Sterbehilfe: Hilfe zur Selbsttötung bleibt eine Grauzone

Sterbehilfe: Hilfe zur Selbsttötung bleibt eine Grauzone

Die geplante Neuregelung der Sterbehilfe ist gescheitert. Keiner der beiden vorgelegten Gesetzentwürfe fand im Bundestag eine Mehrheit. Damit bleibt die Hilfe zur Selbsttötung erst einmal straffrei, aber eben auch nicht rechtssicher geregelt.
Eine Spritze liegt vor zwei Medikamentenflaschen mit Aufschrift Sodium Thipental und Pentobarbital
Getty Images/Digicomphoto/science Photo Library

Die Abgeordneten des Deutschen Bundestags haben sich nicht auf ein Gesetz zur Neuregelung der Sterbehilfe oder der Hilfe zur Selbsttötung einigen können. Zwei vorgelegte Entwürfe verfehlten in der Abstimmung im Parlament die nötige Stimmzahl. Was bedeutet das für die aktuelle Rechtslage?

Strafbar bleibt das sogenannte Töten auf Verlangen, also das aktive Beenden eines Lebens, selbst wenn der Betroffene dies zuvor verlangt oder seine Zustimmung gegeben hat. Nicht mehr grundsätzlich strafbar ist dagegen – neben der indirekten und der passiven Sterbehilfe – die Hilfe zur Selbsttötung, auch assistierter Suizid genannt. Wenn also etwa ein Arzt ein tödliches Medikament verschreibt oder ein Angehöriger ein solches Mittel besorgt und bereitstellt, dieses aber von der sterbewilligen Person eigenständig eingenommen wird.

Ungeregelt bleibt bis auf Weiteres, wie sichergestellt werden kann, dass Betroffene ihre Entscheidung, aus dem Leben zu scheiden, tatsächlich aus freiem Willen und in Kenntnis aller wesentlichen Umstände – etwa zu Handlungsoptionen, Risiken und Folgen – getroffen haben. Aktuell muss das im Einzelfall per strafrechtlicher Ermittlung geklärt werden.

Geteiltes Echo nach Scheitern im Bundestag

Die Reaktionen auf das Scheitern der gesetzlichen Neuregelung der Sterbehilfe fielen unterschiedlich aus. Der Deutsche Hospiz- und PalliativVerband (DHPV) etwa bedauerte, dass es nicht gelungen sei, größtmögliche Klarheit und Transparenz hinsichtlich des Prozederes und der Absicherung der Selbstbestimmung zu schaffen. „Dazu hätte es ein Schutzkonzept gebraucht. Diese Chance ist nun erstmal vertan“, sagte der Vorsitzende des DHPV, Winfried Hardinghaus.

Noch deutlicher äußerte sich der Professor für Palliativmedizin und Chefarzt der Abteilung Palliative Care am Universitätsspital Lausanne, Gian Domenico Borasio: „Der Bundestag hat vor dem Sterben versagt.“ Er befürchtet, dass viele Mediziner angesichts der Rechtsunsicherheit vor Hilfe zur Selbsttötung zurückschreckten und in der Folge „viele Menschen ihr Leiden bis zum Ende ertragen“ müssten.

Erleichtert hingegen zeigte sich die Deutsche Stiftung Patientenschutz. Dass der Bundestag beide Entwürfe für eine Neuregelung der organisierten Sterbehilfe abgelehnt habe, sei richtig. So werde Deutschland vor einem ethischen Dilemma bewahrt, sagte ihr Vorsitzender Eugen Brysch. Auch der Geschäftsführer der Deutschen Gesellschaft für Palliativmedizin Heiner Melching bezeichnete beide Entwürfe als „ungeeignet“.

Die Bundesärztekammer sprach von einer wichtigen Weichenstellung, die Zeit für „die noch nicht ausreichend geführte gesamtgesellschaftliche Debatte“ zur Sterbehilfe verschaffe. Ähnlich äußerten sich Vertreter von Religionsgemeinschaften und christlichen Wohlfahrtsverbänden.

Frister: „Mit der geltenden Rechtslage umgehen“

Für Helmut Frister vom Deutschen Ethikrat ist das Scheitern der beiden Entwürfe im Parlament indes „keine Katastrophe“. Er rechne auch nicht mit einem weiteren Anlauf in der laufenden Legislaturperiode und appellierte deshalb an alle Beteiligten, mit der geltenden Rechtslage umzugehen. Das bedeute, „es ist strafrechtlich erlaubt und den Ärzten auch berufsrechtlich erlaubt, Beihilfe zum Suizid zu leisten, wenn es sich um einen freiverantwortlichen Suizid handelt“. Letzteres müsse von den Handelnden sorgfältig überprüft werden.

Das ganz praktische Problem vieler Sterbewilliger, Mediziner zu finden, die auch bereit seien, Hilfe zur Selbsttötung zu leisten, hätten auch die Gesetzentwürfe nicht lösen können. Denn schließlich könne niemand verpflichtet werden, Hilfe zur Selbsttötung zu leisten.

Ein weiteres Problem entstehe, „wenn die Beihilfe mit Betäubungsmitteln geleistet werden soll“. Denn es sei weiter ungeklärt, ob Ärztinnen und Ärzte diese Mittel zwecks Selbsttötung verschreiben dürften. Er hoffe auf eine baldige Entscheidung durch die Gerichte, um auch in diesem Bereich Rechtssicherheit zu schaffen.

Eine Hoffnung, die auch Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) teilt. Er bedauerte die Ablehnung der Entwürfe durch den Bundestag. Mangels gesetzlicher Vorgaben müssten nun aber die Gerichte noch offene Fragen klären, etwa jene zur Verschreibung todbringender Medikamente wie Pentobarbital.

Bundesverfassungsgericht: „Recht auf selbstbestimmtes Sterben“

Nötig geworden war das nun gescheiterte Gesetzgebungsverfahren durch ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts im Jahr 2020. Mit diesem erklärten die Karlsruher Richter die bis dahin bestehende Regelung aus dem Jahr 2015 für nichtig und stellten zudem ein Recht auf selbstbestimmtes Sterben fest – unabhängig von „fremddefinierten Situationen“ oder „bestimmten Lebens- und Krankheitsphasen“. Sprich: Sterbewillige müssen nicht unheilbar krank sein. Gleichwohl empfahlen die Richter eine gesetzliche Regelung, um sicherzustellen, dass der Sterbewunsch „von einer gewissen Dauerhaftigkeit und inneren Festigkeit“ getragen sei sowie frei von Zwang, Drohung, Täuschung, Einflussnahme oder in Unwissenheit über mögliche Handlungsoptionen entstanden sei.

Dazu hatten parteiübergreifende Arbeitsgruppen zuletzt zwei Entwürfe erarbeitet, die die Hilfe zur Selbsttötung beide ermöglicht hätten, aber mit unterschiedlich hohen Auflagen. Ein Entwurf sah zudem vor, die Hilfe zur Selbsttötung grundsätzlich weiter strafrechtlich zu verbieten, sie aber unter Auflagen straffrei zu stellen. Der zweite Entwurf hingegen wollte eine Regelung jenseits des Strafrechts verankern und die Hilfe zur Selbsttötung, etwa das Verschreiben von tödlichen Medikamenten, unter Auflagen zulassen.

 

 

Quellen: 

Bundestag lehnt Gesetzentwurf zur Reform der Sterbehilfe ab. Deutscher Bundestag, 06.07.2023

Was die Nichtentscheidung des Bundestags zur Sterbehilfe bedeutet. RND – RedaktionsNetzwerkDeutschland, 06.07.2023

Gesetzentwürfe zur Suizidhilfe gescheitert: „Keine Katastrophe“. Norddeutscher Rundfunk, 06.07.2023

Wenn man zum Sterben Hilfe braucht. Der Tag – Ein THema, viele Perspektiven. Hessischer Rundfunk, 06.07.2023

Zuletzt abgerufen am 07.07.2023