Kinderhospiz: „Wir bieten Begleitung über den Tod hinaus an“

Kinderhospiz: „Wir bieten Begleitung über den Tod hinaus an“

Kinder mit einer lebensverkürzenden Erkrankung und deren Familie zu begleiten, das hat sich der Deutsche Kinderhospizverein auf die Fahnen geschrieben. Wir sprachen mit Marcel Globisch, der für die Entwicklung des Vereins verantwortlich ist, wie sich pädiatrische Hospizarbeit in den vergangenen Jahrzehnten entwickelt hat und welche Themen sich auch heute noch stellen.
Eine Pusteblume im Gegenlicht
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Wo siedeln Sie die Arbeit Ihres Vereins an. Bei der Selbsthilfe oder eher bei der professionellen Hilfe?
Das ist eine berechtigte Frage. Vor 30 Jahren ist der Verein von sechs Familien gegründet worden. Das war reine Selbsthilfe. Bis zum Jahr 2000 wurden sowohl die Öffentlichkeitsarbeit als auch das Spendensammeln ausschließlich ehrenamtlich geleistet.

Und heute?
Heute spielt Selbsthilfe immer noch eine wichtige Rolle, wir sind aber kein reiner Selbsthilfeverein mehr. Dazu gibt es zu viele Angebote, die von Haupt- und Ehrenamtlichen übernommen werden. Wir selbst unterhalten 30 ambulante Kinder- und Jugendhospizdienste. Weitere 70 ambulante und zwölf stationäre Kinder- und Jugendhospize sind uns als Mitglieder angeschlossen. Ebenso stellen wir die Deutsche Kinderhospizakademie, deren Angebote sich größtenteils an Familienangehörige wenden. Es geht heute auch um die politische Interessenvertretung der Betroffenen. Da hat man mit hauptamtlichen Kräften mehr Möglichkeiten, allerdings ist auch hier wichtig, diese Arbeit gemeinsam mit den Betroffenen zu leisten. Denn sie wissen am besten, welche Herausforderungen das Leben mit einem erkrankten Kind bringt. So habe ich in den letzten zehn Monaten gemeinsam mit einem betroffenen Vater zum kürzlich verabschiedeten Intensivpflege- und Rehabilitationsstärkungsgesetz eng zusammengearbeitet und unsere Position in Gesprächen sowie Stellungnahmen den politischen Entscheidungsträgern vermittelt.

Was macht die Kinder- und Jugendhospizarbeit für Sie aus?
Ich denke, die Kombination von Erfahrungswissen der Familien und der Fachlichkeit von Haupt- und Ehrenamtlichen ist die besondere Stärke unserer Arbeit. Zudem verfolgen wir einen ganzheitlichen Ansatz, der vier Aspekte beinhaltet: den pflegerischen, den medizinischen, den spirituellen Aspekt und die psychosoziale Seite.

Wie viel hauptamtliche Mitarbeitende beschäftigen Sie?
Wir haben 140 Hauptamtliche, etwa die Hälfte von ihnen sind Koordinationsfachkräfte. Dennoch legen wir großen Wert auf die Selbsthilfe. Wir legen das sogenannte Selbsthilfequadrat zugrunde. Es umfasst die Partizipation, also die Beteiligung der Eltern und Familien. Es geht um Gemeinschaft, also dass sich Familien begegnen können. Wir berücksichtigen, dass jeder Mensch seine Kompetenzen hat, und wir legen Wert auf Selbstbefähigung. Das bedeutet, jeder Mensch lernt im Leben dazu. So gibt es beispielsweise bei uns das Angebot, frühzeitig gemeinsam zum Bestatter zu gehen.

Wie viele Familien hat Ihr Verein wohl bislang begleitet?
Ich schätze etwa 800 Familien.

Welche Angebote machen Sie?
Viele Angebote wie Seminare und Freizeiten für Familien werden von unserer Kinderhospizakademie veranstaltet. Im Verein haben wir einen eigenen Ansprechpartner für Familien und eine Ansprechpartnerin für Geschwister. Wir stellen vom Verein aus Gesprächspartnerinnen und Gesprächspartner für die erkrankten jungen Menschen, für Geschwister, Eltern und weitere Bezugspersonen. Außerdem leisten wir Kontaktvermittlung zu anderen betroffenen Familien im Sinne der Selbsthilfe. Wir vermitteln Kontakte zu ambulanten Kinder- und Jugendhospizdiensten und stationären Kinder- und Jugendhospizen sowie zu weiteren Unterstützungsangeboten. Auch können wir an Fachleute für Auskünfte zum Sozialrecht verweisen, die beispielsweise bei Antragsstellungen helfen.

Wenn Sie Rückschau halten: Wie hat sich die Versorgung von Kindern mit einer lebensverkürzenden Erkrankung und deren Familien in der Vergangenheit verändert?
Als ich 2005 angefangen habe, für den Verein zu arbeiten, gab es 15 ambulante Kinder- und Jugendhospizdienste. Heute gibt es 140. Die Zahl der stationären Angebote hat sich in den 15 Jahren verdoppelt. Und die wichtigste Errungenschaft im medizinisch-pflegerischen Bereich ist die spezialisierte ambulante Palliativversorgung, die sogenannte SAPV. Diese wurde in 2007 gesetzlich verankert. Gerade wird ein Rahmenvertrag für die Versorgung von Kindern und Jugendlichen entwickelt.

Wo sehen Sie noch Entwicklungsbedarf?
Das Thema Fachkräftemangel in der Pflege beschäftigt uns noch weiterhin. Die Antwort darauf kann zum Beispiel nicht sein, weitere stationäre Kinder- und Jugendhospize auf den Weg zu bringen. Familien sind 48 Wochen im Jahr in der Häuslichkeit. Die Pflegekräfte fehlen ambulant, sie sichern die Teilhabe am Leben. Hier müssen alle Anstrengungen seitens der Politik unternommen werden, sodass der Pflegenotstand nicht weiter auf dem Rücken der Familien ausgetragen wird. Letztendlich sind es die Eltern, die häufig für genehmigte, aber nicht durchgeführte Pflegestunden einspringen. Das ist auf Dauer nicht richtig und schon gar nicht leistbar für die Eltern.

Ihr Verein begleitet die Familien ab der Diagnosestellung und – wenn gewünscht – bis zum Tod des betroffenen Kindes oder Jugendlichen. Vielleicht sogar darüber hinaus?
Wir bieten eine unbegrenzte ambulante Begleitung, auch über den Tod hinaus, an. Nach dem Tod des betroffenen Kindes oder Jugendlichen überprüfen wir halbjährlich, ob unsere Begleitung noch passend ist. Wenn wir den Eindruck haben, der Bedarf der zu Begleitenden geht über eine ehrenamtliche Begleitung hinaus, so suchen wir gemeinsam mit den Familien nach geeigneten Trauerangeboten. Da kommt uns unsere gute Vernetzung mit diesen zugute.

Wie viele Jahre können Begleitungen dauern?
Die Familien haben bei uns im Verein immer einen Platz. Wenn sie bei uns Vereinsmitglied sind, bekommen sie immer zum Geburtstag und auch zum Todestag des Kindes eine Karte. Das machen wir auch bei Familien, deren Kinder schon 20 Jahre oder länger nicht mehr leben, und wir bekommen die Rückmeldung, dass das sehr wertschätzend ist. Im Übrigen bieten wir neben Trauerseminaren auch Erinnerungsseminare an. Nach zehn Jahren fühlen sich Betroffene vielleicht nicht mehr von einem Trauerseminar angesprochen. Aber sie müssen ihr Leben lang mit dem Tod des Kindes leben. Da sind Erinnerungsseminare das passendere Angebot.