Hand aufs Herz: Wie oft vergessen Sie die kleinen Dinge um Sie herum, die jetzt gerade geschehen? Die Angehörigenpflege lenkt die Aufmerksamkeit häufig auf tiefgreifende Themen: Sorgen um die Finanzierung der Pflege, die Herausforderung, den eigenen Alltag, Beruf oder Familienleben unter einen Hut zu bringen und natürlich der Gesundheitszustand des zu pflegenden Menschen. Mit dem Thema Achtsamkeit bringen Sie sich zurück in die Gegenwart, und das hat viele Vorteile.
Was ist Achtsamkeit?
Der Begriff Achtsamkeit stammt ursprünglich aus dem Buddhismus. Er beschreibt eine besondere Form der Aufmerksamkeit. Die Achtsamkeitsdefinition rückt den gegenwärtigen Moment in den Mittelpunkt. Es geht darum, aktuelle Momente bewusst wahrzunehmen, ohne darüber zu urteilen.
Bei der Achtsamkeit beschäftigen Sie sich mit dem, was gerade in Ihnen und um Sie herum geschieht. Das Thema ist längst nicht mehr nur etwas für Anhänger des Buddhismus – Achtsamkeit finden Sie mittlerweile in therapeutischen Konzepten, beispielsweise in der modernen Psychologie und Stressbewältigung.
Achtsamkeit im Pflegealltag: Wer achtsam ist, lebt stressfreier
Sich um ein Familienmitglied zu kümmern, ist eine sehr erfüllende Aufgabe. Gleichzeitig bedeutet die Angehörigenpflege eine große Herausforderung. Beteiligte fühlen sich oft innerlich zerrissen – sie pendeln gedanklich zwischen Job und Pflege oder zwischen der Pflege und der Erfüllung der eigenen Bedürfnisse.
Laut einer Studie des Sozialverbandes VdK fühlt sich sogar jeder Dritte bei der Angehörigenpflege überfordert. Zwar schaffen Leistungen der Pflegekasse wie Online-Pflegekurse, Verhinderungspflege und Tagespflege Entlastung, trotzdem bleibt ein gewisser Stresspegel. Genau an dieser Stelle könnte ein Achtsamkeitstraining sinnvoll sein.
Spezielle Übungen schaffen Platz für Ihre eigenen Gedanken, Gefühle und körperlichen Empfindungen, die im Pflegealltag womöglich zu kurz kommen. Indem Sie sich ganz auf Ihre Empfindungen einlassen, lernen Sie, Ihre Emotionen zu regulieren und stressfreier zu leben.
Mindfulness-Based Stress Reduction (MBSR) ist ein Programm zur Stressbewältigung. MBSR kombiniert Elemente der Meditation mit Yoga und Achtsamkeit. Das Ziel: besser mit Schmerzen, Krankheiten, Stress und emotionalen Herausforderungen umgehen zu können.
Achtsamkeit und Studien: Was sagt die Wissenschaft?
Untersuchungen geben Hinweise darauf, dass eine gelebte Achtsamkeit das Wohlbefinden steigern kann.
Folgende Studienergebnisse gibt es zum Thema Achtsamkeit:
- Achtsamkeit kann den Stresspegel senken: Eine Analyse von insgesamt 336 Studien zeigt, dass achtsamkeitsbasierte Maßnahmen Stresssymptome lindern können. Insbesondere Mindfulness-Based Stress Reduction (MBSR) und Mindfulness-Based Cognitive Therapy (MBCT) sind hier erwähnenswert.
- Achtsamkeit kann Schmerzen und Depressionen lindern: Ein Mindfulness-Based Stress Reduction-Kurs bringt einer anderen Studie zufolge viele Vorteile. Teilnehmende berichteten über verbesserte Schmerzwahrnehmung, Stimmung und Funktionsfähigkeit.
- Achtsamkeit kann das Gehirn verändern: Eine weitere wissenschaftliche Untersuchung belegt, dass eine langanhaltende Ausübung von Meditationseinheiten das Gehirn verändern kann. Ganz konkret kam es zu strukturellen Veränderungen im unteren Hirnstamm, wo autonome Funktionen wie Atmung und Kreislauf, aber auch unsere Emotionen reguliert und gesteuert werden. Möglicherweise ist das die Erklärung für die positiven Auswirkungen, die Meditierende angeben. Eine andere Studie legt nahe, dass die Meditation sogar das Mitgefühl fördern kann. Möglicherweise liegt das daran, dass die Übungen die Aktivität in Gehirnregionen steigert, die mit positiven Emotionen verknüpft sind.
Vorteile von Achtsamkeit in der Pflege auf einen Blick
Sie fragen sich, was Ihnen Achtsamkeitsübungen ganz konkret im Pflegealltag bringen? Wir haben die wichtigsten Vorteile für Sie zusammengefasst:
- Achtsamkeitstraining legt den Fokus auf die Gegenwart
- Spezielle Übungen können Gedankenspiralen durchbrechen
- Achtsamkeitsübungen wirken bei vielen Menschen stresslindernd
- Achtsamkeit können Sie überall und zu jeder Zeit praktizieren
- Achtsamkeitsübungen helfen beim Umgang mit positiven und negativen Gedanken
- Achtsamkeit kann die Selbstakzeptanz und das Selbstbewusstsein fördern
- Wer Achtsamkeit praktiziert, kann damit sein Wohlbefinden und den Schlaf optimieren
Was Achtsamkeit bei Pflegenden bewirkt, ist sehr unterschiedlich. Hier kommt es auch darauf an, wie gut Sie sich auf die Übungen einlassen können. Grundsätzlich eignet sich das Achtsamkeitstraining für alle Menschen. Viele Pflegende entscheiden sich aber aufgrund von akutem Stress zur Ausübung.
Wie funktioniert Achtsamkeit im Pflegealltag?
Achtsamkeit ist eine Fähigkeit, die Sie erlernen können. Wir sind es gewohnt, Vergangenes stets zu analysieren und weiterzudenken: Wie schlimm ist die Arthritis bei meinem Angehörigen in fünf Jahren? Warum habe ich nicht schon eher einen Pflegegrad für mein Familienmitglied beantragt? Bei Achtsamkeitsübungen akzeptieren Sie diese Gedanken, lassen sie aber vorbeiziehen und konzentrieren sich auf die Gegenwart.
Lassen Sie uns das an einem Beispiel durchspielen. Meditation und Achtsamkeit sind eng miteinander verknüpft. Als Element taucht Achtsamkeit beispielsweise in geführten Meditationen auf. Vielleicht bekommen Sie dabei folgendes zu hören:
Beobachten Sie Ihren Atem und wie sich Ihr Brustkorb langsam hebt und senkt. Vielleicht kommen Ihnen Gedanken in den Sinn, womöglich denken Sie an den heutigen Pflegetag oder an bevorstehende Herausforderungen. Das ist völlig normal. Erlauben Sie den Gedanken, wie Wolken vorbeizuziehen, ohne sich von Ihnen mitreißen zu lassen. Kehren Sie sanft zur Beobachtung Ihres Atems zurück.
Ihre Achtsamkeit können Sie mit verschiedenen Übungen trainieren – am besten finden Sie heraus, welche sich für Sie persönlich eignet.
Empfehlenswerte Medien für den Start
Für einen guten Einstieg empfehlen wir Ihnen die Verwendung einer App oder einer schriftlichen Anleitung. Hier ein paar Beispiele:
- App für geführte Mediationen: Insight Timer Deutsch | Insight Timer
- Das kleine Buch vom achtsamen Leben: 10 Minuten am Tag für weniger Stress und mehr Gelassenheit
- Kleine Meditationen für den Alltag: 55 Übungskarten für mehr Achtsamkeit und Lebensfreude
- Dankbarkeitstagebuch: Dein kleines Dankbarkeitstagebuch für mehr Achtsamkeit, Selbstbewusstsein, Dankbarkeit, Energie und Motivation im Leben
Mit 6 Strategien zu mehr Achtsamkeit bei der Pflege
Sie möchten mehr Achtsamkeit in Ihr Leben bringen? Prima! Dazu eignen sich verschiedene Methoden.
Unsere Empfehlungen:
- Meditationen, zum Beispiel geführte Meditationen
- Gehmeditationen
- Atemübungen
- Übungen zur Körperwahrnehmung
- Bewusstes Essen oder bewusste Spaziergänge
- Programme wie MBSR (Mindfulness-Based Stress Reduction) oder MBCT (Mindfulness-Based Cognitive Therapy)
Unser Tipp: Seien Sie gemeinsam achtsam
Sie können Achtsamkeitsübungen dafür nutzen, um alleine Gefühle zu sortieren und zur Ruhe zu kommen. Falls Sie mögen, können Sie aber auch gemeinsam mit Ihrem pflegebedürftigen Angehörigen achtsam sein. Genießen Sie beispielsweise Mahlzeiten bewusst zusammen: Nehmen Sie die Mahlzeit mit allen Sinnen wahr, seien Sie dankbar für die Speisen und kauen Sie langsam.
Geführte Meditationen, Atemübungen und bewusste Spaziergänge oder auch Spazierfahrten können Ihre Achtsamkeit ebenfalls stärken. Bitten Sie Ihren Angehörigen doch einmal die Natur mit den Augen, der Nase und den Ohren zu entdecken. Alternativ können Sie einen hübsch anzusehenden und wohlduftenden Blumenstrauß mitbringen – Sie werden überrascht sein, mit wie viel Achtsamkeit Sie diesen gemeinsam erforschen können.
Persönliche Erfahrungen der Autorin
Nachdem das Thema Achtsamkeit zunehmend präsent wurde, habe ich verschiedene Übungen selbst ausprobiert. Ich hatte zuvor keine Berührungspunkte mit Meditationen. Geführte Meditationen helfen mir dabei, abends „abzuschalten“ und den Tag loszulassen. Daher mein Tipp: Probieren Sie es einfach aus!