„Eine Haushaltsauflösung kostet Zeit und kann emotional sehr belastend sein“

„Eine Haushaltsauflösung kostet Zeit und kann emotional sehr belastend sein“

Früher oder später kann es jede Pflegeperson betreffen: Der oder die Angehörige zieht in eine Pflegeeinrichtung oder stirbt, und man kommt in die Situation, den Haushalt auflösen zu müssen. Wer dies nicht in die Hand einer Firma legen mag oder kann, sollte an eine Haushaltsauflösung strategisch herangehen. Im Interview erklärt Organisationsexpertin Angela Ludwig, wie es geht.

Eine Frau bei der Haushaltsauflösung im Schlafzimmer
GettyImages/Corinna Kern
Inhaltsverzeichnis
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    Frau Ludwig, was sind die Hauptgründe dafür, dass Angehörige das Haus oder die Wohnung des Pflegebedürftigen oder der Pflegebedürftigen lieber selbst ausräumen, anstatt eine Firma zu beauftragen?

    Das sind vorwiegend zwei Gründe: zum einen ganz klar der finanzielle Aspekt, viele Menschen scheuen die Kosten. Wobei das in meinen Augen ein Trugschluss ist, da die eigene Arbeitszeit und die Nerven, die in solch ein Projekt investiert werden, nicht gegenzurechnen sind. Und zweitens sind es emotionale Gründe, das heißt, die Erinnerungen und Gefühle, die ich mit den Gegenständen verbinde. Da will nochmal jedes Teil geprüft und begutachtet werden.

    Ihre Expertin

    Angela Ludwig (46) studierte Bibliothekswesen und arbeitet seit über 20 Jahren als Effizienz- und Ordnungsexpertin zunächst für Firmen, seit 2016 auch für Privatpersonen. Seit fünf Jahren ist sie als Content Creator in Ordnungsdingen aktiv und betreibt einen eigenen Youtube-Kanal.

    Wie wichtig ist der Aspekt der Planung und Vorbereitung, bevor ich die Ärmel hochkrempele?

    Das ist doch eigentlich immer so: Eine gute Planung ist das A und O. Wer frühzeitig mit der Organisation beginnt, erspart sich eine Menge Kosten und vor allem Stress. Wenn ohne Planung dann hinten raus die Zeit knapp wird, ist der Schmerz groß, wenn dann doch alles hopplahopp von einem Entrümpler abgeholt werden muss.

    Gibt es Ratschläge, die Sie geben können, die praktisch für jeden gelten, der selbst entrümpeln will?

    Ja. Nehmen Sie sich Zeit für eine ordentliche Zeitplanung. Wann sind Sperrmülltermine, wann kommt der Makler, wann sind die Termine mit etwaigen Miterben und so weiter?

    Unterschätzen Sie niemals auch den körperlichen Aufwand und fragen Sie Helfer um Unterstützung. Klären Sie erbrechtliche Sachverhalte vor Beginn der Arbeiten.

    Beginnen Sie nicht zu früh, aber auch nicht zu spät. Nicht kurz vor dem Verkaufstermin, aber auch nicht zu früh nach dem Umzug der Eltern ins Pflegeheim. Realistische Zeitrahmen sind in meinen Augen frühestens ein halbes Jahr, eher ein Jahr nach Tod der zu pflegenden Person und spätestens drei Monate, besser sechs Monate vor einem möglichen Verkauf.

    So klappt die Haushaltsauflösung

    Wie Sie strukturiert vorgehen, erfahren Sie in den Tipps einer Ordnungsexpertin.

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    Welche anderen Möglichkeiten gibt es noch, wenn ich den Haushalt doch nicht selbst auflösen möchte?

    Sie können wahlweise einzelne oder alle Schritte an externe Dienstleister auslagern. Es gibt Auktionshäuser und Gebrauchtwarenhändler, Entrümpelungsfirmen, die alles übernehmen, oder Ordnungscoaches, die nur in Teilbereichen unterstützen können.

    Welche Utensilien sollte jeder zur Hand haben, der so ein Projekt selbst angehen möchte?

    Müllsäcke und Bananenkisten, ein paar Werkzeuge zum Abmessen von Verkaufsgegenständen, gegebenenfalls einen Kleinanzeigen-Account oder Vergleichbares. Ich persönlich empfehle auch noch Schokolade als Nervennahrung.

    Sie weisen in Ihrem Buch immer wieder darauf hin, wie wichtig es ist, einen konkreten Zeitplan zu haben. Warum ist das so elementar?

    Weil eine Haushaltsauflösung, wenn sie selbst vorgenommen wird, unheimlich viel Zeit kostet und emotional sehr belastend sein kann. Auch körperlich. Selbst wenn Sie wollten, Sie können nicht allein einen Dachboden, einen Keller und eine Küche an einem Tag aussortieren, auf dem Flohmarkt anbieten und den Rest zum Wertstoffhof fahren!

    Wenn Sie keinen konkreten Zeitplan haben, verzetteln Sie sich sehr schnell oder verschieben unliebsame Aufgaben nach hinten – bis der Wohnungsübergabe-Termin näher rückt und Sie im völligen Stress alles an einen Entrümpler übergeben müssen. Am Ende geben Sie dann doch noch das Geld aus, das Sie einsparen wollten, haben viel Zeit und Nerven verloren und nichts gewonnen.

    Details zum Buch

    Haushaltsauflösung für Dummies, von Angela Ludwig, Verlag Wiley-VCH, 272 Seiten, 16 Euro.


    Sie definieren eine Kernaufgabe bei jeder Haushaltsauflösung: Sie gehen Zimmer für Zimmer vor und sortieren nach den drei Kategorien „behalten“, „verkaufen“, „entsorgen“. Das klingt einfach. Doch was erschwert es den betroffenen Personen?

    Eigentlich „nur“ die emotionale Bindung an die Gegenstände. Wäre diese nicht vorhanden, hätten Sie das Haus in drei Tagen ausgeräumt. Wenn Sie den Haushalt eines entfernten Bekannten auflösen, wird Ihnen das auch vergleichsweise leicht fallen. Bei den eigenen Eltern sieht es anders aus. Deshalb ist es so wichtig, Zeit vergehen zu lassen, bevor Sie mit dem Auflösen beginnen. Ansonsten werden Sie bei jedem einzelnen Gegenstand an früher erinnert, der Verlustschmerz sitzt oft sehr tief.

    Haben Sie da ein Beispiel aus der Praxis?

    Nehmen Sie doch mal die leeren Marmeladengläser des Vaters, der immer so gern bis zuletzt Marmelade eingekocht hat. Für mich ist das Altglas. Was glauben Sie, wie viele Menschen da anfangen zu überlegen, ob sie nicht doch noch „dieses eine“ Exemplar aufheben sollten.

    Oder die Bettwäschesets, mit denen immer das Bett bezogen war, wenn Sie Ihre Eltern besucht haben: Das sind theoretisch Teile für die Altkleidersammlung – praktisch ist es für Sie aber die Erinnerung an gemütliche Abende bei Ihren Eltern auf dem Sofa, als die Welt noch in Ordnung war und Sie sich anschließend in diese schöne weiche Biberbettwäsche gekuschelt haben. Allein dieser Umstand macht das Aussortieren so schwer. Und deshalb brauchen Sie Zeit dazu.

    Wie gehe ich vor, wenn derjenige, der die Wohnung oder das Haus bewohnt, bei der Haushaltsauflösung dabei sein will?

    Das würde ich auf jeden Fall versuchen zu vermeiden. Außer derjenige sagt: „Ach, macht doch mit dem Krempel, was ihr wollt.“ In den meisten Fällen, zum Beispiel bei einem Umzug ins Pflegeheim, bietet es sich an, einen gemeinsamen „Abschlusstermin“ zu definieren, an dem die Bewohnerin oder der Bewohner noch einmal durch Haus oder die Wohnung geht, und in Ruhe all die Sachen heraussuchen kann, die sie oder er aufbewahren wollen würde. Danach ist der Zutritt zur Immobilie tabu. Das wäre viel zu emotional.

    Gut für das eigene Befinden ist, sich immer wieder klar zu machen, dass die Verantwortung für die Sachen beim Besitzer liegen. Aus diesem Grund würde ich auch keine Haushaltsauflösung machen, solange der Besitzer noch lebt.

    Und dann gibt es ja noch die eigene Befindlichkeit. Warum sollte ich die seelische Herausforderung, die eine Auflösung mit sich bringt, nicht unterschätzen? Und was hilft, um den Aspekt der Trauer und des Abschieds zu würdigen?

    Unsere Emotionen kommen meist dann, wenn man sie nicht braucht. Wer schon einmal erlebt hat, wie Menschen inmitten einer Wohnung mit einer Panikattacke vor Trauer zusammenbrechen, weiß, dass die Gefühle wirklich ziemlich überwältigend sein können. Geben Sie sich Zeit, die Trauer zu verarbeiten. Holen Sie sich gern auch professionelle Unterstützung durch Lebensberater, Seelsorger oder Therapeuten.

    Bei einer Haushaltsauflösung kommen Sie zusätzlich auch an Ihre körperlichen Grenzen. Wenn Sie da nicht stabil aufgestellt sind, können Sie die nervliche und psychische Belastung sehr beeinträchtigen. Achten Sie auf sich!

    Sie schreiben in Ihrem Buch, dass jeder Betroffene eine persönliche Weiterentwicklung durch eine Haushaltsauflösung erfährt. Wodurch geschieht das?

    Im Buddhismus sagt man: „Die Wurzel des Leidens ist Anhaftung.“ Das finde ich einen sehr schönen Gedanken – bei einer Haushaltsauflösung müssen Sie sich ständig mit dem Thema der Anhaftung, also der Verbundenheit an die Dinge, beschäftigen – und vor allem eines lernen: loszulassen.

    Wenn Sie das gelernt haben, dann werden Sie auch in Ihrem weiteren Leben einen anderen Blickwinkel auf Ihren Besitz haben. Bei vielen Menschen ändert sich das eigene Konsumverhalten, es wird nicht mehr so viel sinnloses Zeug eingekauft, weil man selbst miterlebt hat, was letztendlich zum Schluss damit geschehen wird. Daraus entstanden ist auch die Methode des „Swedish Death Cleanings“ von Margarete Magnusson, die trefflich beschreibt, wie sie ihren eigenen Besitz aussortiert, damit ihre Nachkommen das nicht erledigen müssen. Das finde ich eine sehr schöne Haltung, denn letztendlich ist ja jeder für seinen Besitz selbst verantwortlich. Mir gefällt die „Sollen doch meine Erben entscheiden, was mit meinem Zeug passiert“-Haltung nicht.

    Swedish Death Cleaning

    Swedish Death Cleaning ist eine Aufräum- und Entrümpelungsmethode, die darauf abzielt, den eigenen Besitz zu ordnen und auszusortieren, bevor man stirbt.

     

    Und was mache ich, wenn gerade durch die Haushaltsauflösung alte Familienkonflikte wieder zum Vorschein kommen?

    Reden, notfalls mithilfe einer Mediation. Und dann klare Verantwortlichkeiten regeln. Nur so geht’s.

    Muss ich Aspekte aus dem Erbrecht berücksichtigen?

    Bei mehreren Erben schon, dazu kann ich aber zu wenig Auskunft geben, da ich kein Fachanwalt für Erbrecht bin. Für solche Fragen sollten Sie auf jeden Fall einen solchen Anwalt zu Rate ziehen. Es gibt auch unabhängige Berater, zum Beispiel Testamentsvollstrecker, die Sie hier entsprechend beraten können.

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    An welchen Stellen stehen uns unsere Glaubenssätze im Weg? Und wie können solche aussehen?

    Die klassischen Glaubenssätze, die uns bei einer Auflösung begegnen, unterscheiden sich nicht von denen, die Sie beim Ordnunghalten im eigenen Haushalt behindern: „Das ist doch noch gut!“, „Das war ein Geschenk, das kann ich doch nicht weggeben“, „Das war aber mal teuer“ – all das sind Verhinderer. Lernen Sie, loszulassen.

    Das war mal teuer? Das Geld ist verloren, in dem Moment, in dem Sie den Gegenstand kaufen. Geschenke darf man weiterverschenken. Und Dinge, die noch gut sind, können Sie weitergeben an Menschen, die sie noch brauchen können. Der Besitz wird Sie nicht glücklicher machen. Natürlich gilt: Ausgewählte (!) Erinnerungsstücke, dürfen Sie gern behalten.

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