7 Fehler beim Widerspruch und wie Sie diese vermeiden

7 Fehler beim Widerspruch und wie Sie diese vermeiden

Sie haben einen Bescheid der Pflegekasse erhalten und der vom Gutachter ermittelte Pflegegrad entspricht nicht Ihren Erwartungen? Dann haben Sie die Möglichkeit, dagegen vorzugehen. Dr. med. Jörg A. Zimmermann nimmt in seiner Kolumne “Ihr gutes Pflegerecht” heute 7 Fehler beim Widerspruch in den Blick und gibt Tipps, wie sich diese vermeiden lassen.

Eine Frau hält einen Kugelschreiber in der Hand und verfasst einen Widerspruch.
GettyImages/Integrity Pictures Inc

1. Keine Zeit verlieren

Viele Widersprüche scheitern nur daran, dass die Betroffenen nicht rechtzeitig reagieren. Die Frist für den Widerspruch beginnt an dem Tag, an dem Sie den schriftlichen Bescheid der Pflegekasse erhalten haben. Und sie dauert nicht 4 Wochen, sondern genau 1 Monat. Das ist übrigens die Regel für fast alle Bescheide von deutschen Sozialversicherungsträgern.

Wichtig: Wenn im Schreiben der Pflegeversicherung keine entsprechende Frist genannt ist (die sogenannte Rechtsbehelfsbelehrung), gilt die Monatsfrist nicht. Sie können sich dann bis zu 1 Jahr Zeit nehmen (zu was ich Ihnen allerdings nicht rate). Wenn Sie privat versichert sind, gilt die Monatsfrist ebenfalls nicht – weil eine Versicherung eben keine Behörde ist.

2. Wer schreibt, der bleibt

Ein mündlicher Widerspruch, z. B. telefonisch, wird verständlicherweise nicht anerkannt. Außer Sie tun das zur Niederschrift in einer Geschäftsstelle Ihrer Pflegekasse. Bei einem Widerspruch per E-Mail oder Fax wissen Sie nicht, ob Ihr Widerspruch an der richtigen Stelle angekommen ist.

Am sichersten ist der gute alte Brief. Den adressieren Sie einfach an die Stelle, die Ihnen den Bescheid geschickt hat (also nicht der Medizinische Dienst). Und um zweifelsfrei dokumentieren zu können, dass Ihr Widerspruch fristgerecht eingegangen ist, schicken Sie ihn als Einwurf-Einschreiben. Die Mehrkosten für den Rückschein können Sie sich sparen.

Ihr gutes Pflegerecht

Dr. med. Jörg A. Zimmermann schreibt über die Gesetzliche Pflegeversicherung ‒ eine höchst subjektive ärztliche Zweitmeinung zu Diagnosen und Therapieversuchen in einem manchmal sehr kranken System. Er ist Arzt mit mehrjähriger klinischer Erfahrung. Mit seiner Firma Familiara hilft er Betroffenen, sich gegen ungerechtfertigte Entscheidungen der Pflegekassen zur Wehr zu setzen. Seit 2017 haben er und sein Team über 40.000 Fälle analysiert und mehrere tausend Widerspruchsverfahren in allen Phasen begleitet.

3. Alles hat einen Grund

Wenn Sie großes Glück haben, nimmt die Pflegekasse ihre “Amtsermittlungspflicht” ernst und erkennt mögliche Fehler im Gutachten, ohne dass Sie Ihren Widerspruch ausführlich begründen mussten. Darauf sollten Sie sich aber nicht verlassen. Zu groß ist die Wahrscheinlichkeit, dass Ihr Widerspruch “nach Aktenlage” abgelehnt wird.

Eine professionelle Widerspruchsbegründung hat 2 Vorteile: Sie reduzieren das Risiko einer Entscheidung ohne erneute Begutachtung. Und sie erhöhen die Erfolgschance Ihres Widerspruchs, weil Sie als Laie ansonsten nie auf fachlicher Augenhöhe mit der Pflegekasse sind.

4. Schaum vorm Mund

Ich habe hunderte von Widerspruchsbegründungen gelesen, bei denen die Betroffenen – aus verständlichen Gründen – extrem emotional waren. Das Spektrum reichte von unglaubwürdigen Dramatisierungen bis hin zu persönlichen Diffamierungen. In den meisten Fällen wurde wahrscheinlich genau das Gegenteil dessen erreicht, was erreicht werden sollte.

Denken Sie immer daran: Eine Widerspruchsbegründung ist kein Beschwerdebrief. Bleiben Sie sachlich und verzichten Sie auf persönliche Angriffe. Zeigen Sie Punkt für Punkt auf, wo Sie sich falsch beurteilt fühlen oder welche wichtigen Aspekte nicht berücksichtigt wurden.

5. Gute Vorbereitung ist alles

Betrachten Sie die erneute Begutachtung wie eine Prüfung während Ihrer Ausbildung. Planen Sie deswegen ausreichend Zeit ein, um alles (und alle Beteiligten) vorzubereiten. Haben Sie zu den wichtigen Aspekten eine Checkliste gemacht? Liegen alle relevanten ärztlichen Befunde vor? Gibt es vielleicht sogar eine plausible Pflegedokumentation, z. B. in Form eines Pflegetagebuches?

Am wichtigsten: Nehmen Sie sich auch Zeit am Begutachtungstag. Das gilt für die Betroffenen selbst, insbesondere aber für pflegende Angehörige. Immer wieder höre ich, wie kurzfristig anberaumte Begutachtungstermine zu einer Drucksituation führen. Oder dass Pflegebedürftige alleine mit dem Gutachter waren, weil die pflegende Person es nicht rechtzeitig einrichten konnte.

6. Die Stunde der Wahrheit

Wenn erneut begutachtet wird, sollten Sie Folgendes bedenken: Ein Erstgutachter hat Ihre Pflegesituation beurteilt; Sie waren mit dem Ergebnis nicht einverstanden und sind in Widerspruch gegangen. Der Zweitgutachter muss nun entscheiden, ob er das Urteil seines Kollegen revidiert. Das ist für beide unangenehm. Er wird es also nur tun, wenn er absolut überzeugt ist, dass im Erstgutachten Fehler gemacht wurden. Sie kennen das Sprichwort: „Die eine Krähe hackt der anderen kein Auge aus“.

Insbesondere bei knappen Entscheidungen (die notwendige Punktzahl liegt nur knapp über der Grenze des nächsthöheren Pflegegrades) gibt es nach meiner Erfahrung 2 Erfolgsfaktoren: eine überzeugende Widerspruchsbegründung und eine professionelle Begleitung im Begutachtungstermin durch einen eigenen Pflegeexperten. Gerade diese Begleitung sorgt dafür, dass die möglichen Fehler bei der Erstbegutachtung nicht erneut gemacht werden.

7. Angriff ist die beste Verteidigung

Im Widerspruchsverfahren gibt es keine Anwaltspflicht. Ich rate jedoch dazu, anwaltliche Hilfe in Anspruch zu nehmen, spätestens im Anhörungsverfahren. Das beginnt, wenn Ihrem Widerspruch nicht abgeholfen wurde und das Ganze vor den Widerspruchsausschuss geht.

Auch bei schwierigen Ausgangslagen kann ein Anwalt zusätzlichen Druck auf die Pflegekasse erzeugen. Das ist wichtig, wenn Sie Ihren Pflegegrad mit einer sehr niedrigen Punktzahl bekommen haben und der Abstand zum nächsthöheren Pflegegrad groß ist. Oder wenn die Pflegekasse beabsichtigt, Ihnen den aktuellen Pflegegrad abzuerkennen.

Bedenken Sie aber Folgendes: Ein Anwalt hat in der Regel keine pflegefachliche Expertise. Seine Widerspruchsbegründung kann er folglich nur auf dem aufbauen, was Sie ihm sagen. Er kann kein Gutachten bewerten und kennt sich in der Regel nicht mit den Begutachtungskriterien aus.

Deswegen sollten Sie sehr genau hinschauen, wen Sie beauftragen. Die besten Chancen auf einen erfolgreichen Widerspruch haben Sie, wenn ein Pflegeexperte Ihren Fall analysiert und die Argumente für die Widerspruchsbegründung des Anwalts liefert.