Digitalisierung und Demenz: Roboter-Puppe als Alltagshelfer
In Deutschland leben etwa 1,6 Millionen Menschen mit einer Demenz. Ein großer Teil von ihnen lebt im eigenen Zuhause und wird von Angehörigen versorgt und gepflegt. Neue Technologien können es diesen Menschen ermöglichen, möglichst lange selbstbestimmt zu leben und ihre Angehörigen zu entlasten.
Das Forschungsprojekt „RUBY Demenz“ beschäftigt sich mit einer solchen technischen Hilfe in Form einer Roboter-Puppe, um herauszufinden, wie und ob diese Angehörige von Menschen mit Demenz unterstützen sowie gleichzeitig Erkrankten helfen könnte, möglichst lange in den eigenen vier Wänden verbleiben zu können. Um das herauszufinden, könnten Nutzende im Rahmen des Praxistests die Roboterpuppe für einige Monate ausprobieren.
Die Puppen seien im Vorgängerprojekt gemeinsam mit Menschen mit Demenz, pflegenden Angehörigen und RobotBegleitern gestaltet worden, erzählt Claire Lichteiker, wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Hochschule für Gesundheit in Bochum. Sie arbeitet im Forschungsteam des Projekts mit. Den Projektbeteiligten sei es wichtig gewesen, Betroffene von Anfang an einzubinden.
Künstliche Intelligenz ist das Kernstück
Die Roboter-Puppen seien mit einer Kamera und verschiedenen Sensoren ausgestattet. Zudem könnten sie die Mimik verändern. Dahinter stecke eine innovative Technik inklusive einer eigens dafür entwickelte App. „Die Puppe ist für eine stundenweise Beschäftigung konzipiert“, erklärt Lichteiker. „Sie kann an Termine erinnern, zum Trinken auffordern, Gegenstände wie beispielsweise ein Wasserglas im Raum erkennen und auch ans Essen erinnern.“
Zudem könne sie Informationen zur aktuellen Situation wie beispielsweise zum Wetter, der Uhrzeit und dem Tag geben sowie Beschäftigungen anregen, die sich nach den individuellen Hobbys richteten. Dazu gehöre auch, dass die Puppe kleine Spiele spielen und dafür sorgen könne, dass die nutzende Person mit ihr Spaß habe und gemeinsam lache. Sie könne aber auch dazu beitragen, das Gedächtnis zu stärken und das Wohlbefinden zu steigern.
Mithilfe der eingebauten Sensoren könne die Puppe erkennen, in welcher Richtung sich eine Person befindet, und ihr Gegenüber gezielt ansprechen. Zudem könne sie selbst Fragen stellen und antworten.
Über die speziell für das Projekt entwickelte App, die mit der Roboter-Puppe verknüpft ist, sei auch die Kommunikation zwischen den Angehörigen und dem Menschen mit Demenz möglich. Die Angehörigen könnten beispielsweise eine Abwesenheitsbenachrichtigung einstellen.
Wenn der Mensch mit Demenz dann also fragt, wo sein pflegender Angehöriger gerade ist, kann die Puppe den eingestellten Text vorlesen und mitteilen, dass dieser zum Beispiel gerade einkaufen ist und wann derjenige zurück sein wird.
Zudem könne der Angehörige über die App, ähnlich wie bei Whatsapp, eine Textnachricht versenden, welche die Puppe per Sprachausgabe als Sprachnachricht wiedergibt. Ebenso könne eine Antwort übermittelt werden. Auch gebe es die Möglichkeit, dass weitere Personen aus dem Netzwerk über die App Zugang zu bestimmten Funktionen erhielten, um im Notfall benachrichtigt werden zu können.
Die eingebaute Kamera in der Puppe sei laut Lichteiker nur mit der internen Recheneinheit verknüpft, um beispielsweise Gegenstände wie ein Wasserglas oder die Position des Nutzenden im Raum zu erkennen.
„Der Datenschutz wird großgeschrieben“, erklärt Lichteiker. Deswegen würden die Daten sehr sensibel im Rahmen der Forschung behandelt. Darauf lege das Forschungsteam großen Wert.
Wichtig sei auch, dass die Puppe sich jederzeit abstellen lasse. So hätten Nutzende die volle Kontrolle.
Keine Technik ohne Begleitung
Neben dem robotischen System beinhalte das Projekt zudem eine psychosoziale Begleitung der Nutzenden durch speziell geschulte „Robotbegleiterinnen“ und „Robotbegleiter“ (im Folgenden: „Robotbegleiter).
„Es ist wichtig, dass die Familien nicht direkt mit den Puppen alleingelassen werden“, erklärt Daniela Waltring vom DRK-Kreisverband Bochum, welcher als Praxispartner an dem Projekt beteiligt ist. Die „Robotbegleiter“ seien vom DRK speziell qualifiziert worden. Zudem seien es Menschen, die ohnehin bereits als Demenzbetreuerinnen und -betreuer tätig seien oder Erfahrung in dem Bereich hätten.
„Die Aufgabe der ‚Robotbegleiter‘ ist es, die Puppe zunächst in den Familien einzuführen, die Funktionen vorzustellen und gemeinsam auszuprobieren“, sagt Waltring. Sie seien immer zu zweit für eine Familie zuständig und besuchten diese einmal die Woche.
Zudem seien sie die direkten Ansprechpartner, falls etwas nicht funktionieren sollte oder sich im Verlauf an der Demenz etwas ändere. Das DRK stehe wiederum im engen Austausch mit den Robotbegleitern. „Keine Robotik ohne Begleitung, das ist unser Motto“, erklärt Waltring. Die Begleiter vereinten die psychosoziale mit der technischen Unterstützung, was sehr zentral für das Projekt sei. „Wenn Technik eingeführt wird, sollte immer auch Begleitung dabei sein.“
Wichtig sei, dass der Roboter eine Unterstützung und Entlastung für pflegende Angehörige von Menschen mit Demenz sein soll und diese nicht ersetze, betont Lichteiker.
Mehr als herkömmlicher Sprachassistent
Die Roboter-Puppen seien für Menschen mit einer beginnenden bis mittelschweren Demenz geeignet. Die Voraussetzung für die Nutzung sei, dass die Person mit der Puppe in Kontakt treten und mit ihr interagieren könne.
Zudem sollte eine gewisse Affinität zu ihr bestehen. „Die Puppengestalt ist nicht für jeden etwas“, erklärt Waltring. Zudem sollten Nutzende auch grundsätzlich offen gegenüber neuen Ansätzen sein. Die Verbindung von häuslicher Pflege und Technik sei etwas Neues.
Einer der wichtigsten Unterschiede zu einem herkömmlichen Sprachassistenten wie Google, Alexa oder Siri sei die Puppengestalt. Durch die verbaute Technik könne sie über Mimik und Gestik direkte Rückmeldung geben. Der Mensch mit Demenz soll dadurch auf der emotionalen Ebene angesprochen werden.
Ein Mensch mit Demenz könne dadurch eine andere Bindung aufbauen, als wenn da nur eine Box stünde, sagt Waltring. Die Puppe wende sich der Person zu und spricht die nutzende Person gezielt mit ihrem Namen an. Zudem sei die Haptik ein weiterer wichtiger Faktor.
Praxistests
Das Forschungsprojekt laufe bereits seit zweieinhalb Jahren. Gefördert wird es vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF). Diese Förderung sei auf insgesamt 36 Monate ausgelegt und laufe demnach noch bis Februar nächsten Jahres. Aufgrund von Corona sei es zu Verzögerungen der Praxistests gekommen.
Zu Beginn der Praxistests nehme das Begleittandem Kontakt mit der Familie auf und führe sie in die Funktionen der Roboter-Puppe und der dazugehörigen App ein. Gemeinsam werde geschaut, wie die Puppe im Alltag genutzt werde und in welchen Bereichen noch Wünsche oder Bedarfe vorhanden seien. Diese Rückmeldungen geben die Robotbegleiter an die Forschenden weiter.
Acht Partner aus Forschung, Wissenschaft und Technik sowie das DRK Bochum als Praxispartner arbeiten gemeinsam an dem Forschungsprojekt mit. Aus logistischen Gründen ist das Projekt auf den Raum Bochum begrenzt.
Weitere Tester gesucht
Um so viele Informationen und Erkenntnisse wie möglich zu sammeln, sucht Das Forschungsteam nach weiteren Familien aus dem Raum Bochum, die sich beteiligen und die Roboter-Puppe für einige Monate testen möchten.
Weitere Informationen dazu gibt es auf der Website des DRK Kreisverbands Bochum.
Weitere Infos zum Forschungsprojekt finden Sie auf der Projekt-Website.