Gedanken zum guten Altern

Gedanken zum guten Altern

Manuela Christiansen pflegte sechs Jahre lang ihren Vater. Gemeinsam sammelten sie Gedanken und Herausforderungen, die ihnen selbst im Alltag wichtig erschienen und die sie anderen Menschen in einer ähnlichen Situation weitergeben möchten, in einem Buch.
Zwei Personen halten sich im Arm
GettyImages/Westend61

Menschen brauchen in jedem Alter eine Aufgabe. Nun kann ich nicht einmal mehr alleine aufstehen“, sagte mein 87-jähriger Vater zu mir. Seine Worte machten mich tief betroffen. Während der täglichen Pflege spürte ich die Traurigkeit, die die neue Lebenssituation bei ihm auslöste. Sein größter Wunsch war es stets gewesen, bis zum Lebensende geistig aktiv zu sein. Körperlich war er sehr schwach geworden, aber geistig war er klar und rege. Genau das brachte mich auf eine Idee: Warum nicht ein gemeinsames Buchprojekt wagen? Das Thema: die Situation, die wir unmittelbar erlebten. Für mich war mein Vater allein schon durch sein Alter ein Experte für Altersfragen. „Auch im Alter möchte man etwas Sinnvolles tun. Vielleicht können unsere Erfahrungen anderen eine Hilfe sein“, sagte er. Fortan wünschte er sich immer einen kleinen Block und einen Stift an seinem Pflegebett.

Mein Vater erwartete mich morgens nun nicht mehr nur, damit ich ihm half, aus dem Bett aufzustehen. Er freute sich darauf, mir seine Gedanken über die Bedürfnisse und Wünsche für ein gutes Altern mitzuteilen. In der Nacht hatte er sich stenografisch Notizen in seinem kleinen Block gemacht. Unser Projekt gefiel ihm sehr und gab ihm Kraft, das bemerkte ich unter anderem an seinen Augen, die nun wieder leuchteten.

Auf einmal pflegende Angehörige

Ich hatte noch nie einen Menschen gepflegt. Es war alles neu – und das im Alter von 45 Jahren. Es gab für mich keine Vorbereitung auf die Pflege. Durch unser gemeinsames Projekt erfuhr ich, was mein Vater fühlte, was ihm für seine Pflege wichtig war.

Ich habe beruflich bedingt viele Fachbücher, auch über das Alter, gelesen. Der Alltag ließ sich aber nicht theoretisch bewältigen, jetzt ging es um die Praxis. Der offene Austausch über unsere Erfahrungen und Gefühle gestaltete die weitere Pflege positiv mit. Ich fragte meinen Vater für unser Buch auch nach Themen, über die ich als Dozentin referiere und die mir auch pflegerelevant erscheinen: Was bedeuten eine vorbereitete Umgebung, soziale Kontakte, eigenes Handeln und Selbstständigkeit für die Pflege und wie wirken sie auf die zu pflegende Person?

Verlust der Selbstständigkeit

„Das größte Thema des Alters sind die Verluste. Nicht nur die menschlichen, sondern auch die körperlichen. Der Verlust der Selbstständigkeit ist nicht leicht auszuhalten. Vor wenigen Wochen bin ich noch aufgestanden und habe mir einen Kaffee geholt, wenn ich Durst hatte. Nun kann ich das nicht mehr. Ich freue mich immer, wenn ich spüre, dass ich noch etwas selbstständig schaffen kann.“ Dieses waren die ersten Sätze, die mein Vater in seinem kleinen Block notiert hatte. Er trug immer den kleinen Block und einen Stift bei sich.

Im Alltag suchten wir nach anderen Dingen, die er noch konnte. Fiel auch das Kaffeeholen weg, so konnte mein Vater seine Idee, Besteck einzuräumen, umsetzen. Das ging auch im Sitzen. Etwas selbst zu tun, war und blieb ein wichtiges Thema.

Mein Vater spannte den inhaltlichen Bogen des Buches noch weiter und fragte eine befreundete Ärztin, ob sie einen Beitrag über alte Menschen in der Hausarztpraxis schreiben würde. Sie kam seinem Wunsch gerne nach, weil auch sie sich viele Gedanken um ihre älteren Patientinnen und Patienten und ihre medizinische Versorgung machte.

Anregungen für den Pflegealltag

Mein Vater starb, bevor das Buch ganz fertig war und schließlich im Februar 2019 erschien. Inzwischen habe ich viele Rückmeldungen zu dem Buch von älteren Menschen und pflegenden Angehörigen bekommen. Der Wunsch meines Vaters, dass unser Buch für andere Anregungen bietet und eine Hilfe für den Pflegealltag sein kann, ist in Erfüllung gegangen.

Mit dem Geld aus dem Verkauf wollten wir soziale Projekte fördern. Unsere größte Freude war der Gedanke daran, dass unser Buch auch auf diese Weise anderen Menschen nützen und sie unterstützen könnte.