Sterbebegleitung: Letzte-Hilfe-Kurse können helfen

Sterbebegleitung: Letzte-Hilfe-Kurse können helfen

Studien und Umfragen belegen: 75 Prozent der Deutschen wünschen sich, zu Hause sterben zu können. Tatsächlich sind es nur 20 Prozent, die das tun. Der Palliativmediziner Dr. Georg Bollig hat daher „Letzte-Hilfe-Kurse“ ins Leben gerufen.
Ein Schmetterling im Gegenlicht
Getty Images/fcscafeine

Herr Dr. Bollig, Sie sind Initiator der Letzte-Hilfe-Kurse. Warum ist es so wichtig, dass wir alle etwas zur praktischen Begleitung Sterbender lernen?

Ich leite das aus der humanistischen Tradition ab und gehe davon aus, dass wir grundsätzlich Menschen helfen möchten. Erste-Hilfe-Kurse sind spätestens bei dem Erwerb des Führerscheins verpflichtend. Aber wann haben Sie in Ihrem Leben schon mal jemanden reanimiert? Die Wahrscheinlichkeit ist größer, dass einmal ein Mensch aus Ihrem nahen Umfeld stirbt. Wenn Sie selbst einmal sterben, kommen Sie unweigerlich mit dem Thema in Berührung. Letzte Hilfe ist nicht wichtiger als Erste Hilfe, aber sie ist eine notwendige Ergänzung.

Sterben gehöre zum Leben, heißt es. Warum haben viele Menschen ein Problem mit dem Sterben?

Häufig ist Ekel mit im Spiel und die Angst davor, etwas falsch zu machen. Da sehe ich Parallelen zu Problemen, die Menschen bei dem Thema Erste Hilfe haben. Aber es gibt noch einen weiteren Aspekt, denn derjenige, der sich in eine solche Situation begibt, wird auch mit seiner eigenen Endlichkeit konfrontiert.

Und durch Ihre Kurse wollen Sie diese Einstellung ändern?

Viele Menschen haben grundsätzlich Angst davor, vorab über das Thema zu sprechen. Wenn jemand lebensbedrohlich erkrankt, möchten die Angehörigen ihn beschützen und vermeiden, über das Sterben zu reden. Das ist nicht konstruktiv. Wir wollen mit den Kursen zunächst einmal auffordern, über das Sterben zu reden. Der nächste Schritt wäre, aktiv zu begleiten.

Wie bereiten Sie Laien darauf vor, ihnen nahestehende Menschen an deren Lebensende zu begleiten?

Wir vermitteln, dass Sterben etwas Normales ist. Man kann sicher Angst davor haben, wie es passiert. Aber dazu müssen wir hinschauen. Wir reden immer über Autonomie und Würde. Doch wie sieht das im Sterbeprozess in der Praxis aus? Das wird beispielsweise in dem Kursmodul „Vorsorgen und Entscheiden“ beleuchtet. In einem weiteren Modul geht es um das Lindern von Leiden wie Atemnot, Schmerz oder Angst. Dazu erfahren die Teilnehmer unter anderem, dass Schmerzen organisch begründet sein können, aber auch psychisch oder aus sozialen Hintergründen. Hier können Angehörige oder Freunde eine Hilfe für den Betroffenen sein.

 

Kann ich das nach einem Letzte-Hilfe-Kurs allein zu Hause meistern?

Ja, denn Sie lernen, dass Sie das nicht allein schaffen müssen. Und Sie werden befähigt zu entscheiden, wann Sie professionelle Hilfe holen. Zudem wissen Sie dann, was es für Möglichkeiten gibt und wohin sie sich wenden können.

An welche Anlaufstellen denken Sie?

Eingebunden werden meist Hausarzt und Pflegedienst. Es besteht aber auch die Möglichkeit der Spezialisierten Ambulanten Palliativversorgung. Nach einem Letzte- Hilfe-Kurs wird man kein Experte zum Thema Sterben sein. Aber ich habe auch schon erlebt, dass sich ehemalige Kursteilnehmer noch mehr in die Materie einarbeiten und zum Beispiel eine Weiterbildung zum Hospizhelfer machen.

Welche Rolle nehmen in Ihren Augen Hospize und Palliativstationen ein?

Sie sind Anlaufstellen, wenn sich abzeichnet, dass es womöglich ein schwieriger Sterbeprozess werden könnte oder niemand da ist, der einen Menschen so intensiv begleiten kann, wie er es bräuchte. Ob jemand lieber zum Sterben in eine stationäre Einrichtung geht, hängt sehr von den individuellen Wünschen ab. So wie manche Frauen bei einer Geburt sich besser in einem Krankenhaus aufgehoben fühlen, möchten andere lieber in ihrem gewohnten Umfeld entbinden.

Können Sie sagen wie viele Menschen sich seit der Einführung der Kurse 2015 in Deutschland in Letzter Hilfe haben schulen lassen und wie viele Kursleiter und Kursleiterinnen es mittlerweile gibt?

Im deutschsprachigen Raum, ich denke da an die Schweiz, Österreich und Deutschland, sind es derzeit etwa 12.000 und wir haben etwa 1.400 Kursleiter.

Was ist die Motivation, einen Ihrer Kurse zu besuchen?

Das ist sehr unterschiedlich. Die meisten kommen, um sich allgemein über dieses Thema zu informieren. Einige haben schwer erkrankte Menschen in der Familie, aber es kommen auch Menschen, die eine Sterbebegleitung hinter sich haben, in der sie sich sehr hilflos fühlten und dies ändern möchten. Manche machen einen Kurs, um sich zu vergewissern, dass sie so, wie sie gehandelt haben, Vieles richtig gemacht haben. Genauso kommen Teilnehmer, die noch keine eigenen Erfahrungen mit dem Sterben gemacht haben.

Ein Erste-Hilfe-Kurs ist spätestens, wenn man den Führerschein macht, verpflichtend. Könnten Sie sich etwas Ähnliches auch für die Letzte Hilfe vorstellen?

Durchaus. Genauso wünsche ich mir eine zentrale Notrufnummer für Beratung und Hilfe zur Palliativversorgung als Hilfe für Schwerkranke, Sterbende und deren Angehörige. Ich sehe Deutschland da durchaus in einer Vorreiterrolle. Unsere Initiative, die Letzte Hilfe Deutschland gUG, hat eine zentrale Rolle in der Evaluation und Erweiterung der bestehenden Kursangebote, zum Beispiel in der Entwicklung von Letzte-Hilfe-Kursen für Kinder und Jugendliche.

So wie es Hebammen gibt, die Menschen auf den Weg ins Leben begleiten, gibt es Sterbeammen, um den Sterbeprozess zu begleiten. Was halten Sie davon und wie ist das im Zusammenhang mit der Idee der Letzten Hilfe zu betrachten?

Ich empfehle, nicht alles zu „vermedizinern“. Daher auch die Idee, Laien mit ins Boot zu holen und sich wieder mehr auf das eigene Bauchgefühl zu verlassen. Bevor das Sterben noch mehr professionalisiert wird, halte ich mehr davon, dass sich jeder Laie ein Grundwissen aneignet. Sterbeammen könnten für manche eine der Möglichkeiten der Unterstützung sein.

Wie schaffen Sie es, den Teilnehmenden in 4-mal 45 Minuten die Angst zu nehmen, etwas in der Sterbebegleitung falsch zu machen oder sich doch mit der Situation überfordert zu fühlen?

Wir vermitteln Normalität. Außerdem wird herausgestellt, dass niemand mit der Aufgabe allein dasteht. Ich benutze gern das Bild der sorgenden Gemeinschaft, mit einem Zusammenspiel von Laien, Medizinern, Pflegefachleuten, Sozialarbeitern oder auch Pfarrern. Was ein Sterbender benötigt, hängt von dem individuellen Wunsch und den Bedürfnissen des zu Versorgenden und seiner Zugehörigen ab.

Für wen eignen sich die Kurse in Letzter Hilfe?

Sie sind so konzipiert, dass jeder Mensch sie besuchen kann. Meiner Ansicht nach sollten alle Menschen einen Letzte-Hilfe-Kurs besuchen. Wir haben allerdings ein eigenes Kurskonzept für acht- bis sechzehnjährige Kinder und Jugendliche entwickelt.

Was ist der kritischste Punkt in einem Abschiedsprozess? Vor allem: für wen?

Das kann ich so pauschal nicht beantworten, weil auch das individuell unterschiedlich wahrgenommen wird. Nicht selten kommt bereits ein Abschiednehmen in Gang, wenn sich die Rollen verändern. Also wenn beispielsweise der Ernährer der Familie hilfebedürftig wird.

Die Vorstellung vom Sterben ist sicher individuell verschieden. Wie realistisch ist es, friedlich einschlafen zu können?

Das ist schwierig zu beantworten, weil es von so vielen Faktoren abhängt. Entscheidend ist auch hier, was ich für eine Einstellung habe. Wahrscheinlich ist, dass ein dreifacher Familienvater, der mit Mitte 40 unheilbar erkrankt, sich schwerer tut mit dem Sterben, als ein Mensch, der merkt, dass mit 90 Jahren seine Kraft zu Ende geht.

Sie bereiten Menschen darauf vor, einen nahestehenden Menschen beim Sterben zu begleiten. Für den Angehörigen geht es aber nach dem Tod des Betroffenen weiter.

Ja, und viele meinen, sie müssen sich sofort um alle Angelegenheiten kümmern. Ich rate dann aber zur Entschleunigung. Nachdem der Tod eingetreten ist, haben wir Zeit. Der eine oder andere raucht erst einmal eine Zigarette. Wichtig zu wissen ist: Sie können ohne Arzt sterben. Viele Menschen brauchen keine spezielle ärztliche Behandlung oder Medikamente am Lebensende, sondern menschliche Fürsorge. Einen Arzt, am besten den Hausarzt, benötige ich dann jedoch zur Ausstellung des Totenscheins. Allerdings kann der Arzt den Tod erst nach Eintritt sicherer Todeszeichen bescheinigen, und das ist frühestens nach etwa 4 Stunden möglich. Ich empfehle, das Szenario einmal mit dem Hausarzt durchzusprechen. Dann ist man als Betroffener meist ruhiger.

Wie lang darf ich den Verstorbenen zu Hause behalten?

Das ist in jedem Bundesland unterschiedlich geregelt, es sind zwischen 24 und 36 Stunden. Den Transport Verstorbener darf in Deutschland jedoch nur ein Bestatter vornehmen. Zu Hause sterben ist möglich. Es besteht auch die Möglichkeit, nach dem Tod in einem Krankenhaus nach Hause transportiert und dort aufgebahrt zu werden. Sterben und Tod sind individuell und man kann den Abschied gestalten, wie man es möchte.

Herr Dr. Bollig, ich danke Ihnen für das Gespräch.