Meditation: Entspannung finden
Herr Dr. Ott, die Meditation wurde lange als Esoterik belächelt. Wie sind Sie als Wissenschaftler zu diesem Thema gekommen?
Während meines Psychologiestudiums habe ich selbst Meditation praktiziert und fand die Effekte auf das Bewusstsein so positiv und beeindruckend, dass ich dazu gerne forschen wollte. In meiner Promotion habe ich mich mit den elektrischen Hirnwellen während tiefer Meditation beschäftigt. Das war damals, Ende der 1990-er Jahre, tatsächlich noch ziemlich „exotisch“. Inzwischen ist Meditation in der Forschung jedoch sehr gut etabliert und wird häufig auch als effektive ergänzende Behandlungsmethode in Kliniken eingesetzt.
Was bedeutet Meditation genau?
Beim Meditieren ist die Aufmerksamkeit ganz auf das Hier und Jetzt gerichtet, das ohne Bewertung so wahrgenommen wird, wie es ist. Diese Haltung wird als „Achtsamkeit“ bezeichnet. Es existiert ein Spektrum verschiedener Methoden, die nicht einfach auf einen Nenner zu bringen sind. Beim Tai Chi oder Qigong werden beispielsweise Bewegungen meditativ ausgeführt. Bei der klassischen Sitzmeditation konzentriert man sich entweder auf ein bestimmtes Objekt oder nimmt alles wahr, was im Inneren auftaucht. Gemeinsam ist diesen Techniken, dass das Kreisen der Gedanken um Vergangenes oder Zukünftiges unterbrochen wird.
Wie kann ich mir eine Meditation ganz praktisch vorstellen?
Im einfachsten Fall setzen Sie sich aufrecht hin, schließen die Augen und beobachten die körperlichen Empfindungen, die beim Atmen entstehen. Das ist eine Meditation, die in vielen Traditionen zu Beginn praktiziert wird, um den Geist zu beruhigen und zu sammeln. Die Atmung vertieft sich dann dabei von selbst, das vegetative Nervensystem schaltet um auf Entspannung und die Bewusstheit des Körpers nimmt zu. So kommen Sie automatisch in die Gegenwart, denn die Atemempfindungen existieren nur im gegenwärtigen Augenblick.
Welche körperlichen Reaktionen sind zu beobachten, wenn ich meditiere?
Im Labor sehen wir die typischen Anzeichen einer Entspannungsreaktion: Die Muskelspannung nimmt ab, ebenso sinken die Herzfrequenz, der Blutdruck und die Aktivität der Schweißdrüsen. Im Gehirn werden bestimmte Netzwerke aktiviert und andere gehemmt, die mit dem Tagträumen verbunden sind. Durch eine länger dauernde Praxis werden auch die Strukturen im Gehirn allmählich verändert. Aufmerksamkeit und Emotionen werden besser reguliert und die Körperwahrnehmung verfeinert sich.
Was ändert sich über diese körperlichen Reaktionen hinaus?
Meditierende berichten uns, dass die Praxis sich auf ihr Verhalten auswirkt. Im Alltag sind sie gelassener und ruhen mehr in ihrer inneren Mitte. Der Geist ist konzentrierter und klarer, also weniger zerstreut. Durch eine achtsame Haltung im Alltag, beim Essen, beim Zuhören, bei der Hausarbeit usw. nimmt die Lebensqualität zu. Wir sind dann weniger angetrieben und gestresst durch Erwartungen, Wünsche, Hoffnungen und dergleichen, die uns den Blick auf das Hier und Jetzt verstellen. Tiefe Erfahrungen von Einheit und Verbundenheit in der Meditation werden oft zudem als sinnstiftend beschrieben. Materielle Wünsche treten in den Hintergrund und Beziehungen werden wichtiger. Die Freude am Leben nimmt zu.
Belegen Forschungsergebnisse diese positiven Effekte?
Die Forschung ist inzwischen so umfangreich, dass die Ergebnisse der einzelnen Studien in sogenannten Metaanalysen zusammengefasst werden. Ein Kollege von der Universität Chemnitz, Peter Sedlmeier, hat dazu ein Sachbuch veröffentlicht: „Die Kraft der Meditation“. Es beschreibt gut verständlich den aktuellen Stand der Forschung und die zahlreichen Belege für positive Effekte von Meditation. Das empfehle ich jedem, der sich über die Wirkungen von Meditation fundiert informieren möchte.
Wie lange und wie oft muss ich meditieren, um davon zu profitieren?
Diese Frage wird sehr häufig gestellt. Meditation ist aber nicht wie ein Medikament, von dem ich eine bestimmte Dosis einnehmen muss, um eine gewünschte Wirkung zu erzielen. Es hängt sehr davon ab, was man erreichen möchte und wie die eigene Persönlichkeit ist. Manche Personen können mit Meditation sehr schnell entspannen und sich regenerieren, andere werden erst einmal müde oder noch mehr gestresst, weil ihnen bewusst wird, wie viel ihnen durch den Kopf geht. Eine typische Empfehlung sind 20 Minuten am Tag – das hat sich auch in Studien bereits als wirksam erwiesen. Aber Sie können auch schon von fünf Minuten profitieren, in denen Sie einfach nur bewusst atmen und sich kurz aus der hektischen Betriebsamkeit des Alltags zurückziehen. Darüber hinaus kann man auch im Alltag selbst üben, indem man beispielsweise langsam und bewusst isst, duscht, Geschirr spült und dergleichen mehr.
Gibt es Menschen, für die eine Meditation nicht geeignet ist?
Es gibt nur wenige Personengruppen, die mit Meditation vorsichtig sein sollten. Das sind zum einen Menschen mit traumatischen Erfahrungen, denn diese können in der Meditation wieder auftauchen und müssten dann eventuell therapeutisch bearbeitet werden. Zum anderen sind es labile Menschen, deren psychische Instabilität durch Meditation möglicherweise verstärkt werden kann. Es gibt dazu aber bisher noch zu wenig Forschung. Insgesamt sind die „Risiken und Nebenwirkungen“ eher gering, vor allem, wenn man Meditation unter fachkundiger Anleitung erlernt und es nicht übertreibt.
Ist die Meditation auch für pflegende Angehörige geeignet?
Ja, es kann sich auf jeden Fall lohnen, es auszuprobieren. Entscheidend ist letztlich, ob es einem persönlich Freude macht. Nur dann bleibt man auch dabei. Es gibt zahlreiche Studien, die zeigen, dass beispielsweise die Pflegekräfte in Kliniken sehr von Trainingsprogrammen mit Achtsamkeitsmeditation profitieren.
Wie gelingt es am besten, sich in der Hektik des Alltags auf eine Meditation einzulassen?
Zu Beginn sollte man in einer ruhigen Umgebung anfangen und mögliche Störquellen ausschalten. Mit etwas Übung gelingt es dann aber auch im Alltag, kleine Pausen für die Meditation zu nutzen. Wichtig ist, dass man die Methode findet, die einem persönlich liegt. Sie brauchen lediglich etwas Zeit, einen geeigneten Ort, Motivation und eine gute Anleitung.
Wie lernt man zu meditieren?
Entweder Sie nutzen ein Buch oder Sie besuchen einen Kurs, den inzwischen viele Krankenkassen auch bezuschussen. Ich empfehle das Programm „Stressbewältigung durch Achtsamkeit“, das inzwischen in allen größeren Städten angeboten wird. Dazu liegen viele positive wissenschaftliche Befunde vor. Zunächst kann man sich auch im Internet informieren. Einige Krankenkassen bieten sehr gute Audio-Anleitungen zum Meditieren auf ihren Webseiten an, die man als MP3-Dateien kostenlos herunterladen kann, um erste Erfahrungen zu sammeln.
Viele pflegende Angehörige haben Schwierigkeiten, die pflegebedürftige Person alleine zu lassen. Ist es möglich, auch allein zu Hause zu meditieren?
Das ist möglich. Der Einstieg gelingt in einem Kurs allerdings leichter, weil man sich dort mit anderen Teilnehmern austauschen kann. Nach dem Erlernen im Kurs kann man die Techniken dann selbstständig zu Hause praktizieren.
Können geführte Meditationen auf YouTube hilfreich sein?
Die Qualität dort ist sehr unterschiedlich, das Angebot nahezu unübersehbar. Geführte Meditationen können hilfreich sein, es gibt zudem zahlreiche Apps für das Smartphone. Dazu kann man sich dann zunächst die Bewertungen der Nutzer durchlesen und oft Probeanleitungen erhalten, bevor man sich für eine kostenpflichtige Version entscheidet.
Kann man etwas falsch machen beim Meditieren?
Man sollte sich erst orientieren und dann langsam mit einigen Minuten am Tag einsteigen. Gleich mit einem mehrtägigen Seminar anzufangen, nach dem Motto „Viel hilft viel“, ist für die meisten eine Überforderung. Mehrere Stunden am Tag sind eine sehr intensive Konfrontation mit sich selbst. Außerdem ist es günstig, nicht zu einseitig zu praktizieren. Stille Sitzmeditation kann man gut mit körperlichen Übungen ergänzen, beispielsweise aus dem Yoga. Im Zen werden die Sitzphasen von Geh-Meditationen unterbrochen. Alternativ bieten sich auch Spaziergänge in der Natur an.
Was ist, wenn die Gedanken bei der Meditation immer wieder abschweifen? Zeigt die Meditation dann trotzdem eine positive Wirkung?
Es ist völlig normal, dass die Gedanken abschweifen. Das passiert nicht nur Anfängern, sondern auch Fortgeschrittenen. Mit zunehmender Übung gelingt es lediglich besser, die Aufmerksamkeit länger zu fokussieren und schneller zu bemerken, wenn man abschweift. Jedes Mal, wenn Sie bemerken, dass Sie abgedriftet sind, holen Sie sich zurück. Dieser Vorgang ist ein zentrales Element der Meditation und kein Grund, sich deshalb zu verurteilen.
Sie forschen über Meditation, meditieren aber auch selbst. Was ist aus Ihrer Sicht der größte Gewinn der Meditation?
Meditation ist für mich eine sehr effektive Methode, um zu mir zu kommen. Ich finde zu meiner inneren Mitte und werde mir darüber klar, wer ich bin und was ich wirklich will. Es geht also um Selbsterkenntnis und Authentizität. Nach der Meditation kommt es dann im Alltag darauf an, bei sich zu bleiben. Die wichtigsten Qualitäten, die man durch Meditation in sich finden und kultivieren kann, sind Ruhe, Liebe und geistige Klarheit.
Ich danke Ihnen für das Gespräch, Herr Dr. Ott.
Dr. Ulrich Ott
Dr. Ulrich Ott ist Psychologe und Neurowissenschaftler an der Universität Gießen. Er forscht seit vielen Jahren zu den Auswirkungen der Meditation auf das Gehirn und ist Autor der Bücher „Meditation für Skeptiker“ und „Yoga für Skeptiker“. Sein neuestes Buch „Gesund durch Atmen“ ist 2018 erschienen.