Wohnen im Alter und bei Pflegebedürftigkeit: Die eigenen vier Wände sicher gestalten
Alte und pflegebedürftige Menschen verbringen mehr Zeit zu Hause als junge oder gesunde. Ist der Wohnraum nicht an die neue Lebenssituation angepasst, wagen sich Betroffene seltener aus dem Haus, ziehen sich unter Vorwänden von ihren Freunden und Bekannten zurück und ernähren sich schlechter – etwa weil Stufen zu beschwerlich werden, sie sich unsicher fühlen und das Kochen oder die Körperpflege mühsam werden. Doch so ein Rückzug ist Gift für einen pflegebedürftigen Menschen. Nur allzu leicht verliert er noch vorhandene Fähigkeiten oder auch Lebensmut und Sinn.
Eine Wohnraumanpassung bewirkt, dass ein Mensch trotz vorhandener Einschränkungen wieder eigenständiger leben kann. Im Anschluss kann er möglichst alle Räume ohne Hilfe erreichen, den Tag weitestgehend frei gestalten und auch wesentliche Dinge wie Körperpflege und Ankleiden möglichst lange selbst erledigen. Außerdem helfen ein barrierefreies Umfeld und der Einsatz von Hilfsmitteln dabei, Unfälle zu vermeiden, etwa durch den Abbau von Sturzquellen.
Der ideale Wohnraum
Ein altersgerechter Wohnraum orientiert sich am besten am barrierefreien Wohnraum, so wie in der DIN-Norm 18040–2 „Barrierefreies Bauen“ festgeschrieben. Doch dabei handelt es sich um Idealkriterien, die Auflagen für Neubauten sind. Die strengsten Vorgaben gelten für Wohnungen, die rollstuhltauglich sein sollen, denn hier braucht es insgesamt mehr Bewegungsraum, breitere Türen oder spezielle Einbauten, etwa unterfahrbare Schränke in Küche oder Badezimmer. Nur rund zwei Prozent aller Wohnungen und Häuser in Deutschland erfüllen diese strengen Kriterien.
Bei altersbedingten Einschränkungen reicht es häufig, einen vorhandenen Wohnraum so zu verändern, dass Barrieren gezielt dort abgebaut werden, wo sie zu Problemen führen, z. B. im Eingangsbereich, im Schlaf- oder im Badezimmer. Andere Bereiche bleiben unangetastet.
Klassische Schwachpunkte im Wohnumfeld
- Lichtverhältnisse: Wo ist es zu dunkel? Wo blendet vielleicht eine Lampe? (alle Räume)
- Engstellen: z. B. Möbelstücke, die in Durchgängen stehen oder in sie hineinragen (Flur, Eingangsbereich, Durchgänge)
- Hindernisse und Stolperfallen: z. B. Treppen und Türschwellen (Eingang, Flur, Balkon, Bad)
- Gefahren: z. B. wackelige Möbel und gefährliche Geräte (alle Räume, insbesondere Küche)
- Ungenutzte Gegenstände, die man aus Gewohnheit kaum noch wahrnimmt (alle Räume)
- Überfrachtete Ablagen/ Garderoben, an denen man leicht hängen bleibt (Eingangsbereich)
- Zu volle Schränke, die es mühsam machen, Dinge zu entnehmen (Schlafzimmer, Küche, Bad)
Was sind Hilfsmittel, was Pflegehilfsmittel?
Es wird zwischen Hilfsmitteln und Pflegehilfsmitteln unterschieden. Hilfsmittel gleichen Einschränkungen im Sehen, Hören, Gehen etc. aus und werden ärztlich verordnet. Eine Kostenübernahme oder einen Zuschuss können Sie bei der Krankenkasse beantragen. Pflegehilfsmittel erleichtern die Pflege. Manche sind technischer Art (z. B. Pflegebett, Lagerungshilfen), andere zum Verbrauch bestimmt (z. B. Einmalhandschuhe, Bettschutzeinlagen). Bis zu 40 Euro monatlich werden von der Pflegekasse für Verbrauchshilfsmittel übernommen, wenn ein Pflegegrad vorliegt. Eine genaue Zuordnung zeigt das Hilfsmittelverzeichnis des Spitzenverbandes Bund der Krankenkassen (GKV-Spitzenverband): https://hilfsmittel.gkv-spitzenverband.de. Informationen zur Auswahl und Beantragung von Pflegehilfsmitteln finden Sie auch online unter: www.angehoerige-pflegen.de/pflegehilfsmittel-auswahl-und-beantragung/. Auch Ihre Kranken- oder Pflegekasse kann Sie beraten.
Wie geht man vor?
Alle Wohnraumanpassungen kosten Zeit, aber nicht alle Maßnahmen kosten automatisch viel Geld, denn manches lässt sich recht unkompliziert selbst anpassen. Am besten ist es, eine Wohnung systematisch auf Problemstellen zu untersuchen, Zimmer für Zimmer. Wo sind Hindernisse, was wackelt oder kann herunterfallen, wo verlaufen lose Kabel, wo müssen Teppiche entfernt oder festgeklebt werden, was ist schwer oder gar nicht erreichbar, was ist unpraktisch und wird besser umgeräumt oder auch ersetzt, was fehlt komplett, was war schon immer lästig oder reparaturbedürftig, wurde aber stets toleriert oder vertagt?
Flure, Küche, Wohn- und Schlafräume können kritische Bereiche haben, aber meist sind schon Zugänge zur Wohnung durch Treppen problematisch. Besonders häufig finden sich Schwachstellen beim Badezimmer. Wird etwa eine zweite Person als Hilfe bei der Körperpflege benötigt, der Raum dafür ist aber zu klein oder der Einstieg zu Dusch- oder Badewanne zu hoch, dann können größere Umbauten notwendig werden. Diese müssen sorgfältig geplant und fachgerecht umgesetzt werden.
Unterstützung von Experten
Für die Bewertung der aktuellen Wohnsituation lohnt es sich, Expertinnen und Experten hinzuzuziehen. Mit geschultem Auge erkennen sie typische Schwachstellen im Wohnumfeld, die Pflegebedürftigen oder deren Angehörigen gar nicht in den Sinn kämen – einfach, weil sie sich an die Stufe hier und eine umständliche Handhabung dort im Laufe der Jahre gewöhnt haben. Im Alter können genau diese Stellen aber zu Gefahrenquellen werden und zu Stürzen oder Immobilität führen. Kompetente Anlaufstellen für eine Wohnraumberatung sind Pflegekassen, Pflegestützpunkte, kommunale Pflegeberatungsstellen, die Bundesarbeitsgemeinschaft (BAG) Wohnungsanpassung, ambulante Pflegedienste oder speziell qualifizierte Handwerksbetriebe. Für notwendige Umbauten, insbesondere im Badezimmer, das eine besondere Bedeutung in einer Pflegesituation hat, sollten Sie in jedem Fall auf Fachbetriebe zugehen. Auskunft geben hier Kommunen, Verbände wie der Zentralverband Sanitär Heizung und Klima (ZVSHK) und die Handwerkskammern.
Wohnraumanpassungen und Hilfsmittel
Sind Engstellen und Gefahrenquellen beseitigt, können weitere Wohnraumanpassungen angegangen und Hilfsmittel beantragt werden. Mehr Eigenständigkeit ermöglichen:
- Rampen oder Treppenlifte
- Handläufe im Flur oder bei Treppenstufen innerhalb des Wohnraums
- Haltegriffe an der Balkontür, in der Dusche, am Waschbecken oder bei der Toilette
- Höhenangepasste Möbel, z. B. Sessel im Wohnbereich,
- Arbeitsplatte oder Schränke in der Küche, verstellbare Lattenroste, höheres Bett oder auch Pflegebett im Schlafzimmer
- Gehhilfen wie Rollator oder Gehstock
- Greifhilfen und Universalfernbedienungen
- Notrufsysteme
- Optische Klingel oder Hörgeräte bei Schwerhörigkeit
- Sehhilfen, wenn die Augen nachlassen
- Automatische Tür- und Fensteröffner, wenn die Körperkraft nachlässt
- Motorisierte Jalousien zur Verdunkelung eines Raums
- Verlängerungen für Fenstergriffe
Einige Hilfsmittel, z. B. Geh-, Bade- und Duschhilfen, sind Bestandteile des Hilfsmittelverzeichnisses der Kranken- oder Pflegekassen und können bei einem anerkannten Pflegegrad von der entsprechenden Kasse möglicherweise bezuschusst oder übernommen werden. Ihre Hausärztin bzw. Ihr Hausarzt oder ein ambulanter Pflegedienst kann Sie hierzu beraten und bei der Antragsstellung unterstützen.
Zuschüsse für die Wohnraumanpassung
Größere Baumaßnahmen wie die Umgestaltung eines Bads oder die Installation eines Treppenlifts können schnell mehrere 10.000 Euro kosten. Doch pflegebedürftige Menschen, egal ob Hauseigentümerinnen bzw. Hauseigentümer oder Mieterinnen bzw. Mieter, haben einen Anspruch auf Zuschüsse für die Wohnraumanpassung.
Bei einem vom Medizinischen Dienst der Krankenversicherung (MDK) bestätigten Pflegegrad können pro Baumaßnahme bis zu 4.000 Euro von der Pflegekasse genehmigt werden. Wichtig für alle Förderungen ist, dass Gelder vor Umsetzung der geplanten Baumaßnahmen beantragt und zugesagt werden.
Für Menschen ohne anerkannten Pflegegrad gibt es Fördermöglichkeiten über die Bank der Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW), z. B. einen zinsgünstigen Kredit von bis zu 50.000 Euro aus dem Programm „Altersgerecht umbauen“ oder einen Investitionszuschuss bis zu 6.250 Euro für einzelne Umbaumaßnahmen. Mehr Informationen erhalten Sie online unter
https://www.kfw.de/inlandsfoerderung/Privatpersonen/Bestandsimmobilien/Barrierereduzierung.
Nützliche Online-Hilfen
Auf der Webseite www.sicheres-pflegen-zuhause.de der Unfallkasse NRW erfahren Sie während eines virtuellen Rundgangs durch Wohn-, Schlaf-, Ess- und Badezimmer sowie Küche und Flur, was zur Gefährdung von pflegebedürftigen Personen werden kann und welche Maßnahmen (z. B. Wohnraumanpassungen) dazu beitragen können, möglichen Gefahren vorzubeugen. Auch die Barmer Pflegekasse gibt online unter www.barmer.de/wohnraumanpassung Tipps zur Veränderung des Wohnbereichs sowie einen Überblick mit wichtigen Fragen und Antworten zur finanziellen Unterstützung durch die Pflegekasse.
Zum richtigen Zeitpunkt reagieren
Der ideale Zeitpunkt für eine Wohnraumanpassung ist, wenn noch keine oder nur geringe Einschränkungen vorliegen. Jeder Mensch kann von einer Optimierung des Wohnraums profitieren, denn ein barrierearmes oder gar barrierefreies Umfeld bedeutet immer auch ein Mehr an Komfort. Je früher und je konsequenter Schwachstellen beseitigt werden, etwa Stolperfallen, Engstellen oder schwergängige Türen und Fenster, desto unkomplizierter ist die Nutzung der eigenen Wohnung auch im Krankheitsfall oder im Alter.
Grenzen der Wohnraumanpassung
Es gibt Fälle, in denen die Wohnraumanpassung nicht zum Ziel führt und ein Umzug in ein Pflegeheim nötig wird. Doch häufig gibt es mehr Spielräume als zunächst gedacht. Verlassen Sie sich also nicht nur zu Beginn einer Pflegesituation auf die Fachkenntnis von Expertinnen und Experten sowie spezialisierten Beratungsstellen.
Auch wenn sich der Zustand einer pflegebedürftigen Person verschlechtert, können Fachleute die Situation neu bewerten. Durch individuelle Maßnahmen und Hilfsmittel kann ein für die pflegebedürftige Person sehr einschneidender Entschluss erheblich hinauszögert oder sogar vermieden werden.
Ärmel hochkrempeln und los?
Ja, unbedingt! Und nein, nicht ungefragt! Bedenken Sie bei allem Arbeitseifer: Veränderungen im Wohnraum eines Menschen bedeuten immer einen Eingriff in seine Privatsphäre. Darum ist sowohl bei der Vorbereitung als auch später bei der Umsetzung von Maßnahmen viel Fingerspitzengefühl gefragt. Beraten Sie gemeinsam mit der pflegebedürftigen Person, welche Veränderungen nötig sind, gehen Sie Schritt für Schritt vor und suchen Sie nach Kompromissen, wenn ein Vorschlag auf Widerstand stößt. Sonst kann die Aktion nicht gelingen.