Grundsätzlich ist es wichtig, in das Selbsterleben von Menschen mit Demenz einzutauchen. Das bedeutet, Sie als orientierter Begleiter sollten für einen Moment die Sicht Ihres betroffenen Angehörigen einnehmen, um ihn besser verstehen zu können. Aber woher wissen Sie, wie es Ihrem erkrankten Familienmitglied geht, wenn er oder sie sich nicht mehr äußert? Aus Selbstzeugnissen der Betroffenen, denn es gibt mittlerweile viele Informationen von Menschen mit einer leichten oder mittelstark ausgeprägten Demenz, von denen anzunehmen ist, dass sie auch dem Erleben von Menschen mit einer weiter fortgeschrittenen Demenz ähneln.
Die Welt gerät aus den Fugen
Seit etwa 25 Jahren erforschen Wissenschaftler, wie sich Demenz aus Innensicht der Betroffenen darstellt. Daher wissen wir heute, wie sich Menschen mit Demenz fühlen: Wer seine gewohnten Alltagsaktivitäten nicht mehr ausführen kann, erlebt Scham, Versagensangst und ein verringertes Selbstwertgefühl. Betroffene befürchten einen kompletten Kontrollverlust und völlige Fremdbestimmung. Der zunehmende Verlust kommunikativer Fähigkeiten betrifft die eigenen Bedürfnisse und sozialen Beziehungen gleichermaßen. Das zu beobachtende Rückzugsverhalten und die Ängste der Betroffenen sind damit erklärbar. Viele Menschen mit Demenz schildern, dass ihre Welt zunehmend aus den Fugen gerät.
Kompetenzen wie Körperpflege gehen verloren
Der Verfall der geistigen Fähigkeiten tritt schleichend ein. Besonders frustrierend ist für Erkrankte, dass sie anfangs ihre Fehlleistungen auf geistiger oder körperlicher Ebene bewusst miterleben. An ihren Reaktionen auf ihre Fehlleistungen lassen sich Angst, Verwirrung, Frustration, Aggression und Depressionen ablesen. Obwohl viele der anfänglichen Ausfälle überspielt werden, ist der erkrankten Person bewusst, dass etwas nicht stimmt. Hierfür hat sie aber zunächst keine Erklärung, da sie sich zu Beginn des demenziellen Prozesses erst einmal zurückzieht und eben nicht offensiv nach Gründen sucht.
Noch gravierender ist, dass jeder Betroffene sich den rätselhaften Geschehnissen hilflos und schutzlos ausgeliefert fühlt. Nach und nach büßen an Demenz erkrankte Menschen ihre Alltagskompetenzen wie Körperpflege, ein gutes Gedächtnis, Konzentrationsfähigkeit und motorische Fähigkeiten ein.
Demenzerkrankte ringen täglich um Autonomie
Von Demenz betroffene Personen sind nicht mehr in der Lage, ihre zunehmenden Defizite zu kompensieren oder zu verstehen. Das verunsichert, macht hilflos und erzeugt Ängste. Demenzerkrankte ringen somit jeden Tag um ihre Integrität und Autonomie! Ständige Korrekturen der unangemessenen Verhaltensweisen durch begleitende Personen machen das Problem für sie nur noch größer und sollten daher vermieden werden.
Die Persönlichkeit wandelt sich
Ein weiterer Punkt, der Sie als pflegende Angehörige womöglich belastet, ist der zunehmende Wandel der Persönlichkeit Ihres erkrankten Familienmitglieds. „Ich erkenne meinen Mann kaum noch wieder“ oder „Ich pflege eine völlig fremde Person. Sie sieht zwar noch aus wie meine Mutter – aber da steckt meine Mutter nicht mehr drin. Wo ist meine Mutter geblieben?“ – das sind Gedanken, die Sie wahrscheinlich kennen. Selbstverständlich verändert sich Ihr Angehöriger nicht optisch, hingegen aber von seinem Wesen her. Er ist nicht mehr vergleichbar mit der früheren Person. Dieser Wandel löst bei Ihnen vielleicht Trauerreaktionen aus und Sie wollen diesen Veränderungsprozess am liebsten aufhalten oder zumindest verlangsamen.

Körperpflege bei Demenz
Die Körperpflege von Menschen mit Demenz kann herausfordernd sein. 10 Tipps, wie Ihnen eine einfühlsame Körperpflege gelingt.
Körperpflege wird unwichtig – Sicherheit wird wichtiger
Doch was hat das alles mit der Körperpflege zu tun? Die zuvor beschriebenen Punkte sollen Ihnen dabei helfen, zu verstehen, warum Ihre pflegebedürftige Person bei der Körperpflege so reagiert, wie sie reagiert. Aufgrund der zunehmenden Angst, Unsicherheit und Hilflosigkeit ist vielen Menschen mit Demenz die eigentliche Körperpflege nicht mehr wichtig. Sie erleben sich in einer existenziellen Ausnahmesituation, in der das optische Erscheinungsbild nur noch nebensächlich ist. Wer sich an Leib und Leben bedroht fühlt, dem ist es völlig egal, ob die Haare ordentlich liegen. Sicherheit, Vertrautes und Bekanntes stehen jetzt im Vordergrund.
Zudem ist für viele Erkrankte die tägliche Körperpflege ein Angriff auf ihre Autonomie und Integrität, die sie mitunter auch mit körperlicher Gewalt verteidigen. Jede Form von Bevormundung und Korrektur wird als Kränkung erfahren – erst recht in der Öffentlichkeit.
Was Sie tun können, wenn Ihr Angehöriger Körperpflege verweigert
Auch wenn es für Sie schwer zu ertragen ist, sollten Sie in der Ablehnung der Körperpflege erst einmal einen Ausdruck nach Autonomie und den Wunsch nach Sicherheit lesen. Daher sollten Sie unbedingt vermeiden, Ihren Angehörigen zu bedrängen oder unter Druck zu setzen.
Selbstverständlich müssen alle Pflegeverrichtungen vorher angekündigt und behutsam kommunikativ begleitet werden. Schimpfen, drohen, beleidigen oder bedrängen sind dabei völlig kontraproduktiv, da Ihr erkrankter Angehöriger hierauf mit Aggressionen reagieren wird.
Auf was Sie bei der Körperpflege von Demenzerkrankten achten sollten
Die folgenden 10 Tipps können für Sie bei der Körperpflege von Menschen mit Demenz hilfreich sein:
- Sprechen Sie ruhig und behutsam mit Ihrem Angehörigen. Zeigen Sie ihm die bekannten Waschutensilien, damit er weiß, was Sie von ihm wollen.
- Vermeiden Sie peinliche Situationen, indem Sie zum Beispiel die Badezimmertür schließen. Entkleiden Sie nur die Körperpartien, die gerade gepflegt werden sollen.
- Es ist wichtig, den Pflegevorgang zu unterbrechen, wenn Ihre pflegebedürftige Person sich dagegen wehrt. Zu einem späteren Zeitpunkt kann dieser wieder aufgenommen werden. So überlassen Sie Ihrem erkrankten Familienmitglied (wieder) die Regie über seine Pflege und Versorgung.
- Bedenken Sie für den Waschvorgang, dass „weniger“ oftmals „mehr“ bedeutet. Ein tägliches Waschen ist für Betroffene nicht mehr so wichtig – wohl aber, ihre Selbstbestimmung zu behalten.
- Reduzieren Sie die eigentliche Körperpflege auf ein Minimum.
- Schauen Sie auf Ihren an Demenz erkrankten Angehörigen nicht mit den Augen der Außenwelt, sondern mit seinen Augen.
- Lernen Sie, sich nicht für Ihren Angehörigen zu schämen.
- Sehen Sie die Person und nicht den Patienten in Ihrem erkrankten Familienmitglied.
- Legen Sie den Fokus auf die Erhaltung des Wohlbefindens. Ziel sollte nicht sein, einzelne Funktionen wie etwa das Waschen über ein Wasch-Training unbedingt aufrechtzuerhalten.
- Aus dem ambulanten Bereich ist bekannt, dass nur in 30 Prozent der häuslichen Pflegesituationen ein Pflegedienst mit einbezogen wird. Das bedeutet im Umkehrschluss: 70 Prozent der Angehörigen nehmen keine professionelle Unterstützung (z. B. bei der Körperpflege) in Anspruch. Prüfen Sie daher für sich, ob es für Sie sinnvoll sein kann, diesen Bereich einem außenstehenden Profi zu überlassen.
Stellen Sie die Person in den Mittelpunkt
Genau wie eine Krebsdiagnose kann die Diagnose Demenz Betroffenen und ihren Angehörigen sprichwörtlich den Boden unter den Füßen wegziehen. Mittlerweile ist es auch in der breiten Bevölkerung angekommen, dass Demenz nicht heilbar ist. Daher erschüttert die Diagnose gleich doppelt. Für Sie als pflegende Angehörige ist es umso wichtiger, zu verstehen, wie sich Ihr erkranktes Familienmitglied fühlt und seine Umwelt erlebt.
So werden dann auch herausfordernde Verhaltensweisen wie die Verweigerung der Körperpflege für Sie verständlich und nachvollziehbar.
Dement, aber nicht vergessen. Was Menschen mit Demenz gut tut – acht Empfehlungen, Schmieder, M., Entenmann, U. & Wingert, E., Ullstein, Berlin, 2022.
Dement, aber nicht bescheuert. Für einen neuen Umgang mit Demenzkranken, Schmieder, M. & Entenmann, U., Ullstein, Berlin, 2021.
Angehörigenarbeit in der Pflege. Ein Praxisratgeber, Kostrzewa, S./ Kocks-Kostrzewa, A., Verlag Mensch & Medien, Vilgertshofen, 2019.
Der alte König in seinem Exil, Geiger, A., dtv, München, 2015.
Alzheimer und Ich, Taylor, R., Huber, Bern, 2008.