Als Volkskrankheit betrifft die Demenz in Deutschland insgesamt über 1,8 Millionen Menschen. So leidet im Alter von 80 Jahren jeder Siebte unter der Erkrankung. Neben anderen Formen der Demenz handelt es sich beim Großteil der Erkrankungen um Alzheimer. Gekennzeichnet durch Gedächtnisverlust und abnehmende Konzentrationsfähigkeit, kann die Erkrankung für Betroffene und deren Familienmitglieder eine große Herausforderung sein. Nach und nach werden Alltagsaufgaben für Patienten und Patientinnen schwieriger und die Abhängigkeit von pflegenden Angehörigen steigt.
Einen Überblick zur Erkrankung finden Sie in unserem Beitrag „Steckbrief: Demenz“.
Betreuen Sie Familienmitglieder, die erkrankt sind? Dann hält unser Beitrag „Umgang mit Demenz: 10 Tipps für den Alltag“ hilfreiche Ratschläge bereit.
Demenz heute: Behandelt wird symptomatisch
Heilbar ist die Demenz bislang nicht. Vielleicht noch nicht. Alle aktuell verfügbaren Maßnahmen zielen ausschließlich auf die Behandlung der Symptome ab. Mit Wirkstoffen, wie beispielsweise sogenannten Cholinestherase-Hemmern, kann die verschlechterte Kommunikation zwischen Nervenzellen leicht angeregt werden. Gleichzeitig wird Betroffenen zu einem möglichst gesunden Lebensstil geraten – zum Beispiel durch regelmäßige Bewegung, ausgewogene Ernährung, soziale Kontakte oder auch Gedächtnistraining. Was im klinischen Alltag jedoch bislang vollkommen fehlt, ist eine ursächliche Behandlung der Demenz.
Therapie mit Antikörpern als Meilenstein
Schon lange ist bekannt, dass die Behandlung mit Antikörpern ein vielversprechender Ansatz für Alzheimerpatienten sein könnte. Viele Jahre intensiver Forschungsarbeit brachten nach und nach unterschiedliche Puzzleteile zusammen. Bis hin zum klinischen Einsatz haben neue Therapien aber einen langen Weg – denn zunächst müssen Sicherheit und Wirksamkeit in umfangreichen Studien nachgewiesen werden.
Für zwei Antikörper sind nun Studienergebnisse vorhanden: Lecanemab und Donanemab. Beide Antikörper sind in den USA bereits für die Anwendung bei bestimmten Alzheimerpatienten zugelassen. Laut Prof. Saur, Neurologin am Universitätsklinikum Leipzig, könnte die Antikörpertherapie ein echter Meilenstein sein, sodass die Hoffnung bei Betroffenen auch hierzulande groß sei.
Im europäischen Raum steht die Zulassung bislang jedoch noch aus. Während ein Wirkstoff noch durch die Europäische Arzneimittelagentur (EMA) geprüft wird, hat diese die Empfehlung eines zweiten Wirkstoffes erst kürzlich wegen unzureichendem Risiko-Nutzen-Verhältnisses abgelehnt. Zunächst bleibt also offen, ob die Antikörpertherapie auch für Alzheimerpatienten in Europa verfügbar sein wird.
Wie funktioniert die neue Therapie?
Um den Wirkmechanismus der Antikörpertherapie zu verstehen, muss man zunächst die Ursachen von Alzheimer kennen. Ein wichtiges Merkmal der Erkrankung ist die Anhäufung sogenannter Amyloid-Beta-Proteine im Gehirn, die sich in Form von Plaques an Nervenzellen anlagern. Heute weiß man, dass diese Proteinablagerungen ein wesentlicher Treiber für die Krankheit sind und die Funktion der Nervenzellen langfristig schädigen. Genau hier setzt die neue Therapie an.
Antikörper haben die grundlegende Eigenschaft, spezifisch an bestimmte Moleküle binden zu können – wie zum Beispiel an die schädlichen Proteinablagerungen bei Alzheimerpatienten. Haben Antikörper ihr Ziel erreicht, stimulieren sie das Immunsystem und sorgen so dafür, dass die Widersacher attackiert und schließlich abgebaut werden.

Im Ergebnis bis zu 30 Prozent langsamerer Krankheitsverlauf
Die Ergebnisse der Studien geben der Theorie recht: Nach einer solchen Antikörpertherapie fanden sich im Gehirn von Patienten deutlich weniger Proteinablagerungen. Zwar führte das nicht zur Heilung oder Verbesserung der Symptome, konnte jedoch den Krankheitsfortschritt um bis zu 30 Prozent verlangsamen. In Anbetracht der heutigen Möglichkeiten ist das ein echter Fortschritt in der Alzheimerbehandlung.
Kommt die Antikörpertherapie für mein Familienmitglied in Frage?
Zum jetzigen Zeitpunkt ist noch nicht bekannt, an welche Bedingungen eine mögliche europäische Zulassung geknüpft wäre. Sicher ist aber, dass die Antikörpertherapie vor allem Patienten in frühem Krankheitsstadium mit sogenannter „leichter kognitiver Störung“ helfen kann. Studien zeigen: Auch bei weitestgehend intakter Gehirnfunktion und somit kaum bemerkbarer Beeinträchtigung, sind die schädlichen Proteinablagerungen bereits im Gehirn von Erkrankten nachzuweisen. In dieser Phase scheint die Antikörpertherapie also besonders vielversprechend zu sein, um den Krankheitsfortschritt zu verlangsamen.
Für Alzheimerpatienten mit fortgeschrittener Erkrankung wird die Antikörpertherapie hingegen laut Experten zunächst ungeeignet sein. Das bedeutet auch: Möglichkeiten zur Früherkennung von Alzheimer werden in Zukunft von großer Bedeutung sein, um optimal behandeln zu können.
Erkennen Sie mögliche Anzeichen für Demenz bei sich oder Ihrem Familienmitglied? In unserem Beitrag „Zerstreut oder Demenz? Symptome und Risikofaktoren“ geben wir Ihnen einen Überblick über typische Frühsymptome.
Neue Hoffnung, aber auch neue Hürden
Die neue Antikörpertherapie für Alzheimer ist zwar ein echter medizinischer Fortschritt, gleichzeitig aber auch mit Risiken verbunden. In klinischen Studien zeigte sich unter anderem ein erhöhtes Risiko für Hirnschwellungen, welche zwar häufig symptomlos blieben, jedoch in manchen Fällen auch zu Hirnblutungen führten. Nutzen und Risiko der Antikörpertherapie müssen deshalb für jeden Patienten individuell und sorgfältig abgewogen werden.
Eine weitere Hürde für den Einsatz der neuen Therapie im klinischen Alltag sind die hohen Kosten und der erhebliche Behandlungsaufwand: Der Wirkstoff muss ein bis zwei Mal im Monat bei einem Arzt oder in einer Klinik als Infusion verabreicht werden. Die Behandlung dauert mehrere Stunden und muss über Monate hinweg weitergeführt werden. Auch eine engmaschige ärztliche Betreuung ist sehr wichtig, um den Krankheitsverlauf zu beobachten und etwaige Nebenwirkungen zu behandeln. Im Hinblick auf die hohe Zahl der Erkrankungen bleibt die Frage nach einer breiten Anwendung und entsprechender Kostenerstattung zunächst offen.
Unterm Strich ein bedeutender Fortschritt für die Demenz-Therapie
Die Antikörpertherapie ist ein bedeutender Fortschritt in der Behandlung von Alzheimer. Im Gegensatz zu bisher verfügbaren Behandlungsansätzen, zielt die neue Therapie auf die Ursache der Erkrankung ab, statt nur Symptome zu lindern. Eine Heilung ermöglicht dies zwar bislang nicht – jedoch kann der Krankheitsfortschritt vor allem bei frühzeitiger Diagnose deutlich ausgebremst werden.
Für viele Betroffene könnte die Antikörpertherapie also ein wichtiger Pfeiler im Kampf gegen die Erkrankung sein. Gleichzeitig betont die Deutsche Gesellschaft für Neurologie, wie wichtig die Prävention von Demenzerkrankungen weiterhin sei. Mit entsprechenden Maßnahmen könnte die Erkrankung in vielen Fällen verhindert oder zumindest ausgebremst werden.