Achtung, Rückstufung!

Achtung, Rückstufung!

Sie haben von Ihrer Pflegekasse einen Brief erhalten, indem angekündigt wird, dass eine Überprüfung Ihres Pflegegrades erfolgen soll? Eine Wiederholungsbegutachtung klingt erstmal nach einem normalen Vorgang im komplexen System der Pflegeversicherung. Doch Vorsicht: Hier kann es durchaus zu einer Rückstufung oder sogar der Aberkennung der Pflegebedürftigkeit kommen. Was Sie tun können, um solche Situationen zu vermeiden, schildert Pflegeberater Dr. Jörg Zimmermann in seiner Kolumne „Ihr gutes Pflegerecht“.

Ein älterer Herr zusammen mit seiner Frau während einer Beratung (Wiederholungsbegutachtung).
GettyImages/Feverpitched
Inhaltsverzeichnis
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    Die seit Wochen andauernde Diskussion über Einsparmöglichkeiten in der Pflegeversicherung hat zur Folge, dass die Pflegekassen spürbar häufiger Wiederholungsbegutachtungen anordnen. Das ist zumindest in meiner täglichen Beratungsarbeit festzustellen.

    Diese Überprüfung des Pflegegrades führt nicht selten zu einer Rückstufung, im schlimmsten Fall zu einer Aberkennung der Pflegebedürftigkeit. Aber auch bei Höherstufungsanträgen, die man selbst gestellt hat, kann das Ganze nach hinten losgehen: Der Antrag wird nicht nur abgelehnt, es resultiert sogar ein geringerer Pflegegrad als vorher.

    Ihr gutes Pflegerecht

    Dr. med. Jörg A. Zimmermann schreibt über die Gesetzliche Pflegeversicherung ‒ eine höchst subjektive ärztliche Zweitmeinung zu Diagnosen und Therapieversuchen in einem manchmal sehr kranken System. Er ist Arzt mit mehrjähriger klinischer Erfahrung. Mit seiner Firma Familiara  hilft er Betroffenen, sich gegen ungerechtfertigte Entscheidungen der Pflegekassen zur Wehr zu setzen. Seit 2017 haben er und sein Team über 40.000 Fälle analysiert und mehrere tausend Widerspruchsverfahren in allen Phasen begleitet.

    Der Brief, der alles verändert

    Es fängt harmlos an: Ein Brief von der Pflegekasse flattert ins Haus. Darin steht etwas von „Wiederholungsbegutachtung“ oder „Überprüfung des Pflegegrades“. Kein Grund zur Sorge, denken viele. Schließlich hat sich ja nichts verbessert – im Gegenteil.

    Doch dann kommt der Gutachter vom Medizinischen Dienst (MD), bleibt vielleicht nur eine halbe Stunde, stellt ein paar Fragen, notiert eifrig – und wenige Tage später kündigt die Kasse an, dass sie beabsichtige, den bestehenden Pflegegrad herabzusetzen. Die betroffene Person habe nun die Möglichkeit, sich dazu zu äußern.

    Und die Angehörigen? Ein Gefühl zwischen Wut und Ohnmacht. Denn wer Tag für Tag miterlebt, wie sich ein Mensch kaum noch selbst versorgen kann, versteht beim besten Willen nicht, wie dieser plötzlich „weitgehend selbstständig“ sein soll – nur, weil er an diesem Tag vielleicht etwas fitter war.

    Wenn Paragrafen den Alltag bewerten

    Das System dahinter heißt SGB XI – das elfte Buch Sozialgesetzbuch. Klingt nach trockener Juristerei, ist aber für Millionen Pflegebedürftige Alltag. Darin steht genau, wie Pflegebedürftigkeit zu messen ist: in Punkten, Modulen, Kriterien.

    Theoretisch ein faires System, praktisch aber ein Problem: Leben lässt sich eben oft nicht in Kästchen ankreuzen. Die Gutachter selbst stehen unter Zeitdruck: 45 bis 60 Minuten pro Besuch, hunderte Fälle im Monat. Da bleibt wenig Raum für Zwischentöne.

    Rechtlich ist die Lage klar: Wer eine Rückstufung bekommt, hat einen Monat Zeit, Widerspruch einzulegen (§ 84 Sozialgerichtsgesetz). Wichtig: Maßgeblich ist nicht die Ankündigung einer Rückstufung, sondern immer der Bescheid.

    Vorbereitung ist der beste Schutz

    Laut MD entfallen rund 40 Prozent aller Begutachtungen auf „Begutachtungen bei bereits bestehenden Leistungsbezügen“. Der Report unterscheidet in seinen Auswertungen nicht strikt zwischen „Wiederholungsbegutachtung“ (also eine regelmäßige Nachprüfung eines bereits bestehenden Pflegegrades) und „Begutachtung im Rahmen eines Höherstufungsantrags“.

    In jedem Fall sind es jährlich über eine Million Fälle, in denen es unliebsame Überraschungen geben kann. Doch was sollte man tun, um eine solche Situation zu vermeiden?

    Ehrlich sein – auch über die schlechten Tage

    Wenn der Gutachter fragt, ob man sich „allein anziehen“ könne, zählt ein „Ja“ als volle Punktzahl – selbst wenn es morgens zwei Stunden dauert und am Ende doch die Tochter helfen muss. Wenn jemand an einem „guten Tag“ lächelt und sich freundlich gibt, wirkt das im Gutachten schnell wie Selbstständigkeit. Dass es an anderen Tagen gar nicht geht, bleibt unerwähnt.

    Viele Pflegebedürftige neigen dazu, ihre Situation schönzureden: „Ach, das geht schon.“ Oder: „Ich will ja nicht jammern.“ Doch beim Gutachten zählt Ehrlichkeit. Niemand erwartet Dramatik – aber wer die tatsächlichen Einschränkungen nicht anspricht, wird leicht unterschätzt. Und wer Pech hat, landet in der Statistik als „deutlich verbesserter Fall“.

    Ein Pflegetagebuch ist oft Gold wert. Schreiben Sie auf, welche Unterstützung täglich nötig ist – vom Duschen bis zur Medikamenteneinnahme. So entsteht ein realistisches Bild, das den Eindruck eines „guten Tages“ relativiert.

    Nicht zu unterschätzen: Das Pflegetagebuch

    Dokumentieren Sie den tatsächlichen Pflege- und Unterstützungsbedarf Ihres pflegebedürftigen Angehörigen und wappnen Sie sich für Begutachtungstermin oder Arztgespräch.

    Mit Auswahl von „Download anfordern“ stimmen Sie zu, künftig regelmäßig Informationen rund um die Pflege von Angehörigen zu erhalten. Die erteilte Werbeeinwilligung erfolgt im Gegenzug für den Erhalt des Downloads und ist jederzeit widerruflich. Weitere Informationen finden Sie in unseren Datenschutzhinweisen.

    Fazit: Bürokratie heilt nicht – Beratung hilft

    Das deutsche Pflegesystem ist komplex, manchmal absurd, oft überfordert. Und doch hängt von seinen Entscheidungen das Leben vieler Menschen ab. Eine Rückstufung ist nicht immer ein Zeichen von echter Verbesserung, sondern leider oft ein Symptom bürokratischer Kurzsichtigkeit.

    Deshalb: Nehmen Sie die Gutachten ernst – aber nicht hin.

    Die beste Strategie ist, nicht allein zu kämpfen. Lassen Sie sich beraten, bevor es zu spät ist. Pflegeberater kennen das System – und sie wissen, wie man sich darin behauptet.

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