Quantensprünge in der akuten Schlaganfall-Versorgung
Wenn die Leitstelle des Rettungsdienstes im Kreis Gütersloh eine Patientin mit Schlaganfallverdacht anmeldet, läuft im Sankt Elisabeth Hospital alles nach einem routinierten Schema. „Time is brain“ – Zeit ist Gehirn – sagen die Neurologen bei einem Schlaganfall. Notaufnahme, Radiologie und Neurologische Klinik machen sich bereit für die Patientin.
„Die Behandlung eines akuten Schlaganfalls sollte unbedingt auf einer zertifizierten Stroke Unit, einer Schlaganfall-Spezialstation, erfolgen“, sagt Dr. Thomas Kloß, Chefarzt der Neurologie in der Gütersloher Klinik. So steht es auch in der medizinischen Behandlungsleitlinie, die gerade erst aktualisiert und publiziert wurde.
Der Rettungsdienst weiß das, nimmt die Erstversorgung vor, überprüft den Schlaganfallverdacht noch am Einsatzort mittels FAST-Test und sorgt für den schnellen Transport in die Spezialklinik.
Ärzte müssen sich ein Bild machen
Millionen von Nervenzellen sterben ab, Minute für Minute. Je nach Größe und Areal des Schlaganfalls gehen dadurch wichtige Funktionen verloren: die Bewegung, das Sprechen, das Sehen oder gar das Denken werden beeinflusst. „Entscheidend für die Patientin ist jetzt eine schnelle, exakte Diagnose“, sagt Kloß. „Wir müssen wissen, was genau an welcher Stelle im Gehirn passiert ist.“ Den wichtigsten Hinweis dafür liefern die Aufnahmen, die umgehend im CT oder MRT gemacht werden.
Die Unterscheidung, die die Neurologen jetzt treffen müssen, ist richtungsweisend für die Therapie. Handelt es sich um einen Gefäßverschluss im Gehirn (ca. 85 Prozent der Fälle) oder um eine Gehirnblutung? Bei einem Verschluss, dem sogenannten ischämischen Schlaganfall, bleiben Kloß und seinem Team im Wesentlichen zwei Optionen zur „Rekanalisation“, wie die Neurologen sagen. Soll heißen: den Verschluss zu beseitigen und die Versorgung des betroffenen Areals mit Sauerstoff und Nährstoffen wiederherzustellen.
Heute gibt es wirksame Verfahren
Die Thrombolyse, die medikamentöse Auflösung des Verschlusses, ist die erste Wahl. Seit einigen Jahren steht den Ärzten eine weitere, bei größeren Schlaganfällen sehr wirksame Methode zur Verfügung. Bei der Thrombektomie entfernt ein Neuroradiologe oder eine Neuroradiologin das Blutgerinnsel mittels eines Katheters, der über die Leiste eingeführt wird.
Etwa fünf bis zehn Prozent der Patienten kommen für diese Methode in Betracht, die nicht alle Stroke Units vorhalten. Thomas Kloß machte sich vor wenigen Jahren dafür stark, dass auch das Elisabeth Hospital in Gütersloh eine Neuroradiologie etablierte.
„Für einen Teil unserer Patienten haben sich die Prognosen dadurch noch einmal deutlich verbessert“, erklärt Kloß, welchen Fortschritt die Schlaganfallmedizin gemacht habe. Sein früherer Chef, Prof. Hans-Christoph Diener, gilt als einer der Pioniere der deutschen Schlaganfallversorgung. 1994 eröffnete er in Essen die erste Stroke Unit Deutschlands.
Es war der Beginn einer großen Erfolgsgeschichte. Bis heute haben die Deutsche Schlaganfall-Gesellschaft und die Stiftung Deutsche Schlaganfall-Hilfe gemeinsam mehr als 330 solcher Stationen zertifiziert.
Stroke Units garantieren Qualität
Wie sehr sich die Versorgung in dieser Zeit verbessert hat, machte der mittlerweile pensionierte Prof. Diener deutlich, als er sich an seine Zeit als junger Assistenzarzt Ende der 1970er-Jahre erinnerte: „Wenn damals ein Patient mit einem Schlaganfall in die Klinik kam, legte man ihn in ein Bett und wartete ab, ob er überlebte.“ Heute können fast doppelt so viele Patienten einen Schlaganfall überleben.
Zertifizierte Stroke Units zeichnen sich dadurch aus, dass sie die erforderliche apparative Ausstattung und ein Team von Schlaganfallexperten bereithalten: Mediziner, Pflegekräfte, Therapeuten – 24 Stunden am Tag, 365 Tage im Jahr. Das Zertifikat steht für geprüfte Behandlungsqualität, denn alle drei Jahre müssen die Kliniken nachweisen, dass sie die geforderten Kriterien erfüllen.
Das System hat sich bewährt
Nicht alle Krankenhäuser sind gleich ausgestattet, deshalb wird bei der Zertifizierung unterschieden zwischen regionalen, überregionalen und telemedizinischen Stroke Units. So wird gewährleistet, dass in Deutschland fast flächendeckend in allen Regionen eine gute Grundversorgung des Schlaganfalls gewährleistet ist. Oft beraten sich kleinere Kliniken in ländlichen Gebieten mit Experten in großen Zentren.
Ist eine komplexere Behandlung notwendig, beispielsweise die Operation in einer Neurochirurgie, wird der Patient umgehend verlegt. „Wichtig ist, dass die Kooperationspartner in der akuten Schlaganfallversorgung – unter Einbeziehung der Rettungsdienste – auf regionale Besonderheiten achten und abgestimmte Versorgungskonzepte festlegen“, heißt es seitens der Stiftung Deutsche Schlaganfall-Hilfe.
Chefarzt Dr. Thomas Kloß kann bestätigen, dass sich das System gut bewährt hat. „Knapp 1.000 Patienten mit Schlaganfallverdacht behandeln wir jedes Jahr. Kommen sie rechtzeitig in die Klinik, sind ihre Chancen auf eine weitgehende Rehabilitation sehr gut“, sagt Kloß.
Doch trotz all der positiven Entwicklungen gibt er zu bedenken: „Der beste Schlaganfall ist immer noch der, der erst gar nicht passiert. Vieles haben wir selbst in der Hand.“
70 Prozent aller Schlaganfälle wären vermeidbar
Mindestens 70 Prozent aller Schlaganfälle wären vermeidbar, sind sich die Experten einig. Überwiegend handelt es sich dabei um die sogenannten lebensstilbedingten Schlaganfälle. Ganz vorne bei den Risikofaktoren steht der Bluthochdruck.
Nach Angaben der Deutschen Hochdruckliga leiden in Deutschland mehr als 25 Millionen Menschen unter Bluthochdruck. Oft geht er einher mit ungesunder Ernährung, Übergewicht, Diabetes und Fettstoffwechselstörungen und führt zu einer Arteriosklerose („Arterienverkalkung“). Auch Rauchen fördert solche krankhaften Gefäßveränderungen, die schließlich Schlaganfälle oder Herzinfarkte hervorrufen können.
Durch einen Gefäßverschluss wird das dahinterliegende Gewebe nicht mehr ausreichend mit Sauerstoff und Nährstoffen versorgt. Auch die Herzrhythmusstörung Vorhofflimmern wurde in den vergangenen Jahren als häufige Ursache für Schlaganfälle identifiziert.
„Bewegung und Ernährung sind die zentralen Faktoren für Gesundheit“, sagt Miriam Hilker, Präventionsexpertin der Stiftung Deutsche Schlaganfall-Hilfe. „Laufen, Walken, Radfahren und Schwimmen sind gute Ausdauersportarten, die sich anbieten. Man sollte langsam einsteigen – 10 bis 30 Minuten am Stück – und sich dann steigern.“ Empfohlen werden 150 Minuten Bewegung pro Woche. Schwitzen sei erlaubt, aber grundsätzlich gelte: „Laufen ohne Schnaufen.“ Also egal welche Sportart man macht, sollte man sich dabei unterhalten können.
Risikofaktoren regelmäßig kontrollieren
Und die Ernährung? Muss es vegetarisch sein? „Nicht zwangsläufig, aber besser sind Obst, Gemüse, Salat und Fisch“, so Hilker. „Grundsätzlich gilt: Wenig industriell verarbeitete Lebensmittel einsetzen, weil die häufig viel Salz oder Zucker enthalten. Besser selbst kochen oder frisch zubereiten.“
Bleibt noch das Rauchen. Wer sich von der Sucht befreien möchte, dem rät Miriam Hilker: „Holen Sie sich Unterstützung, wenn Sie es allein nicht schaffen. Es gibt inzwischen gute Programme für einen begleiteten Rauchstopp. Die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung informiert darüber.“
Regelmäßige Bewegung, gesunde Ernährung und der Verzicht auf das Rauchen führen zu einer sanften Blutdrucksenkung. „Wer damit rechtzeitig beginnt, kommt häufig ohne Medikamente aus“, weiß Miriam Hilker. „Falls das nicht ausreicht, sollte man seine Risikofaktoren regelmäßig kontrollieren und behandeln lassen.“
Das gelte auch für das weitverbreitete Vorhofflimmern. „Rechtzeitig erkannt, lässt sich das Schlaganfallrisiko durch Vorhofflimmern deutlich reduzieren“, so Hilker.
Die Stiftung Deutsche Schlaganfall-Hilfe führt auf ihrer Internetseite ein Verzeichnis der wichtigsten Schlaganfalleinrichtungen in Deutschland, zum Beispiel von zertifizierten Stroke Units, neurologischen Rehabilitationskliniken, Beratungsbüros, Selbsthilfegruppen und ehrenamtlichen Schlaganfallhelfern. Auch viele Präventionsempfehlungen sind auf der Seite zu finden.