Neuer Anlauf für Gesetz zur Sterbehilfe

Neuer Anlauf für Gesetz zur Sterbehilfe

2020 hatte das Bundesverfassungsgericht das 2015 erlassene Verbot der geschäftsmäßigen Sterbehilfe gekippt. Nach mehr als drei Jahren ohne eine Neuregelung liegen jetzt zwei Gesetzesentwürfe vor, die noch vor der Sommerpause dem Bundestag zur Abstimmung vorgelegt werden sollen.
Sterbehilfe: Ein Mann hält einer alten Frau, die in einem Bett liegt, die Hand.
GettyImages/KatarzynaBialasiewicz

In seinem Urteil im Februar 2020 fand das Bundesverfassungsgericht klare Worte: Das 2015 verabschiedete Gesetz zum Verbot der geschäftsmäßigen Förderung der Selbsttötung lasse dem Einzelnen faktisch keinen Raumen zur Wahrnehmung seiner verfassungsrechtlich geschützten Freiheit. Denn diese Freiheit umfasse auch „ein Recht auf selbstbestimmtes Sterben“, wofür ausdrücklich auch bei Dritten Hilfe gesucht und angebotene Hilfe in Anspruch genommen werden dürfe. Damit sei das Gesetz „mit dem Grundgesetz unvereinbar und nichtig“.

Seitdem ist die Beihilfe zum Suizid, also die Unterstützung bei der Selbsttötung durch Dritte, in Deutschland faktisch straffrei. Verboten bleibt demgegenüber die Tötung auf Verlangen, die aktive oder direkte Sterbehilfe

Ausgangslage: Ein Urteil mit Tragweite

Dass es mehr als drei Jahre gedauert hat, bis die Politik jetzt einen neuen Anlauf zu einer gesetzlichen Regelung wagt, dürfte auch damit zusammenhängen, dass die Karlsruher Richter eine bis dahin selbst unter Befürwortern der Beihilfe zum Suizid als Konsens geltende Annahme verwarfen: Das Recht auf selbstbestimmtes Sterben sei „nicht auf fremddefinierte Situationen“ und „insbesondere nicht auf schwere oder unheilbare Krankheitszustände oder bestimmte Lebens- und Krankheitsphasen beschränkt“. Kurz: Wer aus freiem Willen sterben möchte, darf sterben.

Allerdings stellten die Richter auch fest, dass es gewisse gesetzliche Regelungen brauche. So stellten sie etwa heraus, dass der Entschluss aus dem Leben zu scheiden, „von einer gewissen Dauerhaftigkeit und inneren Festigkeit“ getragen sein müsse, um als freier Wille gelten zu können. Ebenso müssten Betroffene „in Kenntnis aller relevanten Umstände“ und in der Lage sein, „eine realitätsbezogene, rationale Einschätzung der eigenen Situation“ vorzunehmen, frei von Zwang, Drohung, Täuschung oder anderen Formen der Einflussnahme. Sprich: Sterbewillige müssen über Risiken und Handlungsoptionen aufgeklärt und frei von äußerem Druck sein, wenn sie ihre Entscheidung treffen.

Versuch zur Neuregelung ohne Fraktionszwang

Ein Urteil mit Tragweite also, für dessen Verarbeitung die Politik offenbar Zeit brauchte. Jetzt aber unternimmt der Bundestag einen neuen Versuch, eine gesetzliche Regelung zu finden. Dabei ist der Fraktionszwang wie schon in vorherigen Gesetzgebungsverfahren aufgehoben, das heißt die Entwürfe werden nicht von der Regierung oder den Fraktionen erarbeitet und eingebracht, sondern von einzelnen Parlamentariern, die sich dazu über die Parteigrenzen hinweg zusammenschließen können.

Konkret hat dieses Verfahren nun zu zwei Vorschlägen geführt, einem eher liberalen und einem deutlich restriktiveren.

Vorschlag 1: „Recht auf selbstbestimmtes Sterben“

Der eine Vorschlag sieht ein grundsätzliches Recht auf Hilfe zur Selbsttötung und eine Regelung außerhalb des Strafrechts vor. Wer volljährig ist und „aus autonom gebildetem, freiem Willen“ das eigene Leben beenden möchte, dem soll der Staat keine (strafrechtlichen) Steine in den Weg legen.

Geplant ist ein Verfahren ähnlich dem bei Schwangerschaftsabbrüchen: Sterbewillige müssten dann zunächst ein Beratungsangebot wahrnehmen, um frühestens nach drei, spätestens nach zwölf Wochen ein tödliches Medikament von einem Arzt verschrieben bekommen zu können. Dabei soll die Beratung ergebnisoffen und kostenfrei sein und durch Fachpersonal erfolgen, das nicht selbst bei einer Selbsttötung Unterstützung leistet. Sterbehilfevereine wären damit von dem geplanten bundesweiten und flächendeckenden Beratungsnetz ausgeschlossen. Finanziert werden soll dieses von den Ländern.

Härtefallregelungen soll es laut Entwurf etwa für Menschen geben, die bereits in palliativer Behandlung und nicht mehr in der Lage seien, noch zu einer Beratungsstelle zu gehen. Hier soll eine Bescheinigung des Sterbewillens durch einen zweiten, unabhängigen Mediziner genügen.

Dem Recht auf Hilfe und Beratung für Sterbewillige steht aber kein Zwang gegenüber. Mediziner oder kirchliche Einrichtungen dürfen nicht zur Hilfe gezwungen werden. Für den Fall, dass Betroffene keine Mediziner finden, die zur Verschreibung bereit sind, sieht der Entwurf vor, dass eine zuständige Behörde im jeweiligen Bundesland entscheidet.

Der Vorschlag wurde von zwei parteiübergreifenden Arbeitsgruppen rund um die Abgeordneten Renate Künast (Grüne) und Katrin Helling-Plahr (FDP) erarbeitet.

Vorschlag 2: „Suizidprävention stärken“

Der andere Entwurf setzt weiter auf eine Regelung der Suizidbeihilfe im Rahmen des Strafrechts. Die geschäftsmäßige, das heißt auf Wiederholung angelegte Hilfe zur Selbsttötung soll damit grundsätzlich verboten bleiben und mit einem Strafmaß von bis zu drei Jahren Haft oder Geldstrafen belegt sein. Damit soll der gesellschaftlichen Normalisierung des Suizids entgegenwirkt und sichergestellt werden, „dass der Entschluss zur Selbsttötung nicht nur auf einer vorübergehenden Lebenskrise oder auf einer psychosozialen Einflussnahme beruht und keine psychische Erkrankung oder eine mangelnde Aufklärung und Beratung dem Selbsttötungsentschluss zugrunde liegt“.

Der Entwurf sieht aber Ausnahmen vor, in denen die Beihilfe zum Suizid nicht rechtswidrig wäre. Auch hier ist eine verpflichtende Beratung vorgesehen, insbesondere aber Untersuchungen durch Fachärzte für Psychiatrie und Psychotherapie.

Diese sollen im Rahmen von mindestens zwei Untersuchungen im Abstand von drei Monaten eine ergebnisoffene Beratung leisten und neben der psychischen Stabilität der Sterbewilligen auch prüfen, ob sie ihre Entscheidung freiverantwortlich und ohne Druck von außen getroffen haben. In Härtefällen, etwa bei einer unheilbaren oder fortgeschrittenen Erkrankung mit begrenzter Lebenserwartung, soll auch eine einmalige Untersuchung ausreichen.

Ergänzend sieht der Entwurf ein „strafbewehrtes Werbeverbot“ (in Anlehnung an das erst im vergangenen Jahr gestrichene Werbeverbot für Abtreibungen) und die strengere Kontrolle von Sterbehilfevereinen vor. Flankiert werden soll der Gesetzentwurf durch einen Antrag, in dem ein verbindliches Konzept staatlicher und gesellschaftlicher Suizidprävention gefordert wird.

Verantwortlich für diesen Entwurf ist eine Gruppe aus Abgeordneten aller Fraktionen um den SPD-Politiker Lars Castellucci.

Neues Gesetz frühestens im Herbst

Eine Entscheidung im Bundestag wird in der letzten Sitzung vor der Sommerpause am 7. Juli erwartet. Der mit der Mehrheit der Stimmen verabschiedete Gesetzentwurf müsste dann noch dem Bundesrat zur Zustimmung vorgelegt werden.

Mit einer Neuregelung der Sterbehilfe ist also frühestens im Herbst zu rechnen. Wobei nicht unwahrscheinlich ist, dass auch dieses neue Gesetz wieder durch die Karlsruher Verfassungsrichter geprüft werden muss. Ausgang ungewiss.


Quellen: 

Bundesverfassungsgericht, Urteil des Zweiten Senats vom 26. Februar 2020. (Zuletzt abgerufen am 16.06.2023)
https://www.bundesverfassungsgericht.de/SharedDocs/Entscheidungen/DE/2020/02/rs20200226_2bvr234715.html

Entwurf eines Gesetzes zum Schutz des Rechts auf selbstbestimmtes Sterben und zur Regelung der Hilfe zur Selbsttötung sowie zur Änderung weiterer Gesetze. Katrin Helling-Plahr, Renate Künast et al., 2023 (Zuletzt abgerufen am 16.06.2023)
https://www.renate-kuenast.de/images/Suizidhilfegesetz_12.06.23.pdf

Entwurf eines Gesetzes zur Strafbarkeit der geschäftsmäßigen Hilfe zur Selbsttötung und zur Sicherstellung der Freiverantwortlichkeit der Entscheidung zur Selbsttötung. Dr. Lars Castellucci et al., 2022 (Zuletzt abgerufen am 16.06.2023)
https://lars-castellucci.de/medien/2022/02/Gesetzentwurf-assisstierter-Suizid.pdf