Der Begriff „Demenz“ bezeichnet neurologische Erkrankungen, die mit einem zunehmenden Verlust an mentalen Fähigkeiten einhergehen, allen voran die Alzheimer-Krankheit. Derzeit sind rund 1,8 Millionen Menschen in Deutschland von einer Form der Demenz betroffen. Statistisch lebt in jedem 25. Haushalt ein an Demenz erkrankter Mensch.
Durch den demografischen Wandel, so sind sich Fachleute einig, werden die Zahlen in Zukunft noch deutlich steigen: So könnten im Jahr 2050 gar 2,8 Millionen Menschen an einer Demenz leiden. Eine ursächliche Heilung ist bisher nicht möglich, umso wichtiger sind eine gute medizinische Versorgung und pflegerische Betreuung, um die Selbstständigkeit der Menschen und ihre Lebensqualität bestmöglich zu erhalten. Die Nationale Demenzstrategie verschreibt sich aber vor allem einer Maxime: Menschen mit Demenz gehören in die Mitte der Gesellschaft.
Die Vorgeschichte: Deutschland folgt internationalem Trend
Verschiedene Initiativen, um das Leben von Demenzkranken zu verbessern, gab es schon deutlich früher und auch die Idee einer konzertierten Aktion auf nationaler Ebene. „Seit 2013 ist die WHO bestrebt, nationale Demenzprogramme voranzutreiben“, sagt Heike von Lützau-Hohlbein, ehemalige 1. Vorsitzende der Deutschen Alzheimer Gesellschaft. Sie ist, gemeinsam mit mehr als 70 Akteuren aus Politik, Gesellschaft und Wissenschaft, an der Planung und Umsetzung der deutschen Demenzstrategie beteiligt. Zwar waren andere Länder teils deutlich schneller – Österreich etwa gab den Startschuss für seine Strategie bereits im Februar 2015 –, aber im Januar 2019 luden die federführenden Bundesministerien für Familie und Gesundheit auch hierzulande zu einer Auftaktveranstaltung für die Entwicklung der Nationalen Demenzstrategie ein, die im Juli 2020 schließlich von der damaligen Bundesregierung beschlossen wurde.
Die Handlungsfelder der Nationalen Demenzstrategie
Trotz Demenz ein gutes Leben: Um das zu ermöglichen, müssen in ganz unterschiedlichen Bereichen Veränderungen stattfinden. Diese Veränderungen sind der Kern der Nationalen Demenzstrategie und in den vier Handlungsfeldern der Strategie zusammengefasst:
- Strukturen zur gesellschaftlichen Teilhabe von Menschen mit Demenz an ihrem Lebensort aus- und aufbauen
- Menschen mit Demenz und ihre Angehörigen unterstützen
- Medizinische und pflegerische Versorgung von demenziell Erkrankten weiterentwickeln
- Exzellente Forschung zu Demenz fördern
Diese vier Handlungsfelder enthalten 27 Ziele mit insgesamt 162 konkreten Maßnahmen, die von 2020 bis 2026 umgesetzt werden sollen.
Mehr Beteiligung, mehr Unterstützung, mehr Personal
Angesichts der Fülle an Maßnahmen können hier zur Veranschaulichung nur einige genannt werden. Handlungsfeld 1 umfasst unter anderem die Schaffung mehr demenzsensibler öffentlicher Treffpunkte durch die Kommunen. Dazu gehört zum Beispiel die stärkere Öffnung von Kultur-, Sport- und Bildungseinrichtungen für die Betroffenen. Eine beispielhafte Maßnahme aus Handlungsfeld 2: Vor allem Alleinlebende sollen nach dem Erhalt der Diagnose Demenz durch ehrenamtliche Lotsen unterstützt und begleitet werden. Um die Pflege zu optimieren, prüft die Regierung im Rahmen von Handlungsfeld 3 nicht nur das Vorhandensein von ausreichend Personal für die Versorgung demenziell Erkrankter, es werden auch vermehrt demenzspezifische Fort- und Weiterbildungen für Pflegekräfte gefördert.
„Wir brauchen langfristige Forschung“
Handlungsfeld 4 konzentriert sich wie erwähnt auf eine exzellente Demenz-Forschung: „Wir brauchen langfristige Forschung zu effektiven Demenz-Präventionsmöglichkeiten“, sagt Prof. Dr. Riedel-Heller, Direktorin des Instituts für Sozialmedizin, Arbeitsmedizin und Public Health der Universität Leipzig und Vorstandsmitglied der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde. Hierzu sollen künftig wesentlich mehr Studien durchgeführt werden, in denen evaluiert wird, ob sich eine Demenz positiv beeinflussen lässt. Zudem erhalten Wissenschaftler einen besseren Zugang zu anonymisierten Daten aus der Krankenversicherung, die für die Erforschung von Demenz wichtig sind.
Jährliches Monitoring beschreibt Fortschritte
Um die Fortschritte der Nationalen Demenzstrategie zu überwachen, wird jährlich ein Monitoring zum Arbeitsstand durchgeführt. Im Juni 2023 traf sich dazu die sogenannte Steuerungsgruppe, um den insgesamt dritten Bericht zum Umsetzungsstand abzunehmen. Diese Steuerungsgruppe wurde von den zentralen Akteuren der Demenzstrategie unter Leitung der beiden federführenden Ministerien eingerichtet und entsprechend benannt. Die Ergebnisse können sich sehen lassen: Bis zum Ende des Jahres 2022 wurde ein Großteil der Maßnahmen, deren Umsetzung bis zu diesem Zeitpunkt abgeschlossen sein sollte, fristgemäß umgesetzt. Und das, obwohl ein Teil des Umsetzungszeitraums in die Covid-19-Pandemie fiel. Im Abschlussbericht der Steuerungsgruppe heißt es hierzu: „Auch unter schwierigen Rahmenbedingungen wird die Lebenssituation von Menschen mit Demenz und deren Angehörige nachdrücklich und systematisch verbessert.“
Sozialverband kritisiert mangelnde finanzielle Unterstützung
Der Sozialverband VdK ist nicht ganz so optimistisch und vermisst vor allem eine echte Entlastung Betroffener: „Da die finanzielle Unterstützung nur projektbezogen und kleinteilig möglich ist, hat sich die Situation von Familien mit Demenz nicht verbessert. Eine besondere finanzielle Unterstützung für Menschen mit Demenz gibt es nachhaltig nicht“, so der Sozialverband, der auch an anderer Stelle Nachholbedarf sieht.
So zeigt sich in dem aktuellen Monitoring zwar, welche wichtige Rolle den einzelnen Bundesländern in der Umsetzung der Nationalen Demenzstrategie zukommt. Viele von ihnen haben eigene Pläne erarbeitet oder Demenzstrategien selbstständig weiterentwickelt. Beispiel Rheinland-Pfalz: Hier werden im Rahmen des Landesprogramms WohnPunkt RLP gemeinsam mit den Kommunen angepasste dörfliche Wohn-Pflege-Angebote wie zum Beispiel Wohn-Pflege-Gemeinschaften entwickelt. Genau hier sieht der VdK aber auch eine Einschränkung: „Dort, wo sich die Akteure vor Ort auf den Weg gemacht haben, passiert viel und kommt auch entsprechend etwas bei den Betroffenen an. Leider trifft das nur auf die aktiven Kommunen zu.“ Dort, wo nichts gemacht werde, passiere eben auch nichts.
Steuerungsgruppe bleibt positiv
Der Grundtenor des Berichtes der Steuerungsgruppe bleibt aber positiv: Das Thema Demenz sei allgemein spürbar stärker in das Bewusstsein der Öffentlichkeit vorgedrungen. Und das ist eine, wenn nicht sogar die wichtigste Voraussetzung, um die Versorgungssituation von an Demenz Erkrankten weiter zu verbessern. Insbesondere die Ansätze, pflegende Angehörige stärker in den Fokus zu nehmen und zu unterstützen, sind überaus begrüßenswert.
Auch dass die Spitzenforschung im Bereich Demenz künftig intensiver gefördert wird, lässt Hoffnung aufkeimen, die Erkrankung immer besser behandeln zu können. Bei allen sicherlich vorhandenen Schwächen gibt die Nationale Demenzstrategie viele Antworten auf eine besonders drängende Herausforderung, nämlich, wie die zunehmend mehr werdenden Menschen mit Demenz optimal betreut werden können. Monika Kaus, 1. Vorsitzende der Deutschen Alzheimer Gesellschaft, fasst sehr treffend zusammen: „Es ist gut, dass nun auch Deutschland wie viele andere europäische Länder eine nationale Demenzstrategie hat“.