„Haben Brandbrief an Herrn Spahn geschrieben“
Vor sieben Jahren haben Sie auf der Internetplattform „Facebook“ die Gruppe „Pflegende Angehörige“ gegründet. Was war Ihre Intention?
Ich wollte nicht mehr allein sein mit meiner Pflegesituation. Ich war viel zu lang allein.
Allein sind Sie wirklich nicht, die Gruppe hat mittlerweile fast 11.000 Mitglieder. Wie erklären Sie sich diesen Zulauf?
Zunächst hatte die Gruppe den Namen „Pflegende Angehörige Amberg“. Da tat sich nicht viel. Als ich die örtliche Begrenzung herausnahm, bekam ich innerhalb von zwei Wochen 100 neue Beitrittsanfragen. Ich denke, es sind eben unglaublich viele Menschen, die sich mit der Pflegesituation alleingelassen fühlen und bei uns Ansprache, Austausch und Informationen bekommen. Sie entschieden sich für ein virtuelles Zusammentreffen.
Waren reale Angebote wie zum Beispiel der Besuch einer Selbsthilfegruppe nicht das Richtige?
Ich war gemeinsam mit meinem Mann in einer Selbsthilfegruppe für an Multipler Sklerose erkrankte Menschen. Aber da ging es um die Erkrankten, nicht um deren Angehörige. Zu Facebook kam ich über meine Kinder.
Die Gruppe ist öffentlich und jeder Interessierte kann sich anschließen?
Im Prinzip ja. Allerdings müssen bei der Beitrittsanfrage Fragen beantwortet werden, aus denen heraus auch die Motivation erkennbar wird, sich uns anzuschließen. Wir weisen auch immer darauf hin, dass die Gruppe keine professionelle Pflegeberatung ersetzt, sondern dem Erfahrungsaustausch und dem Sammeln von Informationen untereinander dient.
Kennen Sie Ihre Mitglieder?
Natürlich kenne ich die meisten Mitglieder nicht persönlich. Aber ich weiß eine ganze Menge über die Zusammensetzung der Gruppe. Immer wieder stelle ich dazu auch Umfragen ein.
Wie sieht denn die Struktur der Gruppe aus?
Die überwiegende Mehrheit sind Angehörige und beruflich Pflegende. Aber uns gehören auch Berater von Pflegestützpunkten, Alltagsbegleiter und Lehrer für Pflegeberufe an. In einer Mitgliederumfrage wurde belegt, dass zwei Drittel der Mitglieder Frauen sind, der Altersdurchschnitt liegt zwischen 50 und 60 Jahren.
Das Pflegen der Gruppe kostet viel Zeit. Regelmäßig posten Sie Beiträge, starten Umfragen, sammeln und aktualisieren Informationen. Was treibt Sie an?
Zunächst einmal haben wir einen sehr respektvollen Umgang in der Gruppe. Das macht mich glücklich. Und mir stehen mittlerweile auch weitere Mitglieder als Administratoren zur Seite, die also auf Kommentare und Fragen antworten können und Beiträge einstellen.
Gibt es Fragen, die immer wieder kommen oder auch Themen, die neu sind?
In den sieben Jahren, die ich die Gruppe begleite, kommt immer wieder das Thema auf, dass die Belastung zu groß ist oder wird und nach Entlastungsmöglichkeiten gesucht wird. Eine neue Situation haben wir alle, und damit auch die Pflegebedürftigen und ihre Angehörigen, durch die Corona-Pandemie in diesem Jahr erlebt. Und da wurde ganz deutlich, dass Angehörige an ihre Grenzen kamen, da Kurzzeitpflegeplätze fehlen oder auch die Tagespflege wochenlang geschlossen war.
Haben Sie das Gefühl, dass sich die Situation für pflegende Angehörige grundsätzlich in den Jahren seit der Gründung der Gruppe verändert hat?
Das ist so pauschal nicht zu beantworten. Aber eine wirkliche Hilfe war die stundenweise Verhinderungspflege, die eingeführt wurde. Diese soll nach dem Willen des Gesundheitsministers mit der geplanten Pflegereform im nächsten Jahr allerdings um 60 Prozent gekürzt werden. Daher haben wir auch einen Brandbrief an Herrn Spahn geschrieben.
Sie leisten also auch Lobbyarbeit für pflegende Angehörige
Ja, dazu haben wir im Jahr 2017 einen eigenen Verein gegründet. So haben wir ganz andere Möglichkeiten, uns Gehör zu verschaffen.
Was sind Dinge, auf die Sie im Rückblick besonders stolz sind?
Das sind sicher mehrere Sachen, zum Beispiel die Tatsache, dass sich immer mehr engagierte Angehörige mit uns vernetzen, mit dem Ziel, Verbesserungen in der häuslichen Pflege zu erreichen. Und es sind aus der Facebook-Gruppe heraus tatsächlich schon zwei Bücher erschienen. Das Beste, was in diesem Jahr allerdings gelungen ist, ist die Gründung der Facebook-Gruppe „Trauer in und nach der Pflege“.