Teilbares Rollstuhlrad für mehr Barrierefreiheit
Vor 5.000 Jahren wurde das Rad erfunden und seitdem ist nicht mehr viel passiert“, scherzt Erfinder Christian Czapek über sein Rollstuhlrad. Das Besondere an dem „trivida“-Rad ist, dass es dreigeteilt ist und sich jedes der Segmente jeweils einzeln mit einem Handgriff aus dem Rad herausnehmen lässt.
Mithilfe eines ergonomischen Schnellspannhebels kann das jeweils oben liegende Radsegment entriegelt und leicht entnommen sowie hinterher wieder eingesetzt werden. Auf diese Weise werde der Transfer vom Rollstuhl und wieder zurück erleichtert, erklärt Eich. Durch die fehlende Barriere könne ein Rollstuhlfahrer „rüber rutschen“, was den Kraftaufwand minimiere.
Was lange währt
Die erste Idee für ein teilbares Rad kam Czapek bereits während seines Designstudiums in den 1970er-Jahren. Damals entwickelte er einen selbstaufstehenden Rollstuhl. Dabei fiel ihm auf, dass das Rad immer im Weg ist. Das brachte ihn auf die Idee, das Rad zu teilen. „Seitdem habe ich immer wieder daran getüftelt“, erinnert sich der 72-Jährige.
„Es war aufgrund der Statik natürlich nicht einfach, ein Rad zu teilen“, erzählt er. Dennoch wollte er die Erfindung unbedingt fertig bekommen. Ihn habe das Ziel angetrieben, Menschen mit Behinderung eine neue Barrierefreiheit zu ermöglichen und ihnen damit zu helfen.
Ein erstes Patent habe er 1976 angemeldet. Damals sei es noch viergeteilt gewesen. „Das war aber nicht so richtig stabil“, erinnert sich der Erfinder. Dennoch tüftelte er weiter. „Mich hat das Rad nicht mehr losgelassen“, sagt er. Als er die ersten Prototypen baute, wusste er, dass es funktionieren kann. „Man hat mich damals für verrückt erklärt, wieso ich denn das Rad teile“, erzählt Czapek. Damals habe es keine wirkliche Lobby für Menschen mit Behinderung gegeben. In der Öffentlichkeit sei das Thema Barrierefreiheit weit weniger präsent gewesen, als es heute der Fall ist.
Die „zündende“ Idee, das Rad in drei anstatt in vier Teile zu teilen, sei ihm in den 1990er-Jahren gekommen. Er habe daraufhin die ganze Nacht an der Zeichnung gesessen. „Morgens bin ich dann zu meiner Frau und habe gesagt: Ich hab´s! Ich habe das Rad neu erfunden“, erinnert er sich zurück.
Als Czapeks Bruder 2008 nach einem Schlaganfall auf einen Rollstuhl angewiesen war, motivierte das den Erfinder zusätzlich, sein Rollstuhlrad endlich auf den Markt zu bringen.
2019 lernte Czapek über eine gemeinsame Freundin Ingenieur und Entwickler Michael Eich kennen und konnte ihn mit einem Prototyp auf Anhieb für seine Idee begeistern. Auch Eich wollte mit seinem Wissen und Können etwas Sinnvolles schaffen, das Menschen hilft.
„Der Prototyp war noch aus Aluminium und recht schwer“, erinnert sich Eich. Die Herausforderung bestand darin, das Gewicht zu reduzieren und ein einfacheres Verschlusssystem zu entwickeln. Czapek habe es zuvor noch mit einem Drehverschluss gelöst. Zudem ließ sich auch nur eines der drei Segmente abnehmen, weswegen man den Rollstuhl erst in eine bestimmte Position hätte bringen müssen. Das sei für Menschen, deren motorische Fähigkeiten eingeschränkt sind, schwerer in der Handhabung gewesen.
Das fertige Rad gibt es inzwischen in zwei Versionen: aus Kunststoff und aus Carbon. Durch diese Materialien konnte das Gewicht deutlich reduziert werden. Zudem lässt sich jedes der drei Segmente nun mit einem Hebel abtrennen. Eine leichte Handhabung sei wichtig, damit möglichst viele Menschen im Rollstuhl das Rad auch selbst und ohne Hilfe nutzen können, erzählt Eich. Deswegen hätten sie letztendlich einen Hebel, der sich mit dem Handballen bedienen lässt, für den Verschluss gewählt.
Teilbares Rollstuhlrad: Produktion in Serie
Mit dem Unternehmen P + L Innovations fanden Czapek und Eich eher per Zufall einen Investor, mit dem sich ihr Rollstuhlrad für die Serienproduktion realisieren ließ. Ein Wirt setzte Unternehmer Wolf-Dietrich Pflaumbaum im Restaurant an denselben Tisch wie Erfinder Czapek. Sie seien ins Gespräch gekommen und der Unternehmer war direkt begeistert von der Idee des teilbaren Rollstuhlrads, erinnert sich seine Tochter Christine Pflaumbaum, die inzwischen „trivida“ leitet.
Sie findet es besonders spannend, dass sie damit nicht nur etwas verkaufen, sondern eine grundlegende Veränderung im Leben eines Menschen schaffen und so Menschen helfen könne, erzählt die Unternehmerin. „Wir verkaufen zwar Rollstuhlräder, aber in der Essenz verkaufen wir Selbstständigkeit, Lebensqualität, Teilhabe, Inklusion – all diese Dinge“, sagt sie.
2020 begann die Produktion. Durch die Coronapandemie gab es jedoch gleich zu Beginn einen Rückschlag. „Wir haben die Zeit aber genutzt und weiter an dem Rad entwickelt, beispielsweise um es leichter zu machen“, erzählt Pflaumbaum. Mittlerweile kann das Unternehmen wieder produzieren.
Für fast alle Rollstühle geeignet
Das teilbare Rad sei für fast alle Rollstühle geeignet. „In der Regel können die Angehörigen das Rad auch selbst montieren“, sagt Eich. „Wir lassen uns von den Kunden die Typen-nummern ihres Rollstuhls geben und sagen ihnen, was zu machen ist.“ In manchen Fällen funktioniere das sehr einfach, in einigen Fällen müsse aber die Aufnahmebuchse ausgeschraubt und eine neue, die mitgeliefert wird, eingeschraubt werden. Auch das sei für Laien relativ schnell machbar, sagt Eich.
Bei der Konstruktion hätten sie versucht, es, so gut es geht, für gängige Modelle zu adaptieren. Das sei nicht so einfach gewesen, da es für die Achsen bei Rollstühlen keine einheitliche Norm gibt. Die sei bei vielen Modellen unterschiedlich, was die Befestigung des teilbaren Rads zunächst erschwerte. „Wir sind aber auf einem guten Weg“, meint Eich. Durch einen Adapter haben sie das Problem lösen können.
Nutzer von elektrischen Rollstühlen seien in den meisten Fällen nicht auf ein teilbares Rad angewiesen, da die Reifen bei diesen meist ohnehin deutlich kleiner und dadurch nicht im Weg sind.
Gesetzliche Krankenkassen übernehmen die Kosten
Das „trivida“-Rad ist inzwischen auch als medizinisches Hilfsmittel anerkannt, wodurch die gesetzlichen Krankenkassen in der Regel die Kosten für das Rad übernehmen. Derzeit wird noch eine allgemeine Hilfsmittelnummer für Rollstuhlzubehör und -räder verwendet. Über diese allgemeine Nummer können vom GKV-Spitzenverband zugelassene Hilfsmittel mit einer Erklärung oder Begründung von der Ärztin oder dem Arzt verschrieben werden.
Das Unternehmen arbeitet daran, eine eigene Hilfsmittelnummer zu bekommen. Dafür stellen die Krankenkassen bestimmte Anforderungen. „Das Rad muss in jedem Fall seinen Zweck erfüllen und einen Sinn haben. Wir können es nicht als medizinisches Hilfsmittel auf den Markt bringen, wenn wir nicht nachweisen können, dass es tatsächlich auch die Funktion erfüllt, die wir versprechen“, erklärt Eich.
Dafür müsste das Unternehmen zum einen eine medizinische Studie vorlegen und zum anderen bräuchte das Rad eine Zertifizierung nach einer bestimmten ISO-Norm. Eine solche Qualitätszertifizierung gibt es über zertifizierte Prüfstellen wie beispielsweise dem TÜV Süd.
Die medizinische Studie liegt samt Ergebnissen bereits vor. Sie habe bestätigt, dass das teilbare Rad nicht nur sicher, sondern auch hilfreich für Menschen im Rollstuhl ist. Nun fehle nur noch die Zertifizierung.
Die Listung im Hilfsmittelverzeichnis hat allerdings wenig Einfluss auf die Kostenübernahme durch eine gesetzliche Krankenkasse. Wichtiger dafür ist eine ausreichende Zweckmäßigkeit und Wirtschaftlichkeit.
Teilbares Rollstuhlrad bringt Entlastung und Erleichterung
Das teilbare Rad soll nicht nur Menschen im Rollstuhl selbst entlasten, sondern auch die Arbeit von Pflegekräften und den Pflegealltag von Angehörigen erleichtern und Zeit sparen. Durch die Erleichterung des selbstständigen Transfers vom Rollstuhl und wieder zurück benötigen Rollstuhlfahrer weniger Hilfe. So können sie auch öfter ihre Intimsphäre wahren, da sie beispielsweise Toilettengänge auf diese Weise selbst bewerkstelligen können.
„Durch den Kontakt mit unseren Kunden bekommen wir auch jeden Tag neue Ideen“, erzählt Pflaumbaum. So wolle das Unternehmen in Zukunft weiter Produkte entwickeln, die den Alltag von Menschen mit Behinderung erleichtern sollen.