu pflegerischen Maßnahmen und medizinischen Behandlungen sowie psychosozialer Unterstützung in Vorbereitung auf die letzte Lebensphase, erforderlich.
Studienergebnisse des Berliner Instituts für Bevölkerung und Entwicklung zeigen deutlich, dass es insgesamt einen Bedarf gibt, sich mit der Endlichkeit des Lebens zu befassen, jedoch anders als es derzeit der Fall ist. 75 Prozent der Befragten betrachten es allgemein als Missstand, dass das Thema Sterben verdrängt wird. Gleichzeitig verändern sich gesellschaftliche Strukturen.
Familien und Freunde wohnen immer öfter weit verstreut, die Zahl der Singlehaushalte steigt und das traditionelle Rollenmodell der, häufig weiblichen, pflegenden Angehörigen ist mit den beruflichen Wünschen und Wirklichkeiten vieler Frauen nicht mehr vereinbar.
Welche Befürchtungen und Hoffnungen Menschen mit ihrem eigenen Lebensende verbinden, hängt wesentlich damit zusammen, wie sie die Angebote in der Gesundheits- und Palliativversorgung vor Ort kennen und wahrnehmen, aber auch mit den persönlichen Erfahrungen, welche diejenigen mit der Begleitung Sterbender innerhalb bestehender Strukturen bereits erlebt haben.
Gesundheitliche Versorgungsplanung
Die gesundheitliche Versorgungsplanung für die letzte Lebensphase stützt sich auf den § 132g SGB V und bedeutet, dass zugelassene Pflegeeinrichtungen und Einrichtungen der Eingliederungshilfe für behinderte Menschen eine gesundheitliche Versorgungsplanung für die letzte Lebensphase anbieten können.
Diese beinhaltet ein individuell zugeschnittenes Beratungsangebot über die medizinisch-pflegerische Versorgung und Betreuung in der letzten Lebensphase. Die Kosten trägt bei gesetzlich Versicherten die jeweilige Krankenkasse.
Die Wünsche und Vorstellungen des Menschen stehen im Mittelpunkt, um ihm Sicherheit zu geben und seine Würde zu schützen. Dabei wird bedürfnisorientiert auf medizinische Abläufe in der letzten Lebensphase und während des Sterbeprozesses eingegangen, mögliche Notfallsituationen besprochen und geeignete Maßnahmen zur palliativen und psychosozialen Versorgung dargestellt.
Die adäquate Umsetzung dieser Idee erfordert zwangsläufig eine vor-ausschauende und vorausplanende Kommunikation aller an der Versorgung und Begleitung beteiligten Personen, zum Beispiel in Form von interprofessionellen Fallgesprächen.
Nur so können unnötige Krankenhauseinweisungen oder nicht erwünschte Behandlungen vermieden und Fehlinformationen im Notfall, in Krisensituationen oder dem Sterbeprozess reduziert werden. Bestandteil der Beratungsgespräche ist auch das Angebot zur Aufklärung über bestehende rechtliche Vorsorgeinstrumente (insbesondere Patientenverfügung, Vorsorgevollmacht und Betreuungsvollmacht) bzw. die Möglichkeit ihrer Aktualisierung.
Auseinandersetzung mit Tod gewinnt an Bedeutung
Der demografische Wandel setzt das Thema langfristig auf die Agenda: In einigen deutschen Landkreisen dürften im Jahr 2035 statistisch auf eine Geburt vier Beerdigungen kommen – heute liegt das Verhältnis dort bei eins zu zwei. Was vielen als Privatangelegenheit erscheint, wird angesichts der Zunahme an Sterbefällen auch zu einem gesellschaftspolitischen Thema: Die Alterung der Bevölkerung wird einen neuen Umgang mit dem Sterben fordern.
Das verdeutlicht die Notwendigkeit einer nachhaltigen Strategie der gesundheitlichen Versorgungsplanung für die letzte Lebensphase und das flächendeckend im Gesundheitswesen, also nicht allein im stationären Bereich, sondern mit Blick auf die zukünftig gesellschaftlichen Entwicklungen ebenfalls die Ausweitung auf den ambulanten Sektor.
Der Begriff „letzte Lebensphase“ wirkt allerdings irreführend, denn niemand kann den Eintritt in die selbige datieren beziehungsweise den Zeitpunkt seiner letzten Lebenstage vorhersagen.
So kann es auch einen jungen Menschen betreffen, der im akuten Fall eines Unfalls oder einer unheilbaren Krankheit plötzlich nicht mehr ansprechbar auf einer Intensivstation liegt. Die letzte Lebensphase betrifft früher oder später jeden und ist damit eine Situation, die nicht nur betagte Menschen angeht.
Wenn es gelingt, den Tod als Teil des Lebens zu entmystifizieren, das Sterben als einen natürlichen Abschnitt unseres Daseins zu begreifen und wir lernen, ihm ohne Angst zu begegnen, kann uns das helfen, bewusster zu leben. Und damit auch die Möglichkeit eröffnen, Dinge zu regeln, solange es eigenverantwortlich möglich ist, um Angehörige, Ärzte sowie Betreuerinnen und Betreuer nicht mit der Verantwortung zurückzulassen, die Entscheidung über Leben und Tod treffen zu müssen.
Die gesundheitliche Versorgungsplanung beschäftigt sich nicht allein mit Tod und Sterben. Vielmehr geht es darum, die Zeit bis dahin bestmöglich zu planen und lebenswert zu gestalten, die individuelle Lebensqualität im Fokus, die Würde des Einzelnen schützend, basierend auf persönlichen Vorstellungen und Wünschen.