Beatmung: Atmen mit Hilfe

Warum müssen manche Menschen mit COPD dauerhaft beatmet werden?
Heimann-Heinevetter: Eine COPD ist eine chronische Lungenerkrankung, das heißt, die Lunge ist bereits geschädigt. Entwickelt dieser Mensch dann einen Infekt – das kann beispielsweise eine für gesunde Menschen „normale“ Erkältung sein – verläuft dieser schwerer. Die Luft wird knapp und knapper, die Menschen kommen ins Krankenhaus und müssen vielleicht künstlich beatmet werden.
Das klappt auch erst einmal gut, die Erkrankten werden von der Beatmung entwöhnt, können wieder selbstständig atmen und der Beatmungsschlauch kann entfernt werden. Wiederholen sich diese Episoden und werden die Aufenthalte in der Klinik häufiger und die Zeit der Beatmung länger, dann wird es immer schwieriger, von der Beatmung loszukommen. Irgendwann kommt dann der Zeitpunkt, an dem sich ein Mensch nicht mehr von der Beatmung entwöhnen lässt.
Sie möchten von der Vergangenheit erzählen, warum?
Heimann-Heinevetter: Weil in den 1980/90er-Jahren vieles noch anders in der Versorgung von Menschen mit COPD war, die auf eine künstliche Beatmung angewiesen waren. Auch damals gab es immer wieder Menschen mit COPD auf den Intensivstationen, die sich nicht mehr von der Beatmung abtrainieren ließen. Aber: Damals gab es noch keine außerklinische Intensivpflege oder sie war noch nicht so gut ausgebaut. Diese Menschen blieben daher monate-, teils jahrelang auf der Intensivstation und wurden dort beatmet. Und meist verstarben diese Menschen früher oder später auf der Intensivstation.
Okay, springen wir in die Gegenwart …
Eigentlich ist die Situation die Gleiche, die akute Krise, also der Infekt, ist geheilt, aber der Mensch mit COPD lässt sich nicht mehr vom Beatmungsgerät abgewöhnen – wobei es ihm ansonsten gut geht. In der Medizin heißt das „guter Allgemeinzustand“. Dann werden diese Patienten in ein Weaning-Zentrum verlegt. Das ist ein Zentrum, das sich auf die Entwöhnung von der Atemunterstützung spezialisiert hat. Die Klinik versucht also, einen Platz in solch einem Zentrum zu bekommen. Ist einer gefunden, verlässt der Mensch mit COPD beatmet die Intensivstation. In dem Weaning-Zentrum wird weiter versucht, den Patienten zu entwöhnen. Dafür sind vielleicht vier Wochen eingeplant.
Angenommen, nach 14 Tagen zeigt sich: Auch im Weaning-Zentrum bleibt die Entwöhnung schwierig, der Fortschritt ist sehr langsam. Dann wird der Sozialdienst des Weanings-Zentrums vorsorglich damit beginnen, einen Platz in der außerklinischen Intensivpflege (AIP) zu finden. Findet er einen, reserviert er den Platz. Zeigt sich dann, die Entwöhnung wird nicht klappen, wird wieder der Sozialdienst aktiv und macht den Platz in der AIP klar.
Was heißt weanen?
Weanen heißt entwöhnen – in diesem Fall von der Atemunterstützung, also von einer Beatmungsmaschine. Wer einmal länger immobil war, zum Beispiel durch einen Gips, hat gesehen, wie schnell sich Muskeln abbauen, werden sie nicht bewegt und genutzt. Und genau das passiert auch mit den Atemmuskeln bei einer künstlichen Beatmung – sie werden sehr schwach. Gleichzeitig ist es so, dass Menschen mit COPD eigentlich viel mehr Kraft brauchen, um zu atmen, die Atemarbeit ist bei ihnen deutlich erhöht. Und das ist ein Grund, der das Abgewöhnen von einer Beatmung bei Menschen mit COPD so schwierig macht. Weanen heißt also eigentlich auch: Trainieren.
Wie leben beatmete Menschen außerhalb der Klinik?
Heimann-Heinevetter: Für die ambulante Versorgung gibt es zurzeit zwei Hauptversorgungsformen für dauerbeatmete Menschen. Die eine ist die 24-Stunden-Versorgung zu Hause, also rund um die Uhr, die andere ist eine Wohngemeinschaft für beatmete Menschen.
Wie sieht eine Versorgung daheim aus?
Heimann-Heinevetter: Wer bereits ambulante Pflege in Anspruch nehmen musste, kann die Situation weiterdenken. Im Fall, dass ein Mensch beatmet nach Hause kommt, wird das Ehe- gegen ein Krankenbett getauscht. Ein weiteres Zimmer sollte man auch haben. Denn: Nötig wird ein Ort zum Lagern von Dingen. Absaugkatheter, Ernährung, Ersatzbeatmungsgerät … es wird viel Material benötigt. Auch sollte man sich darauf einstellen, dass es mehr Publikumsverkehr in der Wohnung geben wird: Regelmäßig zu Besuch kommen werden das Sanitätshaus, Mediziner, Pflegedienst, Lieferanten für den Sauerstoff und, und, und.
Zudem brauchen die Pflegekräfte einen Platz – in der AIP arbeiten sie meist in 12-Stunden-Schichten. Sie benötigen einen Ort, an dem sie Pause machen können oder einfach den beatmeten Menschen auch einmal in Ruhe lassen. Für Angehörigen bedeutet das: Die Wohnung ist nicht mehr die Wohnung, die sie einmal war. Es bedeutet auch: Da ist jetzt ein neues Familienmitglied. Die Pflegekraft, die immer da ist. Auch sollte man sich darauf einstellen, dass die Wohnung selten still sein wird. Man hat immer das Geräusch des Beatmungsgeräts oder das Pockern des Sauerstoffs. Und das ist natürlich auch nicht immer einfach. Man muss sich arrangieren und man muss zurechtkommen.
Wie sind Angehörige in die Versorgung eingebunden?
Heimann-Heinevetter: Manche Pflegehandlungen lassen sich nur mit Unterstützung lösen – Beispiele sind das Positionieren, also Lagern im Bett, oder auch die Mobilisation. Angehörige übernehmen oft Teile der Pflege. In manchen Bereichen sollten sie aber vorsichtig sein und sich sehr genau von der Pflegefachkraft einweisen lassen. Ein Beispiel ist das Absaugen. Die Technik des Absaugens ist dabei gar nicht so sehr das Problem – sehr genau hinschauen muss man aber bei der Hygiene. Denn wenn nicht sehr sauber gearbeitet wird, können Keime in die Lunge geraten und wieder einen Infekt auslösen. Angehörige sollten sich deshalb gründlich informieren lassen und ihre Tätigkeiten mit den Pflegefachleuten absprechen.
Wie sieht das Leben in einer Wohngemeinschaft aus?
Heimann-Heinevetter: Das kann man sich vorstellen wie eine reguläre WG – man mietet ein Zimmer. Sie wird von Menschen bewohnt, die aus unterschiedlichsten Gründen für das Atmen eine Maschine brauchen. In diesen WGs leben zum Beispiel sechs Menschen, jeder hat ein Zimmer gemietet. In jedem Zimmer laufen Beatmungsgeräte und die Geräte für die Überwachung. Dann gibt es eine Küche, vielleicht ein Büro und Flure. Zwei bis drei Fachpflegekräfte sind immer da. Das heißt: Es ist mehr Wissen für den Umgang mit beatmeten Menschen da – und auch mehr Hände. Vor allem für den Fall, dass eine Notsituation eintritt.
Diese WGs sind meist gut ausgestattet, sie haben barrierefreie Toiletten und Duschen, die pflegerische Versorgung ist sichergestellt.
Wer sich für eine WG entscheidet, zieht daheim aus …
Heimann-Heinevetter: Ja, und das ist ein bisschen besonders. Menschen mit einer COPD sind meist nicht dement, sie erfassen vollkommen, was mit ihnen passiert. Und das heißt: Sie begreifen, sie beginnen mit dem Umzug ihre letzte Reise. Denn den WG-Platz werden sie wahrscheinlich nicht mehr verlassen.
Künstliche Beatmung ist mehr als Gabe von Sauerstoff
Wer künstlich beatmet ist, benötigt eine Maschine, die Luft in die Lungen pumpt. Dazu muss eine „Kanüle“ in der Luftröhre liegen, über die die Luft in die Lungen gelangen kann. Bei Menschen, die lange beatmet sind, ist das meist eine Trachealkanüle, die über ein Loch im unteren Halsbereich in die Lunge führt. Praktisch bedeutet das, dass diese Menschen nicht sprechen können (denn die Stimmbänder sind „ausgeschaltet“). Manche können noch schlucken, viele erhalten die Nahrung gleichwohl über eine Sonde, die im Magen liegt.
Ist eine Beatmungs-WG also besser?
Heimann-Heinevetter: In einer solchen Situation ist wenig gut oder besser, die hat man ja nicht gewählt. Es ist eine schwierige Entscheidung. In einer WG zum Beispiel stehen meist die Zimmertüren offen. Für Angehörige heißt das, dass sie bald die anderen Bewohner sehr gut kennen werden – ob sie es nun wünschen oder nicht. Es ist eine Art Großfamilie, die sich entwickelt. Auch wird diese WG nie leise sein. Sie haben dort nicht nur ein Gerät, das piepst, es sind viele.
Wie lassen sich Freizeit, Urlaub oder Ausflug umsetzen?
Heimann-Heinevetter: Ein COPD-Patient kann auch beamtet gut leben. Manchmal sind sie auch nicht den ganzen Tag beatmet, sondern schaffen es, stundenweise allein zu atmen – dann aber meist unter der Gabe von Sauerstoff. Beatmete Menschen können im Prinzip am Leben teilhaben. Sie können herumlaufen – durchaus mit dem Beatmungsgerät – etwa in der Wohnung oder im Garten. Sie können auch Eis essen gehen. Man muss nur Beatmungsgerät und Absaugeinheit und gegebenenfalls Sauerstoff dabeihaben – und natürlich die Pflegefachkraft. Es ist also ein kleiner Ausflug mit großer Reisetasche.
Ich habe Pflegedienste gekannt, die sind mit ihren Klienten an die Nordsee gefahren, zusammen mit den Angehörigen. Gerade bei einer COPD ist Training im Sinne einer leichten körperlichen Aktivität durchaus erwünscht.
Können Angehörige auch einmal allein in den Urlaub fahren?
Heimann-Heinevetter: Wenn der beatmete Mensch in einer Wohngemeinschaft lebt, ist seine Versorgung sichergestellt. In der 1:1-Betreuung ist das etwas schwieriger – denn es muss ja immer jemand da sein, es bedarf also viel Absprache. Eine Variante ist, und die kann man vielleicht schon bei der Wahl des Pflegedienstes berücksichtigen: Viele Pflegedienste betreiben eine WG und 1:1-Betreuung, und in die Wohngemeinschaft können Menschen vorübergehend einziehen.
Was sollte jemand beachten, der nun vor der schwierigen Entscheidung steht?
Heimann-Heinevetter: Ich kann Angehörigen nur raten, selbst aktiv zu werden: Sie sollten sich nicht nur einen Pflegedienst vorschlagen lassen, sondern sich mehrere anschauen. Sie sollten versuchen, den Pflegedienst selbst kennenzulernen, ein bisschen im Netz recherchieren. Und sich auch eine Wohngemeinschaft anschauen. Dort kann man eventuell über andere Bewohner oder Angehörige Informationen bekommen. Im Kopf haben sollte man auch: Es steht allen jederzeit frei, den Pflegedienst zu wechseln. Denn: Angehörige schließen einen Vertrag mit dem Dienst – sie sind nicht mit ihm verheiratet. Die Dienste verdienen mit ihrer Arbeit Geld – und da können Angehörige durchaus für ihr Geld ihre Ansprüche geltend machen.
Zur Person
Andreas Heimann-Heinevetter ist examinierter Fachkrankenpfleger für Anästhesie und Intensiv. Er arbeitete auf verschiedenen Intensivstationen und auch in der ambulanten Pflege – dort vor allem im Bereich der außerklinischen Intensivpflege (AIP). Nun ist er seit Jahren im Bereich der Fort- und Weiterbildung beschäftigt (Schwerpunkt AIP) und leitender Autor beim E-campus, wo er auch E-Learnings schreibt und produziert.