Palliativpflege: Bis zum Schluss zu Hause
Frau Dr. Schneider, in einer repräsentativen Bevölkerungsumfrage Ihres Verbandes ermittelten Sie, dass 66 Prozent der Befragten zu Hause sterben möchten. Tatsächlich bleiben jedoch nur 25 Prozent der Betroffenen bis zum Schluss in den eigenen vier Wänden. Wie erklären Sie sich das?
Es hängt im Wesentlichen von drei Faktoren ab, wie jemand sein Lebensende verbringt. Es muss geschaut werden, welche Erkrankung zugrunde liegt, wie sich die Symptome darstellen, und es muss vor allem ein soziales Netzwerk, das heißt Familie, Freunde und Nachbarn, vorhanden sein. Entscheidend ist auch, wie und wo jemand sein Leben bislang verbracht hat.
Können Sie das an Beispielen verdeutlichen? Bei welchen Krankheiten halten Sie eine ambulante Palliativpflege für schwierig?
Ist ein Patient mit Nasen- oder Kehlkopftumor zu begleiten, gibt es häufig eine große Wunde zu versorgen. Da spielt dann auch die Geruchsentwicklung eine Rolle. Oder denken Sie an einen Betroffenen mit Hirntumor, bei dem es schnell auch zu einer Wesensveränderung kommen kann.
Zudem müssen Sie auf die Symptome schauen. Hat hemand gerade nachts schwere Atemnot und Schmerzen, schafft das kaum ein Angehöriger, mehrere Nächte hintereinander durchzuhalten.
Hospize kommen auch zur Entlastung von Angehörigen als Kurzzeitpflegemöglichkeit infrage.
Warum ist ein soziales Netzwerk so wichtig?
Es nützt keine professionelle ambulante Versorgung etwas, wenn ich als einziger Angehöriger dann die restlichen 20 Stunden des Tages allein mit dem Pflegebedürftigen gestalten muss.
Was müsste sich ändern?
Es müssen für Angehörige bessere Voraussetzungen geschaffen werden, Pflege und Beruf zu vereinbaren. Die Ansätze der Bundesregierung, beispielsweise das Familienpflegezeitgesetz, reichen nicht aus. Auch teilstationäre und ambulante Angebote sollten sich mehr am Bedarf ausrichten. Und es wäre grundsätzlich einmal zu klären, wie wir als Gesellschaft überhaupt versorgt werden wollen.
Muss das nicht individuell geklärt werden?
Richtig, aber ich vermisse einen gesellschaftlichen Diskurs, beispielsweise auch darüber, was Lebensqualität in unserer Gesellschaft bedeutet. Und dann schließt sich die Frage an, wie es organisiert oder finanziert werden kann.
Welche Möglichkeit gibt es, palliativmedizinisch oder palliativpflegerisch betreut zu werden?
Es gibt die Palliativstationen in Krankenhäusern, stationäre Hospize, Pflegeheime oder die ambulanten Pflegedienste. Im Speziellen sind das die Palliative Care-Teams. Bei allen Einrichtungen geht es um die Palliativpflege, bzw. die Palliativversorgung.
Wovon hängt es ab, wie jemand in seiner letzten Lebensphase betreut wird, und wer entscheidet das?
Es ist die Frage, welcher Aspekt im Vordergrund steht. Ist die pflegerische Versorgung das Problem, dann sind das Aufgaben der allgemeinen ambulanten Pflegedienste oder eines Alten- und Pflegeheims. Hier ist der Hausarzt der erste Ansprechpartner der medizinisches Versorgung. Stehen jedoch Krankheitssymptome jeglicher Art im Vordergrund und es bedarf einer spezialisierten medizinischen und pflegerischen Versorgung, dann steht die Versorgung und Begleitung über ein Palliative Care-Team mit entsprechenden Palliativärzten, gegebenenfalls eine Palliativstation oder ein stationäres Hospiz zur Verfügung. Die Entscheidung fällt der Betroffene. Wenn er das nicht mehr kann, sein Bevollmächtigter. Dazu gibt es natürlich noch gewisse formale Vorgehensweisen.
Wie sehen die aus?
Die Einweisung auf eine Palliativstation eines Krankenhauses erfolgt über den Haus- oder Klinikarzt. Auch für eine spezialisierte Palliativversorgung (SAPV) und damit den Einsatz eines Palliative Care-Teams muss ein Hausarzt die Notwendigkeit für die Palliativpflege bestätigen. Will ein Patient in ein Hospiz, wird zunächst ein Hospiz-Mitarbeiter den Betroffenen oder die Angehörigen aufsuchen. Dieser prüft, ob alle Kriterien, die für eine Aufnahme in das Hospiz notwendig sind, gegeben sind. Das Hospiz ist für den Betroffenen kostenlos. Außerdem unterliegen Hospize übrigens dem jeweiligen Heimrecht der Länder.
Gibt es ein ausreichendes Angebot an stationären Hospizen?
Das lässt sich so pauschal nicht sagen. Es gibt regionale Unterschiede. Bundesweit gibt es mehr als 200 stationäre Hospize. Die Verteilung innerhalb der Bundesländer ist sehr unterschiedlich, es gibt ein Stand-Land-Gefälle. Ganz wesentlich hängt es davon ab, wie viele Menschen in einem Gebiet leben. In Nordrhein-Westfalen gibt es über 40 Hospize, in Sachsen-Anhalt weniger als zehn. Ein Hospiz verfügt über acht bis 16 Betten.
Welche Kriterien müssen erfüllt sein, um in ein Hospiz aufgenommen zu werden?
Der Patient muss unheilbar erkrankt und die Erkrankungssituation fortgeschritten sein. Ebenso muss eine begrenzte Lebenserwartung gegeben sein. Man spricht hier von wenigen Wochen und Monaten, in denen die Notwendigkeit einer Palliativpflege besteht.
Gibt es vergleichbare Kriterien, wenn der Betroffene eine ambulante Versorgungsform wählt?
Für die spezialisierte ambulante Palliativversorgung (SAPV) gelten die gleichen Kriterien wie für ein Hospiz, allerdings ist die Versorgung in der Häuslichkeit noch möglich. Vorgeschaltet ist jedoch die die allgemeine ambulante Palliativversorgung (AAPV).
Worin besteht der Unterschied?
Die spezialisierte ambulante Palliativversorgung kommt dann infrage, wenn durch die allgemeine ambulante Palliativversorgung keine befriedigende Symptomkontrolle erreicht werden kann oder eine besonders aufwendige Versorgungssituation vorliegt, die fachlich und zeitlich die Kapazitäten der allgemeinen Palliativpflege übersteigt.
Das sind sehr viele Informationen. Könnten Sie bitte noch einmal die wichtigsten Unterschiede der palliativen Versorgungsmöglichkeiten zusammenfassen?
Für Laien ist vielleicht Folgendes am interessantesten: Die Palliativstation eines Krankenhauses ist darauf ausgerichtet, Menschen, die in der Regel zu Hause versorgt werden, in einer Krise durch therapeutische Maßnahmen zu stabilisieren und sie dann wieder nach Hause zu entlassen.
Das Krankenhaus erhält für einen Patienten auf der Palliativstation lediglich für 21 Tage eine zusätzliche Finanzierung.
In ein stationäres Hospiz geht man, wenn eine ambulante Versorgung nicht möglich oder nicht gewünscht ist und der Patient wahrscheinlich in absehbarer Zeit verstirbt. Hier kann der Hausarzt den Patienten weiter betreuen oder er wird über einen Palliativmediziner versorgt.
Aber es heißt doch, Hospize seien nicht einfach nur “Sterbeorte”.
Man muss dazu sagen, dass Hospize auch zur Entlastung von Angehörigen als Kurzzeitpflegemöglichkeit infrage kommen, wenn die Betroffenen die Aufnahmekriterien erfüllen. So sollte eine Erholung für alle Betroffenen möglich sein. Das hat man bei Kindern öfter.
Wo sind Angehörige nach Ihrer Erfahrung am besten aufgehoben?
Die Ausrichtung und Qualifikation ist im stationären Hospiz anders als auf der Palliativstation. Die Palliativstation ist auf die Behandlung der Symptome ausgerichtete. Ein hospiz ist dagegen daran orientiert, die Bedürfnisse bei Betroffenen in der letzten Lebensphase zu befriedigen. Hier wenden Mitarbeiter einen festen Teil ihrer Arbeitszeit für die Begleitung der Angehörigen auf.
Und welche Rolle erfüllt bei der Palliativversorgung das Pflegeheim?
Das Pflegheim kommt infrage, wenn die allgemeine Palliativpflege im Vordergrund steht, aber eine ambulante Versorgung nicht möglich ist. Es kommt häufiger vor, dass menschen beispielsweise von der Palliativstation in ein Pflegeheim entlassen werden.