European Carers Day 2023: Vereinbarkeit zählt
„Balance matters“ – Vereinbarkeit zählt: So lautet das Motto des Europäischen Tags der pflegenden An- und Zugehörigen, des European Carers Day 2023. Der vom europäischen Dachverband Eurocarers koordinierte Aktionstag findet am morgigen 6. Oktober bereits zum insgesamt vierten Mal statt. In Deutschland nutzt die Interessenvertretung wir pflegen e.v. den Tag, um Aufmerksamkeit auf dringende Maßnahmen gegen den wachsenden Pflegenotstand zu richten. Vorstandsmitglied Sebastian Fischer über Grenzen der Belastbarkeit, gesamtgesellschaftliche Verantwortung und dringend benötigte Unterstützung.
Es ist eine zeitintensive Aufgabe, den Partner, Kinder, Eltern oder Freunde zu pflegen. Nebenbei eine Berufstätigkeit ausüben, den Rest der Familie und das eigene Leben organisieren, Zeit für Interessen und Selbstfürsorge finden: Das ist eine große Herausforderung. Pflegende Angehörige kommen jeden Tag an ihre Grenzen und wer sich tagaus, tagein um andere kümmert, denkt selten an sich. Doch eine Balance aus Pflege, Berufstätigkeit und Auszeiten ist essenziell. Denn nur, wenn es den Pflegenden gut geht, können sie auch ihre Angehörigen gut versorgen.
„Balance matters“ – Vereinbarkeit zählt: So lautet das Motto des morgigen Europäischen Tags der pflegenden An- und Zugehörigen, des European Carers Day. Es zielt vor allem auf die Vereinbarkeit von Pflege und Beruf. Es gilt aber auch für die Vereinbarkeit von Pflege, Familie und Interessen, Selbstfürsorge, eigene Gesundheit und Wohlbefinden, finanzielle Absicherung und soziale Teilhabe.
Pflegende Angehörige europaweit die Pfeiler der Pflege
„Vereinbarkeit in der Pflege kann nur gewährleistet werden, wenn Pflege weit mehr im Mittelpunkt gesellschaftlicher und politischer Verantwortung steht, als dies derzeit in den meisten Ländern Europas der Fall ist. Auch in Deutschland. Europaweit sind pflegende An- und Zugehörige die Pfeiler der Pflege, doch mangelnde gesellschaftliche Unterstützung bringt Millionen an den Rand ihrer Kräfte. Sie benötigen dringend mehr Anerkennung und konkrete Entlastung. Der European Carers Day macht darauf aufmerksam. Er trägt zu einer besseren Wertschätzung der häuslichen Pflege bei und stärkt die wachsende Solidarität zwischen Millionen von Menschen, die unbezahlt 80 bis 90 Prozent aller Pflege in Europa leisten.“
Um eine bessere Entlastung und Unterstützung der häuslichen Pflege zu erreichen, setzt sich Eurocarers seit vielen Jahren für eine europäische Pflegestrategie ein. Den European Carers Day rief der Dachverband 2020 ins Leben. Im September 2022 stellte die Europäische Kommission dann endlich eine europäische Strategie für Pflege und Betreuung vor. Es gilt nun, diese Strategie auch in Deutschland umzusetzen. Auch darauf will der European Carers Day einwirken.
Gesamtgesellschaftliche Fürsorge braucht höheren Stellenwert
Im Fokus steht die gemeinsame gesellschaftliche Verpflichtung, pflegende Familien besser zu unterstützen. Denn Pflege ist ein zentrales Bindeglied zwischen Familie und Gesellschaft – sie stärkt den Zusammenhalt in unseren Gemeinden und Kommunen, landesweit und auch auf europäischer Ebene. Gerade zur Bewältigung der heutigen Herausforderungen – wo sozialer Zusammenhalt, Gesellschaft und Demokratie zunehmend von wachsendem Profitinteresse und rechtem Gedankengut polarisiert, fragmentiert und ausgehöhlt werden – müssen wir der gesamtgesellschaftlichen Fürsorge einen viel höheren Stellenwert einräumen.
Als Bundesverband wir pflegen e.V. sehen wir hier insbesondere die Politik in der Verantwortung, neue Weichen zu stellen, denn Pflege ist auch in den Sozialgesetzbüchern klar als gesamtgesellschaftliche Aufgabe definiert.
Pflege verlagert sich immer mehr auf die Familie
Zudem ist europäische Solidarität gefragt, denn alle Länder europaweit sind mit ähnlichen Herausforderungen konfrontiert: wachsende Pflegebedürftigkeit und höhere Erwartungen an Pflegeversorgung bei gleichzeitig schrumpfendem Angebot an Pflegekräften und rückläufigen Investitionen in die Pflegeentlastung.
Investitionen fließen allzu oft in die profitablere Heimpflege, statt in die häusliche und kommunale Pflegeunterstützung, wo weit über 80 Prozent aller Pflege geleistet wird. Und weil kein Land und keine Regierung adäquat für den demografischen Wandel geplant und vorgesorgt hat, sind es letztlich pflegende Familien, insbesondere Frauen, die diese wachsenden Herausforderungen schultern werden. In ganz Europa verlagert sich immer mehr Pflege auf Familien – auch in Deutschland.
Beruflich und angehörige Pflegende müssen zusammenwirken
Zum Thema Balance gehört auch die Zusammenarbeit zwischen Pflegefachkräften und den Angehörigen: Das Fachwissen der beruflich Pflegenden und die Betroffenenexpertise der pflegenden Angehörigen müssen besser zusammenwirken. Es gilt, einen Wissenstransfer von Fachkräften zu den pflegenden An- und Zugehörigen zu bewirken. Es gilt, neue Synergien freizusetzen, auch durch eine radikale Entbürokratisierung.
Grundlegende Voraussetzung für eine „balancierte“, zu vereinbarende Pflege ist die Unterstützung und Entlastung aus Freundeskreis, Kommune, Stadtbezirk und Region für jede pflegende Familie. Dafür müssen Regierungen die Rahmenbedingungen vereinfachen und finanzieren.
Der Bundesverband wir pflegen e.V. ist eine Interessensvertretung und Selbsthilfeorganisation für pflegende Angehörige. Er setzt sich für eine Gesellschaft ein, in der pflegende Angehörige als gleichberechtigte Partner in der Pflege bessere Unterstützung, Absicherung und Wertschätzung erfahren und selbstbestimmt die Vereinbarkeit von Pflege, Familie, Beruf und sozialer Teilhabe leben.
Der Bundesverband wir pflegen e.V. begrüßt weitere Mitglieder, um die wachsende Stimme der pflegenden An- und zugehörigen in Deutschland zu stärken. Für Anmeldungen und Informationen per E-Mail: info@wir-pflegen.net.