Palliativ-Care-Team: „Das Palli-Team war unsere Rettung“
Sie fühlte sich wahrgenommen. Ich denke, das war ihr Antrieb, so lange zu leben.“ 17 Jahre alt ist Britney, die Tochter von Kathrin Floß-Saurer aus Bünde in Nordrhein-Westfalen, geworden. Die Ärzte hatten Britney nach der Geburt eine Lebenserwartung von etwa einem Jahr zugesprochen.
Eine Verletzung der Nabelschnur im Mutterleib, zwei Wochen vor dem Entbindungstermin, verursachte großen Blutverlust. Das Wunschkind kam per Notkaiserschnitt zur Welt und wurde anschließend fast eine Stunde lang reanimiert. Durch die Unterversorgung mit Sauerstoff wurde ein Großteil des Gehirns geschädigt. Dies zog schwerste Behinderungen des Säuglings nach sich.
Für Kathrin Floß-Saurer, die aus erster Ehe noch zwei ältere Jungen hatte, stand es außer Frage, dass sie ihren Beruf als Bandagistin in der Orthopädietechnik aufgibt, um ihre Tochter zu Hause zu pflegen. „Britney hatte keinen Schluckreflex, wurde über eine nasale Sonde ernährt und musste abgesaugt werden. Das erste Jahr war furchtbar, weil sie häufig Aspirationspneumonien hatte“, erinnert sich Floß-Saurer. Erst mit dem Legen einer Magensonde wurde es besser. Als dann zwei Jahre später noch die jüngste Tochter Pia geboren wurde, war es gut, „dass mich meine Mutter so unterstützte“.
Häufige Erstickungsanfälle
Dramatisch wurde es, als Britney mit etwa sechs Jahren plötzlich Erstickungsanfälle bekam. „Ich rief den Notarzt, aber im Krankenhaus konnte sich niemand entscheiden, entsprechende Beruhigungsmittel zu verordnen, um die quälenden Anfälle zu unterbrechen“, erinnert sich Kathrin Floß-Saurer. Erst die Leitung des damaligen ambulanten Pflegedienstes vermittelte den Kontakt zu einem ambulanten Kinder-Palliativ-Care-Team. Das saß in Hannover und benötigte nach einem Hilferuf gut eine Stunde.
„Erst später etablierten sich ambulante Palliativteams und es gab auch eines in unserer Nähe mit einer 24- Stunden-Notrufnummer. Das „Palli-Team“ sei für alle als Ansprechpartner da gewesen: für den Pflegedienst, die betreuenden Kinder- und Fachärzte, die Eltern und die Geschwister. „Und was mir am besten gefallen hat“, erzählt die 53-Jährige, „dass es mit uns als Familie auf Augenhöhe diskutiert und Vereinbarungen getroffen hat.“ Das Team habe die Familie von Anfang an als hilfreiche Informationsquelle gesehen, da sie die Patientin am besten gekannt hatte. Kurz: „Das Palli-Team war unsere Rettung.“
Der schwerst erkrankten Tochter ein möglichst normales Leben zu ermöglichen – das war der Anspruch der ganzen Familie. „Wir haben uns nicht gefragt: Wie gefährlich ist das?, sondern: Wie viel Spaß bringt uns das?“ Uns so hat die Familie gemeinsam mit Britney Bootstouren oder Fahrten im Riesenrad unternommen – Rollstuhl, Absauggerät und Sauerstoff hatten sie immer dabei. Kommuniziert hat Britney über Blinzeln mit den Augen. „Wir haben uns sogar gestritten“, erzählt die vierfache Mutter und lacht. Zur Konfirmation hatte sie sich Bluse und einen Rock ausgesucht und tröpfchenweise Sherry mit ihren Gästen getrunken.
Erst die Zusammenarbeit mit dem spezialisierten ambulanten Palliativteam habe es ermöglicht, dass Britney so viel Lebensqualität erfahren konnte. Die Angehörigen merkten schnell, dass das Team, zu dem neben dem Kinderarzt oder der Kinderärztin auch eine Pflegekraft und jemand aus dem therapeutischen Bereich gehörte, empathisch und professionell agierte. Dazu gehörte auch der Einsatz von Betäubungsmitteln. „Meine Tochter war nie apathisch“, betont Floß-Saurer. Sie habe immer sehr bewusst und selbstbestimmt über ihr Leben und auch ihr Sterben gedacht. Und so wundert es die Mutter nicht, dass es ein sehr besonderer Abschied war, den sich ihre Tochter ausgesucht hatte – nachdem ihre Kräfte schon eine ganze Weile immer weniger wurden.
Ein Urlaub mit Folgen
„Einmal im Jahr gönnten wir uns eine Woche Urlaub ohne Britney. So auch im Mai 2018 in Dänemark. Als es samstags losgehen sollte, haben wir noch gemeinsam Mittag gegessen. Britney saß entspannt auf meinem Schoß. Ich fühlte eine unglaublich enge Verbundenheit zu ihr und ein intensives Glücksgefühl. Kurz darauf fuhren wir los.“ Vorausgegangen waren enge Abstimmungen mit dem Pflegedienst, dem Palliativteam und den Familienangehörigen.
Mittwochmorgen kam im Urlaub der Anruf vom Palliativarzt mit der Nachricht, dass er gerufen worden sei und Britney in den nächsten Minuten sterben würde. „Ich habe mir immer gewünscht, sie auch beim Sterben begleiten zu dürfen, aber sie hat anders entschieden. Rückblickend würde ich sagen, hatte sie sich bereits am Samstag auf ihre Weise verabschiedet und so dafür gesorgt, dass wir ihren letzten Wunsch akzeptieren.“