Pflegegerechte Unterwäsche für an Demenz Erkrankte

Pflegegerechte Unterwäsche für an Demenz Erkrankte

Acht Jahre lang pflegte Gisela-Elisabeth Winkler ihren Ehemann, der an Frontotemporaler Demenz erkrankt war. In ihrer Rolle als pflegende Angehörige löste sie viele Situationen pragmatisch. So auch das Dilemma, das sie nirgends pflegegerechte Unterwäsche bekam. Für die 74-Jährige Anlass genug, eine Kollektion zu entwerfen, die auch heute noch anderen Betroffenen dient.
Zwei blaue Unterhosen auf einer Wäscheleine
© iStock.com | john shepherd

Die Frontotemporale Demenz begann mit Rückzug

Zwei intelligente und vielseitig interessierte Menschen teilen über 40 Jahre lang ihr Leben. Dann erkrankt der eine an Frontotemporaler Demenz – und alles ändert sich. So erlebte es Gisela-Elisabeth Winkler mit ihrem Mann Jörg. Die Diplom-Mathematikerin und der Professor für Mathematik leben in einem Reihenendhaus in Berlin-Hermsdorf. Sie haben guten Kontakt zu ihren drei Kindern und deren Familien.

Es waren die Kinder, die bemerkten, dass sich das Zusammenleben der Eltern stark veränderte. „Warum streitest du dich so oft mit Vater?“, fragten die erwachsenen Kinder ihre heute 74-jährige Mutter. Erst da fiel Gisela-Elisabeth Winkler auf, dass sie sich mehr und mehr an dem Verhalten ihres Mannes störte. „Er redete immer weniger und war doch eigentlich ein sehr eloquenter Mensch, der gut diskutieren konnte“, erinnert sie sich. Im Rückblick stellt Winkler fest, dass die Krankheit da schon begonnen hatte. Die Diagnose wurde jedoch erst später, im Jahr 2001 gestellt. Damals war Jörg Winkler 65 Jahre alt.

Drei Jahre zuvor war er an der Organisation eines großen internationalen Kongresses für Mathematik in Berlin beteiligt. „Das war eigentlich der Abschied. Danach begann eine enorme negative Entwicklung“, erzählt seine Ehefrau.

Langer Weg zur Diagnose

Gisela-Elisabeth Winkler muss schmunzeln, wenn sie über den Prozess berichtet, bis die wirkliche Ursache für seine Wahrnehmungsstörungen gefunden wurde: „Erst haben wir gedacht, mein Mann hat etwas mit den Augen. Er unterzog sich einer Augenoperation gegen den grauen Star. Danach, fanden wir, ging es ihm wirklich besser. Danach vermuteten wir eine Schwerhörigkeit. Aber eine Untersuchung ergab, dass mit den Ohren alles in Ordnung war. Erst in einer Gedächtnissprechstunde beim Neurologen wurde ein eindeutiger Hinweis auf das Vorliegen einer Demenzerkrankung gegeben.“

Das Ehepaar Winkler hat im Folgenden vieles dafür getan, um den Krankheitsverlauf zu beeinflussen, holte sich physiotherapeutische Unterstützung, um die Spastiken zu lockern und mithilfe einer Logopädin begegnete Jörg Winkler seinen zunehmenden Sprachschwierigkeiten. Der Verlust der sprachlichen Artikulation im Lauf der Erkrankung war für Gisela-Elisabeth Winkler ein Einschnitt. Eine Untersuchung mittels Computertomografie ergab, dass sein Sprachzentrum im Gehirn völlig zerstört war. „Ich habe mich aber immer gefragt, wie viel er versteht, obwohl er nicht sprechen kann. Ich glaube, mein Mann hat noch viel verstanden.“ Und von noch etwas ist die kleine, zierliche Frau überzeugt: „Seine Intelligenz hat er nie ganz eingebüßt, und ich hatte immer den Eindruck, dass er nicht leidet.“

Das Zusammenleben veränderte sich stark

Als Anekdote erzählt sie, wie sie eines Tages durch die Terrassentür kam und ihr Mann mit seinem Tirolerhut auf dem Sofa saß. Das sei für sie ein deutlicher Wink gewesen, dass er nun gerne seinen täglichen Spaziergang machen wollte. Da die Hobby-Imkerin jedoch noch im Garten zu tun hatte, nahm sie ihm den Hut ab und vertröstete ihn auf später. Nicht sehr viel später hatte sich ihr Mann den Hut erneut aufgezogen. Mit mehr Nachdruck nahm Gisela-Elisabeth Winkler den Hut weg und legte ihn in einen Schrank. Als sie wieder einmal nach ihrem Mann schaute, hatte er sich einen großen Strohhut geholt und saß erwartungsvoll auf dem Sofa. Lachend musste sie sich geschlagen geben, und sie brachen zum gemeinsamen Spaziergang auf.

In mehrere Bereiche hat sich die Mathematikerin im Laufe ihres Lebens neben dem Beruf eingearbeitet, auch wenn diese immer Hobbys geblieben sind. So lernte sie das Imkern und half ihrem Imkerverein Reinickendorf-Mitte, ein Imkermuseum einzurichten. Des Weiteren beschäftigt sie sich intensiv mit Keramik, besuchte Afrika, weil dort Keramiken noch so gebrannt werden, wie es ursprünglich auch in Deutschland geschah und brachte in einer Ausstellung unter dem Titel „MathematiKeramik – Designgeometrie“ als Kuratorin Beruf und Hobby zusammen.

All das stellte sie dann zurück, um für ihren Mann da zu sein, als es ihm gesundheitlich immer schlechter ging. Sieben Jahre lang pflegte die gebürtige Berlinerin ihren Mann zu Hause. Und auch in dieser Situation hielt sie es wie sonst im Leben: „Ich habe mich voll der Pflege gewidmet und mir nicht ausgemalt, wie schlimm alles noch kommen kann – sonst hätte ich es nicht geschafft.“ 2008 entschied sie sich, ihren Mann im fortgeschrittenen Stadium seiner Erkrankung in eine Wohngemeinschaft für Demenzerkrankte zu geben, wo er bis zu seinem Tod im Jahr 2009 blieb.

Unterwäsche für Menschen mit starken Spastiken

Auch heute noch beschäftigt sich Gisela-Elisabeth Winkler mit dem Thema Pflege: Eher aus der Not heraus hat sie gemeinsam mit ihrer Schwester, die Schneidermeisterin ist, eine eigene Wäschekollektion entworfen, die in einer Manufaktur in Sachsen gefertigt wird. „Ich war damals verzweifelt auf der Suche nach geeigneter Unterwäsche, die ich meinem Mann anziehen kann. Er hatte starke Spastiken entwickelt und beim Ankleiden offensichtlich Schmerzen“, erzählt sie. Für ihre Unterhemden und Slips aus Baumwolle, die mittels Klettverschlüssen vorne und an den Trägern beziehungsweise seitlich geöffnet werden können, erhielten die Schwestern eine Goldmedaille auf der Erfindermesse in Nürnberg.

Auch heute noch arbeitet Gisela-Elisabeth Winkler mit ihrer Schwester an Verbesserungen der Wäsche. Dass sie zu einer eigenen Wäschekollektion gekommen ist, sieht Winkler wie vieles in ihrem Leben eher pragmatisch: „Ich habe weder in Sanitätshäusern noch im Internet geeignete Unterwäsche bekommen. Also musste ich sie erfinden.“