Betreuungskräfte aus dem Ausland – „Unsere Erfahrungen waren weitgehend positiv“
Frau Tschöpe-Scheffler, welches Resümee ziehen Sie aus den Erfahrungen, die Sie mit den unterschiedlichsten Betreuungspersonen Ihrer Mutter gemacht haben?
Unsere Erfahrungen mit den 24-Stunden-Hilfen waren weitgehend positiv, auch wenn wir ebenso wie die Betreuerinnen und Betreuer nicht immer zufrieden waren, sondern manchmal auch ärgerlich und einige Konflikte und schwierige Situationen zu bewältigen hatten.
Würden Sie in der Summe denn sagen, dass eine Betreuung durch eine 24-Stungen-Hilfe für jeden geeignet ist?
Das kommt ganz auf die Persönlichkeit des zu Betreuenden an. Meine Mutter war eine sehr offene Frau, sie war Lehrerin und später Übersetzerin für Russisch und Englisch. So kam es, dass in fast 15 Jahren Menschen aus Polen, Rumänien, Russland, Moldawien, Bosnien, Armenien, Bulgarien und Ungarn bei ihr lebten. Bis ich mein Buch in Lesungen öffentlich vorgestellt habe, war mir nicht so bewusst, dass es durchaus noch auf dem Krieg beruhende Animositäten, beispielsweise gegen polnische Betreuerinnen, gibt.
Und wie sehr ist man als Angehöriger involviert?
Als Angehörige oder Angehöriger übernehme ich eine Verantwortung für diesen Menschen. Er lässt seine Familie zurück und braucht neben einer angemessenen Bezahlung auch Freiräume für sich. Und er muss in mir einen Ansprechpartner haben.
Können Sie unseren Lesern sagen, wie hoch der Lohn in der Regel ist?
Zunächst mal müssen ein angemessener Wohnraum und Essen zur Verfügung gestellt werden. Und dann muss man sich im Klaren sein, dass das Pflegegeld bei Weitem nicht reicht, um damit das Gehalt zu bezahlen. Eine Betreuerin, die Deutsch spricht und einen Führerschein hat, bekommt in der Regel mehr Gehalt als jemand ohne diese Kenntnisse. Aus meiner Erfahrung kann ich sagen, dass es nicht unbedingt preiswerter ist, die Betreuungsperson selbst einzustellen, Organisationen nehmen einem da auch vieles ab.
Und wenn es Probleme gibt?
Als wir merkten, dass eine Betreuerin vorwiegend ihre eigenen Interessen im Blick hatte und wirklich unmotiviert war, mussten wir uns von ihr trennen. Das kam aber in all den Jahren nur einmal vor.
Was sagen Sie, trägt dazu bei, dass eine Betreuungssituation mit einer zunächst fremden Person in den eigenen vier Wänden gelingen kann?
Ich bin davon überzeugt, dass es ohne Herzensbildung und weitere persönliche Voraussetzungen keine gute Interaktion geben kann. In meinem Buch über die „Fünf Säulen der Erziehung“ habe ich sie Liebe, Achtung, Struktur, Kooperation und Förderung genannt und als Basis für ein entwicklungsförderndes Verhältnis zwischen Kindern und Erwachsenen beschrieben.
Für die Zusammenarbeit zwischen den Betreuungskräften und dem alten Menschen gelten diese Säulen meines Erachtens ebenfalls. In dieser Konstellation würde ich allerdings statt von Liebe eher von menschlicher Wärme sprechen. Übrigens ist diese Art des Umgangs keine Einbahnstraße, sie gilt also auch umgekehrt im Umgang mit den 24-Stunden-Kräften.
Konnte Ihre Mutter bis zu ihrem Tod in ihrem Zuhause bleiben?
Nein. Ihre fortschreitende Demenz machte es notwendig, noch einmal eine neue Betreuungsform zu suchen. Das ist übrigens etwas, was man als pflegende Angehörige lernt: Situationen verändern sich und ich muss mir immer wieder etwas Neues überlegen. Bei meiner Mutter machte eine fortschreitende Demenz zum Schluss den Umzug in eine betreute Wohngemeinschaft notwendig.
Der Aufwand, sich neu zu informieren, eine andere Lösung zu suchen und noch einmal umzuziehen, hatte sich allerdings gelohnt. Während der dreieinhalb Monate, die sie noch in der Wohngemeinschaft lebte, blühte sie richtig auf. Sie starb im Alter von 98 Jahren.
Was hat Sie bewogen, dieses Buch zu schreiben?
Ich hoffe, dass mein Buch andere Menschen ermutigen kann, die Mühe auf sich zu nehmen, ihren Verwandten, so lange es geht, ein Leben zu Hause zu ermöglichen und sich entsprechende Hilfen zu holen, um eigenen Überlastungen entgegenzuwirken. Ich bin mir im Klaren darüber, dass das nicht für alle möglich ist und es hier finanzielle, räumliche oder persönliche Grenzen gibt.
Buchtipp
“Früher war ich ein flottes Huhn, heute bin ich eine lahme Ente – Meine alte Mutter, Ihre Pflegekräfte aus Osteuropa und ich” von Sigrid Tschöpe-Scheffler, Patmos-Verlag, 18 Euro.
Zur Person
Prof. Dr. Sigrid Tschöpe-Scheffler (70), war bis 2015 Professorin an der Technischen Hochschule Köln für Familienbildung und leitete das Institut für Kindheit, Jugend und Familie. Sie arbeitet heute freiberuflich als Familien- und Erziehungsberaterin, Autorin und Referentin im In- und Ausland. Mail: sigrid-ts@gmx.de